Merkeldämmerung nun auch beim Spiegel? Zwar hat man in Hamburg „Die Story“ links liegen lassen, hat in der aktuellen Ausgabe exklusiv zur Verfügung stehende Papiere, den Willen des EU-Parlaments, Deutschland zum dauerhaften HotSpot der Zuwanderung zu machen, schamvoll auf einer Drittelseite verwurstet, aber nun tippt der stellvertretende Chefredakteur Dirk Kurbjuweit in einem Morgengruß Folgendes in die Tasten:
„Nehmen wir einmal den Prototypen des vernünftigen, pragmatischen Bürgers, nicht voreingenommen, nicht ideologisch. Er ist prinzipiell bereit, mit Merkel mitzugehen, in die eine wie in die andere Richtung. Aber er will gute Argumente hören, will widersprechen können, will überzeugt werden. Dieser Bürger, es gibt viele davon, wird komplett im Stich gelassen von der Bundeskanzlerin.“
Eigentlich ja eine passende Umschreibung, die erklärt, warum trotz der Lage im Land immer noch annähernd die Hälfte der Bürger bereit wären, den GroKo-Parteien ihre Stimme zu geben, aber doch schon wahrnehmend, dass diese Zustimmung keine ungebrochene mehr ist. Und selbst im Refugee-SPIEGEL wächst ein Unbehagen ob der Wirklichkeitsferne.
Und siehe da, es ist eine Zahl, die verdächtig nah an der in der Sondierungsvereinbarung genannten Obergrenze läge. Eine Zahl, muss man anfügen, die aus SPD-Sicht gar keine Vorgabe ist, sondern wohl nur so etwas wie eine Bestandsaufnahme der letzten Jahrzehnte ohne Bedeutung für die Zukunft. Es können auch mehr sein. Gerne. Wie auch, könnte man fragen, angesichts besagter Pläne des EU-Parlaments für eine neue Massenzuwanderung nach Deutschland.
Die SPD in Gestalt ihres größten Zuwanderungsbefürworters Ralf Stegner spricht jetzt sogar von einer „Intrige der CSU“, bestimmte Punkte zur Zuwanderungsbegrenzung seien „definitiv vorher nie verhandelt“ worden. Ursprünglich hätte man sich verständigt, Asylsuchende künftig „in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen“ unterzubringen. In einer frühen Fassung des 26 Seiten umfassenden Sondierungspapiers hieß es nämlich noch, es solle „Residenzpflicht“ herrschen und das „Sachleistungsprinzip“ gelten. Der Spiegel erklärt, das bedeute: „Flüchtlinge sollen kein Bargeld erhalten und das Aufnahmezentrum nicht verlassen dürfen.“
Also eine Rückkehr hin zu den jahrzehntelang geltenden konsequenten Vorgehensweisen bei Zuwanderung und Asyl. Pikanterweise wurde das Sondierungspapier auf dem Laptop des CSU-Generalsekretärs Scheuer geschrieben, so als wäre man in den Sondierungen nicht einmal in der Lage gewesen, dafür einen neutralen Rechner zu beschaffen. Schriftführer Scheuer mag es recht gewesen sein.
Dazu passt dann auch ein Papier des Ministeriums der Justiz aus Rheinlandpfalz, „Landesrecht Online“, dass jetzt erst viral wurde, das vom OLG Koblenz 1. Senat für Familiensachen stammt mit Entscheidungsdatum 14.02.2017. Dort nämlich heißt es zum Thema unerlaubte und strafbare Einreise in die Bundesrepublik Deutschland: „Die rechtsstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik ist in diesem Bereich jedoch seit rund eineinhalb Jahren außer Kraft gesetzt und die illegale Einreise ins Bundesgebiet wird momentan de facto nicht mehr strafrechtlich verfolgt.“
Mit sehr viel, wahrscheinlich mit zu viel gutem Willen, könnte man den GroKo Sondierungszankereien zu Gute halten, dass die Teilnehmer der Sondierungsgespräche ahnten, was für Aufgaben auf sie zu kommen und wie der Bürger das zukünftig bewerten wird. Erwartbar darf sein, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik noch keine Regierung geschafft haben wird, so wenig Zustimmung in der Bevölkerung hinter sich zu vereinen. In den jüngsten Umfragen liegt die SPD bei 18,5 Prozent. Ob Umfragen etwas aussagen, kann bezweifelt werden. Wenn sie nur eine Richtung kennen, nämlich nach unten, bedeuten sie schon was.