Auf der Website des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) signalisiert die Suchfunktion beim Stichwort INTEGRATION sage und schreibe 1.570 Treffer. Die ersten zehn, beginnend mit „Integration durch Sport“ sind nicht gerade aktuell, der jüngste 2013, der älteste 2006! Die ersten acht gelten als 100% Volltreffer, bei neun und zehn ist die Trefferqualität bereits auf 80% gesunken. Auch beim „Schwerpunktthema Forschung“ geht es gleich mit älteren Ergebnissen los, 2008 mit 100% Trefferqualität, dann dreimal 2014 und 2012, alle bereits mit nur noch 80%.
Die Suche nach dem in der deutschen Öffentlichkeit inzwischen heftig umstrittenen Thema „Muslimische Immigration“ ergibt ein Projekt „Muslimisches Leben in Deutschland 2016“, in dem 2.000 Musliminnen und Muslime telefonisch interviewt wurden. Unterthemen waren „Vorschulische Kinderbetreuung aus Sicht muslimischer Familien“ sowie „Altenpflege für Muslime“.
Eine Anfrage bei der BAMF-Forschungsabteilung im Dezember 2017, ob es bei der Vielzahl von Integrationskursen auch eine Definition des Integrationsbegriffs gebe oder Zielbeschreibungen, was dabei erreicht werden soll, wurde umgehend, aber wenig befriedigend beantwortet. Man verwies auf das Glossarium der BAMF-Website:
„Integration ist ein langfristiger Prozess. Sein Ziel ist es, alle Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben, in die Gesellschaft einzubeziehen. Zugewanderten soll eine umfassende und gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht werden. Sie stehen dafür in der Pflicht, Deutsch zu lernen sowie die Verfassung und die Gesetze zu kennen, zu respektieren und zu befolgen.“
Wenn das tatsächlich alles an theoretisch-programmatischer Fundierung wäre, darf man sich nicht wundern, wenn unter den schwierigen Rahmenbedingungen und bei aller Überlastung der staatlichen und privaten Dienstleister im Migrationsprozess nicht so bald seriöse Erfolgsmeldungen erwartet werden können.
Aber wie laufen eigentlich Integrationsprozesse in den multi-ethnischen, multi-kulturellen und multi-religiösen Gesellschaften anderer Erdteile ab und wie tief ist dort die Integration in den verschiedenen Gruppen internalisiert? Südostasien bietet dazu eine Reihe interessanter Beispiele. Da ich hier 20 Jahre gelebt habe, will ich mit dem sehr heterogenen Kleinstaat Singapur beginnen. Singapur gilt als eine der wenigen stabilen Gesellschaften, in denen die Integration sehr unterschiedlicher Einwanderergruppen gut funktioniert. Einer Mehrheit von 75% Chinesen stehen 13% Malaien, 9% Inder und wenige Eurasier gegenüber. Dazu kommen, nach Bedarf fluktuierend, etwa 2 ½ Millionen ausländische Arbeitnehmer mit beschränktem Bleiberecht.
Bei der Staatsgründung 1965 wurden auf dem Hintergrund von ethnischen Unruhen, auch in Malaysia, die wichtigsten Grundlagen des Zusammenlebens festgelegt. Dazu gehört vor allem die formelle Gleichberechtigung von vier Amtssprachen, Malaiisch als Nationalsprache, Mandarin, Tamil und Englisch. Englisch und Mandarin haben sich inzwischen weitgehend durchgesetzt, Malaiisch und Tamil bleiben Minderheitssprachen, unter den Älteren überleben weitere chinesische Dialekte und andere regionale Sprachen.
Die zweite wichtige Grundsatzentscheidung war eine Steuerung der Wohnverteilung, um jeden Ansatz von Ghettobildung zu unterbinden. Da etwa 80% der Bevölkerung im öffentlichen Wohnungsbau leben war die prozentuale Verteilung und Mischung der Ethnien administrativ machbar, Wohnungen können nicht beliebig, sondern nur nach dem ethnischen Proporz neu erworben oder weiterverkauft werden. Voraussetzung für diese Politik war allerdings eine Klassifizierung der Bevölkerung nach den „Rassen“ Chinesen, Inder, Malaien und Sonstige („others“), die im Melderegister, in Ausweisen, Pässen, Führerscheinen und vielen Fragebögen für jeden sichtbar sind.
