In dieser Woche trifft der Spiegel das Thema der Woche. Laut Hausmitteilung recherchiert ein Team um Gerald Traufetter, Frank Dohmen und Simon Hage seit zweieinhalb Jahren zu den Machenschaften der Automobilindustrie. Bei allem Respekt vor der Fülle an Fakten in „Ausgebremst“ fehlte mir erstens die Einlösung der Titel-Schlagwörter „Diebstahl“, „Wut“ und „Zukunft des Verkehrs“. Die Betrachtungen beschreiben Vergangenheit und Gegenwart. Wie Politiker, Manager und Bürgermeister das Diesel-Dilemma in den Griff bekommen wollen, ist weitgehend offen. Keine befriedigende Option ist sichtbar. Auch nicht in der Ausweitung des an seinen Grenzen bereits angekommenen Großstadt-Nahverkehrs („Fluch der vollen Züge“). Die Alleinschuld bei Managern und Politikern zu suchen ist allzu billig. Und noch eines: Wer es wissen wollte, wusste bereits früher, dass der Diesel nur kurzfristig die bequemste und billigste Lösung war.
Eine lesenswerte Tour d’Horizon mit netten Details ist das Spiegel-Gespräch mit dem 77-jährigen österreichischen Verkehrswissenschaftler Hermann Knoflacher „Der Autofahrer ist kein Mensch“, der es schaffte, in Wien die Autofahrer zurückzudrängen.
Leider verschont der Spiegel seine Leser auch in dieser Ausgabe nicht vor Gesinnungsjournalismus. Da suggeriert Michaela Schießl im Spiegel-Leitartikel „Der Staat steht Schmiere“ einen angeblich vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung wissenschaftlich bewiesenen Zusammenhang zwischen Feinstaub und Demenz bei Menschen. Das gipfelt in der Aussage: „Menschen, die an stark befahrenen Straßen wohnen, werden signifikant häufiger dement als Bewohner in Villenvierteln.“ Ja da ist doch die Gesinnungswelt noch in Ordnung! Erstens: Diesen Beweis hat das Institut noch gar nicht geführt. Ende Januar 2018 wurde eine Studie zu dem Thema gestartet, nachdem es in Versuchen mit Mäusen Korrelationen gegeben hatte. Zweitens beobachten zwar andere Studien, dass es Zusammenhänge zwischen dem Wohnen an vielbefahrenen Straßen und Demenzerkrankungen gibt, führen dafür aber mehrere mögliche Gründe an. Neben Lärm und Schadstoffen, können die Ursachen auch in der Sozialstruktur der Anwohner verschiedener Wohngegenden liegen. Hauptsache das Spiegel-Weltbild stimmt!
In „Der Angriff der Schlange“ zeigen Maik Baumgärtner und Kollegen, dass sie in Rekordzeit – nämlich innerhalb von ein, zwei Tagen – einen toll recherchierten Artikel zum Thema Cyberattacke aus Russland zuwege bringen. Chapeau zu dieser journalistischen Glanzleistung. Der Vorgang zeigt, dass Cyber-Kriege keine Science Fiction mehr ist. Insofern müssen zur Abwehr virtueller Angriffe länderübergreifende Strukturen aufgebaut werden, vergleichbar den „materiellen“ Verteidigungsbündnissen.
