Am Beispiel der Wahl eines der beiden neuen Bundesvorsitzenden der Grünen lässt sich dieser Tage bestaunen, wie Mainstream-Journalismus in Deutschland funktioniert, und wie verwahrlost seine professionellen Maßstäbe sind.
I.
Robert Habeck ist in der Politik ein eher ungewöhnlicher Mann. Ein Schriftsteller, der gemeinsam mit seiner Frau Romane schreibt („Unter dem Gully liegt das Meer“). Gemeinsam ziehen sie auch vier Kinder groß. Beides ist mir sympathisch, ich schreibe ja selbst Romane, nur ist mein Gefühl an dieser Stelle vollkommen irrelevant. Sein Geld verdient Habeck seit zehn Jahren überwiegend als Berufspolitiker, sechs davon als Landesminister in Schleswig-Holstein. Schön, dass das auch mal ein Schriftsteller schafft. Als Bundespolitiker ist er ein unbeschriebenes Blatt, sieht man davon ab, dass seine Talkshowtauglichkeit hinreichend bewiesen ist. Das ist mir nicht ganz so sympathisch, aber kann man Habeck schlecht vorwerfen. Und auch dies darf nicht die geringste Rolle spielen, wenn ich mich als Journalist über ihn auslasse.
II.
Nach seiner Wahl hob im deutschen Äther, auf den Mattscheiben und im Blätterwald sogleich ein rauschhafter Jubel an, ein gewaltiges Hossiana-Singen. Gegen die Oden an Robert ist Schillers Ode an die Freude ein besinnliches Gute-Nacht-Lied. Jauchzet, frohlocket! Polit-Heiland Habeck ist herabgestiegen, ein Erlöser der Grünen, ach was, ein Retter der deutschen Politik in ihrem Jammertal.
III.
Geht es noch betrunkener? Geht es nicht. Die Meute lechzt angesichts der schon halb abgewrackten GroKo-Gilde nach einem neuen „Popstar“. Kurzerhand wird Bundesnovize Habeck dazu ernannt. Auf ihn hat man schon gewartet. So versetzt sein Auftritt auf dem Bundesparteitag Heerscharen von Reportern in schiere Verzückung. Er wird „gefeiert wie eine Zeitenwende“ (die Welt in einer der wenigen distanzierteren Artikel von Ansgar Graw). Aber die gelegentlich noch immer bürgerliche Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zum Beispiel verliert die Contenance, rühmt nicht nur Habecks „Starqualitäten“, sondern schließt mit der Fanfare: „Was für ein Anfang! Wie spannend. Und vielleicht: Wie erleichternd.“
IV.
Nun gut, mag man sagen. Tante ARD wird´s eine Nummer kleiner haben. Steht doch eine gewisse Tina Hassel dem „Hauptstadtstudio“ vor und beweist fast täglich, dass auf dem Bildschirm das Berliner Geschehen noch nichtssagender kommentiert werden kann als vom Regierungssprecher persönlich. Doch Hassels Tina lässt ihren Habeck-Überschwang auch noch auf Twitter von der Leine, dass es die helle Freude ist. Sie rühmt die Frische. „#Verantwortung kann auch Spaß machen“ belehrt sie uns. Proteste gegen ihre euphorische Parteinahme kontert Hassel im Namen der ganzen ARD mit dem Argument: Ihre Schwärmerei befinde sich in „großer Übereinstimmung“ mit den allermeisten Zeitungskollegen. Das muss man sich zweimal geben. Madame Mainstream begründet ihre gedankenlose Gesinnungseuphorie mit dem Mainstream. Merke: Der Mainstream nährt sich selbst.
V.
Womit hat Habeck das verdient? „Er kommt einfach locker daher…und schreibt auch noch ein Buch, das davon erzählt, wie sehr Politik eine fröhliche Sache sei,“ (Frank Pergande, FAS). Echt? Er könnte jetzt getrost das Budget der Grünen entlasten und die Werbeabteilung einstellen. Auch eine Pressestelle haben die Grünen nicht mehr nötig. Haben sie doch den Mainstream auf ihrer Seite.
VI.
Kann Fröhlichkeit alles sein? Natürlich nicht. Unisono wird unterstrichen, dass Habeck ein Realo sei. Jeder, der in den Weihrauchschwaden auf dem Parteitag noch seinen Laptop bedienen kann, bemüht diese Schablone. Der Mann muss also total harmlos sein. Ein liberaler Jamaikaner. Kaum einer hört hin und nimmt zur Kenntnis, dass Habeck in seiner bewunderten Rede den „postmodernen Kapitalismus“ geißelt, „Umverteilung“ und mehr Staat fordert, kurzum: einen veritablen Linksrutsch ankündigt, verglichen mit dem Kurs seines Vorgängers Özdemir.
VII.
Und außerdem hatte Habeck die Parteitagsdelegierten zuvor auf gute, alte Macho-Art erpresst, hat eine Satzungsänderung erzwungen, die ihm erlaubt Minister und Bundeschef zugleich zu sein. Sonst trete er nicht an. Genau: Verantwortung kann auch Spaß machen. Merke: Der Mainstream bewundert, verherrlich, vergöttert, verehrt die schiere Macht. Wenn sie auch noch grün angestrichen ist!
IX.
Ich bin gespannt auf diesen Habeck. Lassen sich die Grünen erneuern? Von ihm? Falls ja, wie? Was kann einer wie er in diesem seit Jahrzehnten gärigen Haufen ausrichten? Oder zählen jetzt auch die Grünen zum Typus einer Merkelpartei? Alles folgt dem/der Führer/in? Kaum vorstellbar. Robert Habeck hat offene Neugier und professionelle Skepsis verdient. Ist das zuviel verlangt?