Tichys Einblick
Ziel: "Vetospieler" ausschalten

Bertelsmann: Seit Jahrzehnten missionarisch unterwegs

"Um ihrer politischen Verantwortung gerecht zu werden, muss eine Regierung sich im Zweifelsfall auch gegen den empirischen und kontingenten Volkswillen durchsetzen. Politische Entscheidungen, die der gegebenen Mehrheitsmeinung entgegenstehen, sind nur auf den ersten Blick demokratietheoretisch bedenklich." Bertelsmann.

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„Wir brauchen Sendboten überall, die unsere Gedanken verbreiten. Es wäre schön, wenn einer vorangehen könnte wie einst Christus. Der hatte ja in relativ kurzer Zeit einen enormen Reformerfolg. Aber die Propheten haben es heute nicht mehr so leicht.“ Mit dieser Botschaft wird der Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn in der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 15. April 1999 zitiert. Damit ist im Kern schon alles gesagt über den missionarischen Eifer der schier sektenmäßig aufgestellten „Bertelsmänner“: Denn sie verstehen sich ganz offenbar als solche Sendboten, die die Welt braucht.

Sabine Etzold betätigte sich denn auch am gleichen Tag als Hofschreiberin in „DIE ZEIT“ und assistierte etwa mit Blick auf Mohn’sche Bildungsvisionen: „Menschlichkeit ist effizient“; „Reinhard Mohn krempelt das deutsche Bildungssystem um. Die Geschichte einer Passion“. Und: „Wo immer man nach neuen Ansätzen im Bildungsbereich sucht, Bertelsmann ist schon da.“ Oder Reinhard Kahl, „Bildungsjournalist“ und Filmemacher: In der „Welt“ vom 16. September 1999 verfasst er mit Blick auf die Bertelsmann Stiftung die Überschrift: „Ins Gelingen verliebt sein“. Der Einleitungssatz danach ließ keinen Spielraum offen: „Man muss sie einfach loben, die Bertelsmann Stiftung.“

Loben wofür? Dass es keinen Politikbereich gibt, zu dem die Bertelsmänner ihren Senf nicht beitragen? Nichts lassen sie aus: weder Kommunalpolitik, Außenpolitik, Europapolitik, Wirtschaftspolitik und Steuerpolitik noch Sozialpolitik oder Gesundheitspolitik usw. Es gibt keinen Bereich, in den sich die Bertelsmann Stiftung nicht einmischt. Sie tut dies übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch mit Projekten Beispiel in Ägypten, Israel, Polen, Spanien usw. Hier eine kleine Auswahl von Titeln und Projekten: Gesundheitsmonitor, Gesundheitskarte für Flüchtlinge, demographischer Wandel, junge Familie, Generationengerechtigkeit, Stadt-Land-Gefälle, Kita-Qualität, Vorteile Deutschlands durch die Währungsunion, TTIP, Bürgerbeteiligung, Brexit, Schengen, Libanon, Syrien, Türkei …

Man sagt der Bertelsmann Stiftung deshalb nicht zu Unrecht nach, sie sei eine „Krake“, eine „Macht ohne Mandat“, die „Nebenregierung in Gütersloh“. Dabei bauen die Impulse der Stiftung fast immer auf einer Skandalisierung vermeintlicher Missstände auf. Dazu werden (Pseudo-)Diagnosen und Begriffe unters Volk gebracht – mal sanft suggeriert, mal eingehämmert. Dann startet man eine „Studie“, um den Leuten zu bestätigen, dass diese alles genau so sehen wie vorgegeben.

Ohne es so zu bezeichnen, betreibt Bertelsmann damit die Methode „nudge“, wie sie von den US-amerikanischen Professoren Richard Thaler und Cass Sunstein in ihrem 2008 erschienenen Buch „Nudge. Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness“ geprägt wurde. (Auf Deutsch ist das Buch im gleichen Jahr unter dem Titel erschienen: Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt). „nudge“ bedeutet: Schups, Stubsen. „nudge“ ist zu verstehen als ein medial und politisch permanent multiplizierter Anstoß oder als permanent suggestive Warnung an die Menschen, zum Beispiel umweltbewusst zu leben, sich gesund zu ernähren, einen Organspendeausweis mit sich zu tragen oder bestimmte Impfungen vorzunehmen.
Nach dieser Methode werden die „Menschen draußen“ von den Regierenden oder von anderen meinungsbildenden Mächten als überwiegend irrational handelnde angesehen; sie sollen am Ende glauben, was ihnen als „nudge“ vorgesetzt wird. Burrhus F. Skinner, einer der prominentesten Vertreter des Behaviorismus, lässt grüßen. Oder gar Pawlow? Dieser hatte ja mit künstlichen Stimuli Hunde darauf konditioniert, bestimmte Reflexe zu zeigen. Ist Politik mit „Nudge“ also auf den Hund gekommen?

US-Präsident Obama ließ sich vom Nudge-Prinzip inspirieren. Außerdem schafften es Thaler und Sunstein mit ihrer Theorie 2010 bis in britische Regierungskreise sowie 2014 in eine Nudge-Unit der Regierung Barack Obama und ins deutsche Kanzleramt. In letzterem wurden 2014 dort drei „Verhaltensökonomen“ eingestellt. „Behavioral Economics Teams“ nennt man diese Leute. Damit wird der Weg zur Meinungsbildung mittels Propaganda mehr und mehr frei.