Peer Steinbrück liest seinen SPD-Genossen im Spiegel-Gespräch „Wahnsinniger Unfug“ kräftig die Leviten: „Die Debatte in der Partei entspricht nicht mehr der Debatte in der Gesellschaft. Die Bürger fragen sich, wer ihr Leben und ihre Arbeitsverhältnisse bestimmt. Etwa ein finanziell und digital entgrenzter Kapitalismus? Sie fühlen sich in ihrer kulturellen Identität bedroht, sehen vertraute Lebensumstände im Schwinden. Ihr erschüttertes Sicherheitsgefühl weckt die Frage nach einem handlungsfähigen Staat, der seine Rechtsnormen durchzusetzen vermag. … Die Sozialdemokratie hat bisher nicht richtig wahrgenommen, dass es neben dem klassischen Verteilungskonflikteine neue Konfliktlinie in der Gesellschaft gibt: einen Wertekonflikt – einige sprechen sogar von einem Kulturkampf – zwischen denjenigen, für die Einwanderung, Globalisierung und Multikulturalismus positiv besetzt sind, und denjenigen, die sich kulturell zurückgelassen und fremd im eigenen Land fühlen, weshalb sie den Rückzug in die nationale Wagenburg suchen. Diese Spaltung hat bisher in der Programmatik der SPD keinen Niederschlag gefunden.“ Und: „Wie die Sozialisten in Frankreich ist auch die SPD in Gefahr, sich mehr um Antidiskiminierungspolitik und Lifestylethemen zu kümmern und darüber die Befindlichkeiten der Mehrheitsgesellschaft außer Acht zu lassen. Dort werden aber Wahlen entschieden.“
Das klingt so, als wollte Peer Steinbrück Olaf Scholz und Andrea Nahles bei einer Erneuerung und Neupositionierung zur Seite stehen: „Die SPD muss sich auf drei oder vier mitreißende Botschaften konzentrieren, und sie darf nicht nur als Krankenwagen der Gesellschaft oder Pannenhilfe erscheinen. Ihrer Kampagne fehlte das Zukunftsgen.“ Ob allerdings die SPD auf den Ex-Kanzlerkandidaten hören mag? Jemandem, der wegen seiner angeblich zu großen Nähe zur Finanzindustrie von den eigenen Genossen immer wieder scharf angegangen wurde.
Tim Bartz und Kollegen lamentieren „Griff nach dem Stern“ darüber, dass der chinesische Milliardär Li Shufu sich bei Daimler anschlich und für mehr als sieben Milliarden Euro 9,7 Prozent der Daimler-Aktien erwarb. Der Aktionärsschützer Hans-Martin Buhlmann wundert sich über die Kritik: „Die suchen doch schon lange nach einem stabiLen Anker-Aktionär. Jetzt haben sie einen und sind auch nicht zufrieden.“ Li Shufu will mit Daimler-Chef Dieter Zetsche unter anderem den Bau von Elektro-Autos und Elektro-Lkws in China vorantreiben. Wie das Beispiel Streetfighter zeigt, braucht Zetsche vielleicht mitunter einen Stupser vom Shareholder. Interessante Ergänzung dazu ist die Analyse mit Handlungsempfehlung zum Umgang von Europa mit China von Bernhard Zand „Rote Bedrohung“.
Martin Hesse und Armin Mahler luden Ifo-Chef Clemens Fuest und Unctad-Chefökonom Heiner Flassbeck, seinerzeit Staatssekretär im Bundesfinanzministerium unter Oskar Lafontaine zum Streitgespräch über Eurokrise und Währungsunion. Was soll schon passieren, wenn ein Keynesianer und ein Neoliberaler miteinander disputieren: Argument prallt auf Argument und die Welt dreht sich weiter („Wir leben in einer perversen Welt“).
Christian Esch erklärt „Das System Putin“, der seit fast 20 Jahren an der Macht ist und es mindestens noch fünf weitere Jahre sein wird. Seine Versprechen Stabilität und nationale Größe ziehen, vor allem bei der älteren Bevölkerung. Modern ist das Land unter Putin nicht geworden.
Rex Dalton überrascht in „Der doppelte Professor“ mit einer skurrilen und unglaublichen Geschichte. Robotik-Forscher Stefan Schaal war gleichzeitig Leiter des Max-Planck-Instituts für intelligente Systeme in Tübingen und Professor an der University of Southern California in Los Angeles. Im Verschleiern der wahren Verhältnisse scheint er ein Meister zu sein. Denn auch mit Abrechnungen jonglierte er offenbar zeitweise meisterhaft. Erst als seine Frau nach neun Jahren Ehe die Scheidung einreichte, und er seine finanziellen Verhältnisse offenlegen musste, fiel das wissenschaftliche Doppelleben auf.