Tichys Einblick
Die Eigenständigkeit der CSU wäre folgerichtig

Die CSU auf dem Weg in die Eigenständigkeit?

Sticheln darf sein. Auch mal ein deutliches Wort. Eines allerdings galt zwischen den beiden Unionsschwestern immer: Massive Kritik nur unter vier Augen. Mit dem Chaos der Nicht-Bewältigung der Flüchtlingsproblematik wurde diese Regel auf Null gesetzt. Theaterdonner oder Feldgeschütz? Ein Video zeigt, wie katastrophal die Lage ist - und wie absehbar.

Sticheln darf sein. Auch mal ein deutliches Wort. Eines allerdings galt zwischen den beiden Unionsschwestern immer als ungeschriebenes Gesetz: Massive Kritik nur unter vier Augen. Mit dem Chaos der Nicht-Bewältigung der Flüchtlingsproblematik allerdings wurde diese Regel auf Null gesetzt. Theaterdonner oder Feldgeschütz?

Der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich legte vor, kritisierte die Grenzöffnung als „eine beispiellose politische Fehlleistung mit verheerenden Spätfolgen“, warf der Bundeskanzlerin „Kontrollverlust“ und Blauäugigkeit“ vor. So harter Tobak wird selbst zwischen Opposition und Regierung selten auf den Tisch gelegt. Hier zielte er nun genau auf die Bundeskanzlerin.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer legte nach, sprach – wiederum gezielt in Richtung Merkel – nur wenig moderater von einem „Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird“ und erzwang die umgehende Schließung der Grenzen. Den vorläufigen Abschluss machte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der seine sachlich vorgetragenen Angriffe gegen die versagenden Bundesbehörden über Merkel hinaus auf den lange als deren Kronprinzen gehandelten Bundesinnenminister Thomas deMaiziere lenkte.

Nur ein Streit in der Sache? Oder vielleicht doch mehr?

Für die CSU gilt seit Franz Josef Strauß: Rechts neben der Union darf kein Platz für andere parlamentarische Parteien sein. So beobachtete die Bayernunion in den Jahren der Merkel-Kanzlerschaft deren Sozialdemokratisierungskurs mit wachsendem Argwohn, ließ die CDU-Vorsitzende jedoch gewähren, solange die Regierungsfähigkeit in Berlin und in Bayern nicht gefährdet war und sich rechte Splitterparteien schnell wieder im Nichts auflösten. Es machte bis vor Kurzem aus bayerischer Sicht wenig Sinn, eine Kanzlerin, die auf dem besten Wege war, sich zur überparteilich geliebten Mutter der Nation zu entwickeln, allzu hart anzugehen. Auch konnte die CSU gut damit leben, dass „Mutti“ die SPD des verzweifelt nach öffentlicher Beachtung gierenden Vizekanzlers Sigmar Gabriel fest im Ghetto der unteren Hälfte des 20-Prozent-Blocks eingemauert hatte. Die absolute Unionsmehrheit schien wieder in erreichbare Nähe zu rücken und die Zahlen in Bayern befanden sich stabil auf hohem Niveau – kein Grund also, die nach links driftende Partnerin allzu hart anzugehen.

Dennoch hatte die CSU immer auch einen Blick auf die sich zwischenzeitlich bei rund 30 Prozent der Wahlberechtigten einpendelnde Nichtwählerschaft, die sich zu einem nicht zu unterschätzenden Teil aus frustrierten Rechtskonservativen speist, welche ehedem zur klassischen Klientel der Union gehörten. Da war es hilfreich, als durch den Petry-Putsch die sich selbst zermürbende AfD aus dem Spektrum der ernstzunehmenden Konkurrenz auszuscheiden schien. So konzentrierte sich die CSU erst einmal wieder auf sich selbst und auf Bayern.

