Der Niedergang der Kanzlerin wird oft mit dem von Helmut Kohl verglichen. Aber so sehr es sich anbietet, der Pfälzer hat unverrückbar die Wiedervereinigung auf seiner Haben-Seite, während Angela Merkel über die von ihr eingeleitete und bis heute verteidigte Massenzuwanderung so tief ins Soll gerutscht ist, wie noch kein Bundeskanzler vor ihr.
Nun scheint aber auch ihr Schicksal endgültig besiegelt. Den monatelangen Kampf hinein in die letzte Amtszeit gewann sie erst, als sie den bereits arg in Mitleidenschaft gezogenen Wertekanon ihrer Partei endgültig auf sozialdemokratisches Niveau kastrierte.
Zu hoch gepokert? Zu nah am Feuer Platz genommen? Es scheint jetzt tatsächlich so, dass schon der kleinste Fehltritt ausreicht. Aber was wird es sein, das das politische Ende Angela Merkels besiegelt? Nichts scheint mehr unmöglich. Aktuell könnte es sogar die Causa „Essener Tafel“ sein, welche die überfällige Merkel-Implosion auslöst.
Noch einmal alles in die Waagschale werfen? Riskieren, die der Tafelentscheidung gegenüber durchaus ambivalente Haltung des CDU-Oberbürgermeisters von Essen wegzuwischen und sich mit der auf Twitter versammelten Sozialdemokratie gegen die Entscheidung des Tafelchefs Jörg Sartor zu stellen? Der erklärte nun gerade gegenüber der Welt „Mein Vater war Bezirksvertreter in Gelsenkirchen, meine ganze Familie ist SPD. Für mich hat sich das jetzt erledigt.“
Merkel selbst muss bereits auf Bundesebene auf Gedeih und Verderb einem SPD-Kurs folgen. Nun folgte also der sozialdemokratische Abstieg bis hinunter in die Stadtpolitik. Aber damit hat sie sich von ihren letzten sicheren Pfründen abgeschnitten, von der Zustimmung der Fußsoldaten. Dort, wo ein schneller Auftritt auf dem Marktplatz Gefolgschaft sichern kann, dort, wo Vertrauen immer noch etwas länger von Kontinuität getragen wird, als im nervösen Berlin.
Die ZEIT schrieb im September 2017: „Die Welt ist böse, aber hier ist alles gut. Das war die Wahrnehmung der Deutschen unter Merkel.“ Aber diese Zeilen standen bereits unter der Schlagzeile „Sie wird untergehen“. Viele haben schon darauf gewartet, dass sich die merkelsche Massenzuwanderung als Menetekel ihrer politischen Karriere zu erkennen gibt. Da erscheint es fast gerecht, dass nun ausgerechnet ein aufrechter Essener Bergmann mit SPD-Vergangenheit wider Willen zum Scharfrichter Merkels wird, die sich von diesem Mann abwandte, weil sie durchaus hellsichtig erkannte, dass hier das entscheidende Gefecht um die Deutungshoheit ihrer Massenzuwanderungspolitik geführt werden könnte.
Aber sie hat eben auch erkannt, dass Essen nur einer von vielen folgenden Lackmustests sein würde – dass es also jetzt oder gar nicht mehr darum ging, alles auf eine Karte gesetzt, als sie zu Jörg Sartors Entscheidung befand: „Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen.“ Das sei nicht gut.
Und streng genommen war das nicht einmal dramatisch, in anderen Zeiten hätten die wenigen Sätze in die RTL-Mikrofone fast als ausgewogen gelten können, wenn Merkel sogar noch anfügte, Essen zeige aber „auch den Druck, den es gibt“. Aber damit war die Hellsichtigkeit dann auch zu Ende.
Angela Merkel selbst wusste von Anfang an, um was es hier geht, hat maximales Risiko gespielt und es sieht ganz so aus, als hätte sie verloren.