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R.I.P. Facebook

Facebook kam über den großen Teich nach Europa. Über ein Jahrzehnt später hat sich jetzt auch eine neue Anti-Facebook-Bewegung von dort auf den Weg gemacht.

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Ich gebe es zu, ich hatte ein länger anhaltendes Verhältnis. Sogar ein öffentlich bekanntes. Aber ich habe es unter – zugegeben wichtigtuerischem – Getöse im September 2011 beendet. Und weil ich die Jahre davor so verliebt war, glaubte natürlich niemand, ich würde nicht auf kurz oder lang rückfällig werden.

Ich hatte ein Verhältnis mit Facebook. Und ich habe meinen Account bis heute nicht mehr aktiviert, obwohl auch sechs Jahre später immer wieder auffordernde Bettelbriefe meiner Ex-Geliebten in meinem Postfach landen, mich doch bitte wieder mit ihr zu vernetzen. Facebook lässt nicht locker. So sehr man es auch will, nie ist alles ganz gelöscht. Immer bleibt es reanimierbar. Ich hätte also auch meine Email-Adresse ändern müssen, um diesem gierigen Miststück ganz aus dem Weg zu gehen, so wie trockene Alkoholiker um Bars einen großen Bogen machen. Ja, ich bin trockner Facebooker.

Denn es wäre gelogen, zu behaupten, die Zeit mit Facebook hätte mir nichts gegeben. Ich gehöre nicht zu denen, die ihren Verflossenen nur Schlechtes nachsagen. Aber ich gehöre auch zu jenen Wankelmütigen, die klare Trennstriche setzen müssen, um Rückfälle zu verhindern und für neue Überzeugungen einzustehen.

Kann sich noch einer an sie erinnern?
Demokratie, was für ein stolzes und von weither klingendes Wort
Ja, Facebook war mir in der Zeit vor 2011 auch eine große Freunde-Maschine. Keine Ahnung, ob das die Facebook-Pionierzeit war und heute alles ganz anders ist, aber da wuchs schon eine denkwürdige Truppe zusammen – sprichwörtlich wie Pech und Schwefel. Im Mittelpunkt Facebook-Player wie Matthias Matussek – der große Starreporter vom Spiegel gab sich die Ehre ebenso, wie die legendären Geschwister Winkelmann mit der wunderbaren, leider vor kurzem verstorbenen Jutta. RA Heinrich Schmitz, der Anwalt aus der Nähe von Köln hatte hier sein virales Coming-Out – unterstützt von diesem digitalen Freundeskreis, brachte er es immerhin via Facebook bis zum Rechtsexperten in einer Dokumentation des Spiegels und wurde an unterschiedlichen Plätzen gelesener Kolumnist.

Der schlaue Denker Bernhard von Guretzky kam über die Winkelmann-Zwillinge dazu und wurde zu einem besonders bissig hinterfragenden Facebooker. Der Werbeagentursenior Hubertus von Lobenstein nahm gar so etwas wie ein berufliches Sabbatical und facebookte Tag für Tag, was das Zeug hielt – ein fröhlicher Social-Media-Verrückter. Ach, es waren zu viele, um hier jedem einzelnen gerecht zu werden, ohne den Leser zu langweilen.

Wir alle liebten dieses gigantische Wort-geile Social-Media-Spielzeug. Am meisten wohl noch Mathias Matussek, um den sich ja damals irgendwie alles scharte. Und er liebt dieses scharrende Geräusch an seiner virtuellen Tür wohl bis heute – genug Opfer hat er der Maschine weiß Gott geliefert. Immer legte er selbst vor und gab alles: Matussek bediente die Community wie kein zweiter. Gab es etwas zu diskutieren und er kam nicht mehr hinterher zu kommentieren, wurde er von uns so lange genötigt, bis es passierte. Und es passierte zuverlässig mit aller Wucht. Er lieferte immer, ob nun Bestellungen kamen oder einfach Langeweile aufkam: Wumms, zündete er schon die nächste Blendgranate und munitionierte sich bereits in den kurzen Sprechpausen neu auf.

Doch, als nun schon so lange Facebook-Außenstehender darf ich es so sehen: Das war damals die Jungfernfahrt bei klarsten Wetter und herrlichem Sonnenschein: Die großen Themen kamen so unverhofft wie einsame Buckelwale und wir schossen unsere Harpunen ab mit und ohne Sprengladung. Und die vielen quirligen Freuden zwischendurch kamen wie vergnügt-ausgelassene Delphineschulen vorbei. Aber von uns unbemerkt wurde das Meer auch immer dreckiger, die Fahrrinne immer enger und die feindlichen U-Boote immer zahlreicher. Der Ozean selbst schien sich gegen die auf ihm fahrenden Quassel-Schiffchen verschworen zu haben. Facebook wurde zur hässlichen, zur allen Spaß verschlingenden Krake und die Schiffe fuhren nicht mehr friedlich nebenher, sondern um die Wette – dabei noch sich gegenseitig aus allen Rohren befeuernd.