Doch dann geschah etwas, was das Verhältnis zwischen CDU und CSU in seinen Grundfesten erschütterte. Die unkontrollierte Öffnung der Grenzen für eine wahre Flüchtlingsinvasion hätte es – und das war mehr als nur geschauspielerter Populismus – aus Sicht der CSU niemals geben dürfen. Denn er gefährdet aus bayerischer Sicht nicht nur die Europäische Union, in deren logistischer Mitte den Bayern Wohlstand und Stabilität geschenkt wurde – die Bayern stehen auch aus tiefster Überzeugung zur deutschen Leitkultur, die sie durch die Politik der Bundesregierung mehr als gefährdet sehen. Die Zukunft Deutschlands muss für die Christsozialen in einem Land der Deutschen liegen – nicht in einem Multi-Kulti-Melting-Pot.

Jetzt ist es eine Frage die entschieden werden muß

Als die Kanzlerin angesichts der Maßregelung aus Bayern ihren bemerkenswerten Satz nachschob, wonach dann, wenn sie sich für ihre Flüchtlingspolitik entschuldigen müsse, dieses Deutschland nicht ihr Land sei, fielen im Freistaat die Visiere und die Lanzen gingen hoch. Denn dieser Satz, der nur als beleidigte Reaktion auf die vorangegangene CSU-Kritik zu verstehen sein kann, warf den Bayern den Fehdehandschuh hin.

Das Tischtuch zwischen Merkel und ihren männlichen Schwestern im Süden ist damit definitiv zerschnitten. Es wird sich kaum ein Weg finden lassen, es wieder zu nähen – denn was immer auch geschehen wird: Die Flüchtlingswelle ist im Land und der Satz, der an den letzten Sachsenkönig erinnert, ist gesagt. So steigen in der Bayern-Union einmal mehr jene als „der Geist von Kreuth“ ständig virulenten Überlegungen auf, den ohnehin schon kaum zu kittenden Bruch zur sozialdemokratischen Schwester nun auch formal zu exekutieren. Der Zeitpunkt dafür wäre gut gewählt, so lange die ehedem unerschütterliche Kanzlerin unter ihrer gegenwärtigen, unverkennbaren Formschwäche leidet.

Gegen den finalen Bruch mit der Unionsschwester spricht aus CSU-Sicht derzeit nur Weniges.

So besteht die Gefahr, das gescheiterte Lumpenproletariat früherer, erfolgloser Parteigründungen einzusammeln und sich damit der Lächerlichkeit preiszugeben.

Dagegen allerdings stehen nicht wenige Christdemokraten an der Basis, die nur darauf warten, ihrer nach links gewanderten politischen Heimat „Adieu“ zu sagen und sich unter dem Dach einer bundesweiten CSU neu zu formieren.

Das könnte auch das noch virulentere Problem einer bundesweiten CSU lösen: Deren mittlerweile mehr als ausgedünnte Personaldecke. Neben dem Innenminister Michael Herrmann und dem Finanzminister Marcus Söder verfügen die Bayern kaum noch über profilierte Politiker. Doch kann der Seehofer Horst davon ausgehen, bis in die Bundestagsfraktion hinein Überläufer zu finden, die mit einem klaren, konservativen Profil sich der Maßregelung durch den CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder entziehen möchten. Ein Blick auf die Widerspenstigen der Pro-Griechenland-Abstimmung zeigt hier Perspektiven auf.

So könnte eine bundesweite CSU schnell expandieren – und hätte sogar eine reelle Chance, als letzte konservativ-bürgerliche Partei an der CDU vorbei zu ziehen. Dann allerdings muss Seehofer den Schnitt machen, solange sich der Unmut über die Kanzlerin auf dem Höhepunkt befindet. Denn schon 2016 stehen fünf Landtagswahlen an, in denen die CSU nicht versagen dürfte.