Und dann folgt aus dem Hause Bertelsmann Studie auf Studie, mit denen man genau die eigenen Diagnosen abfragt und die Zustimmung der Bevölkerung dazu erwartet. Zirkelschlüsse kommen am Ende heraus. Vor allem aber hat eine Stiftung wie die Bertelsmann Stiftung dann wieder einmal „agenda setting“ betrieben, also die Tagesordnung, ja ganze Kongressberichte diktiert und fleißig an sich selbst erfüllenden Prophezeiungen gearbeitet.

Bezeichnend für diese Methode ist ein Strategieentwurf aus dem Hause Bertelsmann aus dem Jahr 2009. Friedbert Rüb, Karen Alnor und Florian Spohr haben das Politikverständnis der Bertelsmann Stiftung in einem Beitrag folgenden Titels skizziert: „Die Kunst des Reformierens: konzeptionelle Überlegungen zu einer erfolgreichen Regierungsstrategie. Zukunft Regieren: Beiträge für eine gestaltungsfähige Politik (Heft 3/2009, Gütersloh).

Meinungsmache
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Es ist ein verräterischer, ja erschreckender Text, der wohl deshalb im Netz nicht mehr zu finden ist. Die Strategie der „Bertelsmänner“ gibt er gleichwohl markant wieder. Der „Beitrag“ ist eine Art Vademecum für die Durchsetzung von Reformen gegen den Willen der Bürger und zur Ausschaltung von „Vetospielern“. Um diese Ausschaltung zu erreichen, so die Empfehlungen, seien Reformziele „unter Reduktion der Beteiligten von Interessengruppen“ zu empfehlen. Diese seien zwar anzuhören, nicht aber, um die Pläne zu diskutieren, sondern um die „Legitimität der Reform“ zu steigern und „Widerstände“ zu mindern (S. 7). Dafür bedürfe es unter anderem einer Schwächung des „Widerstandspotentials“ und dessen Aufbrechen mittels eines „geschickten Partizipationsstils.“ Vor allem gehe es darum, eine „potentielle geschlossene Abwehrfront zu verhindern“ (S. 40). Wörtlich: „Durch eine selektive Partizipation während der Entscheidungsphase können Vetospieler in ihrer Kohärenz geschwächt, sozusagen ‚gesplittet‘, und die Protestfähigkeit bestimmter Interessengruppen gemindert werden.“ Und weiter: „Um ihrer politischen Verantwortung gerecht zu werden, muss eine Regierung sich im Zweifelsfall auch gegen den empirischen und kontingenten Volkswillen durchsetzen. Politische Entscheidungen, die der gegebenen Mehrheitsmeinung entgegenstehen, sind nur auf den ersten Blick demokratietheoretisch bedenklich.“ (S.41) Fast könnte man meinen, eine Kanzlerin Merkel hat diese Empfehlungen im Sommer 2015 umgesetzt.

Wie man das im Detail macht und vor allem wie man Widerstände ausschaltet, beschreiben die beiden 2014 von der Stiftung konzipierten Broschüren „ReformKompass I. – Das Strategieinstrument für politische Reformprozesse“ und „ReformKompass II – Das Strategieinstrument für organisatorische Reformprozesse“. Hier finden sich Sätze wie der folgende: Es gelte, „die eigene Politik gegenüber politischen Gegnern durchzusetzen und gegenüber all denjenigen, die dadurch etwas zu verlieren haben.“ Zudem sollen sich entschlossene Reformer immer wieder unter anderem folgende Fragen stellen: „Welche Möglichkeiten haben die potenziellen Gegner, die Reform zu torpedieren? Gibt es formale Vetorechte? Wie könnte es den Gegnern gelingen, die Öffentlichkeit gegen die Reform zu mobilisieren? Welche Bündnisse kann und muss ich eingehen, um einen (Teil-)Erfolg zu haben, und welche Zeitabfolge (Sequenzierung) von Reformschritten ist notwendig, um die Verhandlungskorridore zu erweitern?“

Jedenfalls gerät dieses Bertelsmann-Papier sehr in die Nähe der Geheimdienst-Richtlinie 1/76 des Staatssicherheitsdienstes der DDR zur Zersetzungsarbeit gegen oppositionelle Gruppen. Dort heißt es: „Maßnahmen der Zersetzung sind auf das Hervorrufen sowie die Ausnutzung und Verstärkung solcher Widersprüche und Differenzen zwischen feindlich – negativen Kräften zu richten, durch die sie zersplittert, gelähmt, desorganisiert und isoliert und ihre feindlich – negativen Handlungen einschließlich deren Auswirkungen vorbeugend verhindert, wesentlich eingeschränkt oder gänzlich unterbunden werden.“

In anderen Ländern der Welt heißt die Bertelsmann-Methode „gelenkte Demokratie“. Noch Fragen, Kienzle?


Ausführliches, auch zum Wert von Bertelsmann-„Studien“, findet sich im Buch von Josef Kraus: „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“. Erschienen 2017. Dort S. 23 – 50 das Kapitel „Machtspiele – Eine Stiftung hält die Fäden in der Hand“

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