In Europa wären sowohl die ethnische Klassifizierung als auch die Wohnungsverteilung weitgehend undenkbar, allerdings in bestimmten Ansätzen vielleicht doch umsetzbar, wenn politisch gewollt. Über Residenzpflichten wird ja in Deutschland immerhin nachgedacht, obwohl sie bisher nicht einmal in Ansätzen durchsetzbar waren. Ausländerbehörden und Bürgerämter waren in jeder Hinsicht überrollt und überfordert.
Die dritte Säule ist die Bildungspolitik. Durch die Wohnungsquotierung und eine daran gekoppelte Einschränkung der Schulwahl ergibt sich von allein eine entsprechende Integration vom Kindergarten bis zur Universität. Eine ethnisch sensible Lehrerausbildung und die in Asien übliche positive Einstellung der Gesellschaft gegenüber schulischen Leistungen und Bildung allgemein führen regelmässig zu international anerkannten Erfolgen. Bei der Wahl der Studienfächer und Berufe bleiben aber traditionell erhebliche Unterschiede.
Schliesslich, viertens, erzwingt der zweijährige Militärdienst mit späteren Wehrübungen, dem sich niemand entziehen kann, ein ethnisch durchmischtes Miteinander, das oft zu lebenslangen Freundschaften führt und erheblich zur Integration beigetragen hat.
Die öffentlich beschworene und gefeierte „racial harmony“, für die potentiell spalterische Äusserungen auch sofort sanktioniert werden, hat aber durchaus einige Schwachstellen im Detail, wenn man genauer hinschaut.
Bei 75% Dominanz der Chinesen, hat auch die indische Minderheit ihre Probleme, obwohl sie ökonomisch und bei den Bildungsabschlüssen besser dasteht als die Malaien. Selbst unter den Chinesen bleiben Herkunfts- und Sprachunterschiede virulent und von Vorurteilen über die anderen chinesischen Gruppen behaftet, in letzter Zeit zunehmend gegen die Einwanderung von Chinesen aus der Volksrepublik, die wiederum auf das schlechte oder altmodische Mandarin und abergläubische Traditionen der Singapurer herabblicken, die in China längst verschwunden sind.
Was an der Oberfläche des täglichen Miteinander gut funktioniert, lässt im Kleinen doch häufig Schwachstellen der Integration deutlich werden. Auf den Spielplätzen sieht man indische und andere Kinder eher unter sich spielen. Die chinesischen Jugendlichen spielen eher Basketball, die indischen lieber Fussball. Die Bevölkerungsgruppen bevorzugen ihre ethnische Küche ebenso wie Kollegengruppen in Firmen und Büros. Es gibt chinesische Singapurer, die ohne Scheu erklären, dass sie noch nie indisch gegesssen haben, obwohl Singapur überall die spannendste kulinarische Vielfalt bietet.
Ermutigend ist dagegen die Entwicklung von ethnischen Mischehen, die sich von 5% vor 30 Jahren inzwischen auf über 20% vervierfacht haben. Mit deutsch-türkischen Mischehen sieht es wohl ähnlich aus, die integrative Entwicklung dauert offenbar etliche Jahrzehnte und entwickelt sich auch dann noch recht zögerlich.
Bei der Religion gibt es allerdings weniger Kompromisse, da Muslime auf einer Konversion von Partnern anderer Denominationen bestehen und in ihrer ethnisch-religiösen Umgebung unter Beobachtung und Druck stehen. Das hat auch zivilrechtliche Konsequenzen, weil Familien- und Erbrecht, darunter auch Scheidungen, einer parallelen Jurisdiktion nach dem „Administration of Muslim Law Act“ unterliegen. Die latent immer heikle Religionsfrage hat zu einer staatlichen Förderung des Islam geführt, unter anderem durch einen speziellen Moschee-Bau-Fonds, in den jeder Beschäftige monatlich einen geringen Beitrag einzahlt. Die fortschreitende religiöse „Arabisierung“ in den Nachbarländern Indonesien und Malaysia hat in den letzten Jahren auch zu einer verstärkten Wachsamkeit gegenüber fundamentalistischen Tendenzen geführt, letztlich öfter zu Einreiseverboten für bestimmte Prediger. Ende Dezember berichtete die Presse über einen Singapurer ISIS-Kämpfer, der in einem Propaganda-Video bei der Ermordung von Geiseln zu sehen ist. Was tatsächlich im Untergrund abläuft bleibt weitgehend unkontrollierbar.
Dr. Wolfgang Sachsenröder war fast 25 Jahre als Politikberater international tätig. Seit 2009 lebt er wieder in Singapur und forscht und publiziert über Parteien in Südostasien, u.a. mit dem Blog www.partyforumseasia.org