Internen Widerstand zu erwarten hätte Seehofer von einigen CSU-Abgeordneten, die Angst um ihre Wiederwahl haben könnten. Da deren Zahl jedoch beschränkt und auf Bayern begrenzt ist, könnte Seehofer dieses Risiko für vernachlässigbar halten. Und dann wäre da noch Marcus Weber, der um seine Position als Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament fürchten könnte. Doch bliebe auch eine bundesweit antretende CSU immer noch eine konservative Volkspartei, die wenig Lust verspüren wird, sich mit Personen wie den EU-Gegnern Nigel Farage oder Marie lePen zu verbünden. Auch wäre die verlassene CDU gut beraten, eine bundesweite CSU nicht zu sehr zu verärgern. Denn angesichts der langen, gemeinsamen Geschichte wäre eine gestärkte CSU, die den Rechtspopulisten ihre Wähler abnimmt, immer noch die erste Wahl bei einer bürgerlich-konservativen Regierungsbildung der rechten Mitte in Bund und Ländern.

Packt es Berlin noch einmal oder weiteres Chaos?

So könnten die kommenden Wochen spannend werden. Sollte die Zustimmung zur Union angesichts des Flüchtlingschaos einbrechen und Merkel mit ihrem Kabinett nicht schnell wieder Tritt fassen, könnte der Taktiker Seehofer die Notbremse ziehen und aus dem Unionszug austeigen. Merkel müsste gute Miene zum bösen Spiel machen, denn eine Expansion der CSU wäre noch kein Koalitions- sondern bestenfalls ein Vertrauensbruch. Sie, die angeschlagene und für den Bruch verantwortliche Kanzlerin, könnte also weitermachen wie bisher. Sie könnte auch zurücktreten – doch damit wäre ihre politische Karriere beendet und keinesfalls sichergestellt, dass sich Union und SPD nicht ohne sie auf die Fortsetzung der Koalition verständigen. Sie könnte die CSU-Minister entlassen und allein mit der SPD, so diese es will, weiterregieren. Oder sie könnte die Vertrauensfrage stellen und den Versuch unternehmen, Neuwahlen einzuleiten. Um das sicherzustellen müsste Merkel jedoch die CDU-Abgeordneten von einem Nein überzeugen – und damit faktisch das Ende ihrer politischen Karriere einleiten. Auch müssten Neuwahlen bei einer Trennnung sowohl CDU und wie CSU schaden.

So beobachtet Seehofer die Berliner Entwicklung derzeit ganz genau – und die Einladung des ungarischen Regierungschefs Victor Orban war ein erstes, unübersehbares Zeichen, dass er keinerlei Probleme damit hat, seine CSU-Politik auch ohne große Schwester umzusetzen. Und so bliebe für ihn immer noch auch die Alternative, bei entsprechender Ausgangslage erst im kommenden Frühjahr einen Kreuth-2-Beschluss zu fassen, in dem steht, dass die CSU zu den nächsten Bundestagswahlen bundesweit antritt und den Bruch mit der CDU bis zu den Bundestagswahlen geregelt abwickeln möchte. Dann läge der Ball wieder bei der Kanzlerin – und sie wäre schlecht beraten, ihn ins Aus zu schießen. Denn dann könnte es geschehen, dass die Abwanderung von der CDU zu der ausziehenden Schwester Massenfluchtcharakter annimmt, um mit der CSU im Spiel zu bleiben.

Wie die Lage vor Ort wirklich ist…

..beschreibt ein Video, das eigentlich nicht für die Veröffentlichung gedacht ist, das wir aber trotzdem dokumentieren.

Denn die vielleicht die beste Sicht auf die Lage gibt ausgerechnet eine Sozialdemokratin – Brigitte Meier, die Sozialreferentin der Stadt München. Mit sich überschlagender Stimme beschreibt sie, dass die öffentliche Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden kann und die Überforderung der Kommunen. Bemerkenswert: Thomas Oppermann, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag, beschreibt bereits auf dieser Sitzung sozialdemokratischer Kommunalpolitiker vom 15. 9., was erst eine Woche später Wirklichkeit wurde: Das Zusammenbrechen der Balkan-Länder Ungarn, Kroatien, Slowenien und Serbien unter dem Flüchtlingsansturm. Das zeigt: Die Lage entwickelt sich nicht sofort und zufällig – das Versagen der Bundesregierung und ihre mangelnde Vorausschau ist offenkundig.

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