Es ging schließlich nur noch darum, nicht unterzugehen, nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken am besten dadurch, das man noch das letzte fadenscheinige Segel so weit wie möglich in den Wind hängte und das Steuer ausgerechnet an das Meer selbst abzugeben bereit war. Eine hässliche Regatta der Enttäuschten, Sonnensegler, die jetzt immer öfter schlaflos noch bis in den Morgen hinein auf ihre Likes warteten, wie Drogensüchtige auf ihren Dealer, Likes, die aber nicht mehr kamen, wenn man nicht immer noch mehr und noch krassere Kommentare schrieb wie im Fieber, immer mehr Stoff für immer weniger Kicks.

Und weil nun der Erfolg versprechende Kommentar jener wurde, der am persönlichsten angriff, der am deftigsten behauptete, der am intensivsten skandalisierte, begann die gegenseitige Selbstzerfleischung. Die Stunde der Suizidanstifter. Der unbedingte Wille für ein paar Likes den Gegenüber zu der einen selbstvernichtenden Äußerung zu bewegen. Weder Freund noch Feind, Hauptsache individueller Fame.

Der Tanz auf dem Vulkan hatte begonnen. Ein Tanz freilich mit immer weniger jungen frischen Akteuren. Die waren längst zu Instagram, Snapchat und WhatsApp abgewandert und etablierten dort eine Facebook-ferne Kultur jenseits dieser Myriaden von schlaumeierischen Alterskommentaren. Der Sieg der Fotografie über das Wort. Denn trotz aller Bildgewalten ist Facebook Wortmedium geblieben, ein überhitzter Kommentarbrutkasten der zu stinken anfängt. Um den sich staatlich angestiftete NetzDG-Gestankswächter scharen, kühn genug, Feuer mit Feuer bekämpfen zu wollen, die den Hater gegen den Hater erziehen wollen, als wäre das nicht längst die DNA der Zuckerberg-Maschine.

Selbstwiderlegung
Feminismus: Out of Control
Facebook kam über den großen Teich nach Europa. Über ein Jahrzehnt später hat sich jetzt auch eine neue Anti-Facebook-Bewegung von dort auf den Weg gemacht. Wirkmächtiger und einflussreicher als alle Vorgänger. Aktuell verkaufte der Hollywood-Filmstar Jim Carrey medienwirksam sein Facebook-Aktienpaket und löschte sein Facebook-Konto. Andere sind still und leise verbrannt, zogen sich immer mehr zurück, zeigen alle Anzeichen, die schon die myspace-Generation so hochinfektiös dahinraffte. Jeder wartet eigentlich nur noch darauf, gehen zu dürfen, eine neue Droge zu finden, die diese von Facebook aufgebaute multiple Sucht befriedigen kann. Denn ganz ohne irgendetwas geht es nicht mehr.

Eine Reihe hochkarätiger ehemaliger Mitarbeiter der großen Silicon-Valley- Tech-Konzerne macht diese Sucht nun öffentlich und warnen vor dem Suchtpotential der Produkte ihrer Ex-Arbeitgeber. Man hat sich dafür zur Organisation „Center for Humane Technology“ zusammengeschlossen und geht gemeinsam mit der medienkritischen Organisation Common Sense Media gegen Unternehmen wie Facebook vor – inklusive einer millionenschwere Aufklärungskampagne an 55.000 US-Schulen, wie die New York Times berichtet.

Eine weltweite Anti-Facebook-Bewegung wurde so losgetreten, die nur noch auf ihren Scheitelpunkt warten, bevor die Lawine der Zerstörung losbricht. So zog sich nun auch Brasiliens größte Tageszeitung aus Facebook zurück. Zeitungsinhalte werden nicht mehr aktiv im sozialen Netzwerk gepostet. Die Brasilianer hatten bisher fast sechs Millionen Follower auf Facebook.

Nun wäre es vermessen, Facebooks Ende vorherzusagen, die aktuellen Zahlen weisen immerhin noch 1,4 Milliarden Nutzer aus, welche die Plattform jeden Tag aufsuchen. In Europa sind es 277 Millionen. Alleine im vierten Quartal 2017 hat Facebook fast 13 Milliarden US$ Umsatz gemacht. Und auch Whatsapp ist Teil des Facebook-Unternehmens.

Es gehört also deutlich mehr dazu, als nur eine rapide ansteigende grassierende Abneigung, um endgültig zu zerstören, was immer mehr Menschen so ungemein stört. Der Grund dafür ist einfach: Facebook gründet auf einer Sucht, die direkt da wirkt, wo wir am empfänglichsten und verletzlichsten sind, am Wesenskern des Menschseins, am Sozialverhalten, das uns auf seiner Ideallinie zu liebenswerten und mitfühlenden Wesen macht.

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