Ein Titelbild soll zum Kauf anregen, den Inhalt des Heftes bündeln. Geht man danach ist der Spiegel diese Woche lächerlich. Wenn viele Menschen Weihnachten feiern – muss man sich über den Kern, die Geburt Christi lustig machen? Es mag sein, dass einige Redakteure des Spiegels noch gegen ihren Kinderglauben glauben revoltieren zu müssen. Diesem Niveau entspricht der Titel. Mutig ist er übrigens nicht, nur so feig wie gedankenlos. Wir warten jetzt auf eine entsprechende Darstellung Allahs zum nächsten Ramadan; vermutlich würden dann unsere Weihnachtsmärkte schon jetzt verbarrikadieren. Aber das eigentlich verheerende: Wer gibt schon Geld am Kiosk für eine Schülerzeitung aus? Was kann man inhaltlich noch erwarten, wenn das Titelbild auf dem Niveau von „Bätschi“-Nahles als der neuen intellektuellen Leitwährung der SPIEGEL-Crew daher kommt?
Und so ist der Sonntagsleser richtiggehend dankbar, dass in diesem Heft das Thema Groko ein Randthema bleibt und das Getümmel in der CSU um Horst Seehofer und seinen designierten Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Markus Söder, sachlich und ohne nachtragende Häme berichtet wird. Mal.
In dem aktuellen Titelthema „Der Kunde als Gott“ beschreiben Simone Salden, Antonia Schaefer und Bernhard Zand, wie der Onlinehandel von China bis Deutschland und in den USA den lokalen Handel marginalisiert. Mir kommt dabei allerdings zu kurz, wie den Einzelhändlern in den Städten und Gemeinden die Existenzgrundlage abhandenkommt und damit ein wichtiger Teil der Lebensqualität schwindet. Unwidersprochen kann ein Consulter die große bunte Welt des Onlinehandels beschreiben – ein sehr einträgliches Geschäft der Branche derzeit. Die politische und gesellschaftliche Relevanz bleibt in dem Bericht leider außen vor, wird auch nicht durch einen fachkundigen Kommentar ergänzt. Für eine älter werdende Gesellschaft, die auf kurze Wege angewiesen ist, ist es kein Gewinn an Lebensqualität, für jeden Einkauf ins Internet gehen zu müssen. Dann gibt es nämlich irgendwann auch Wasser, Mehl, Reis, Kartoffeln, Linsen, Eier, Fleisch, Wurst und andere Grundnahrungsmittel nur noch Internet, mit Qualitäten, die man nicht mehr selbst bestimmen kann und mit Verfügbarkeiten, auf die man keine Einfluss mehr hat. Auch ein Wochenmarkt – hier muss ich vehement dem Bericht wiedersprechen – ist nichts Nostalgisches, sondern ein Teil der europäischen Lebens(mittel)kultur. Leider scheint den Politikern, die vollmundig die Forcierung der Digitalisierung ankündigen, diese Gefahr für ein funktionierendes gesellschaftliches Leben und die Grundversorgung der Bevölkerung vollkommen gleichgültig zu sein.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass sich im aktuellen Heft eine Sonderveröffentlichung der Firma All You Need GmbH befindet, Online-Supermarkt von DHL. Darin wird das physische Einkaufen als das „Einkaufen gestern“ bezeichnet und zudem für die Spiegel-Leser ein besonders Angebot geschnürt. Man folge einem im Heft veröffentlichten Link. Nicht nur mit dem Titel entwertet der SPIEGEL sich selbst – auch mit seinem Abkassiermodell.
Ich plädiere mit Nachdruck dafür, dass in einer konzertierten Aktion der EU-Mitglieder Wochen- und Erzeugermärkte für Endverbraucher – ob im Freien oder überdacht in Markthallen – von der UNESCO als immaterielles Kulturgut anerkannt und damit geschützt werden.
In „Zwei sind einer zu viel“ mutmaßen Veit Medick und Christoph Schult, dass Sigmar Gabriel am Ende Martin Schulz aussticht. Mag sein. Mal sehen, wer in den nächsten Wochen beim Poker um Vorleistungen in den Vor-Koalitionsgesprächen wirklich etwas erreicht oder nur demagogisch auf den Putz haut.
Kaum ein Thema liegt der SPD für die Sondierungsgespräche so sehr am Herzen wie die Bürgerversicherung. Welche Fehlentwicklungen die gesetzlichen Krankenkassen und Ersatzkassen kultivieren, beschreibt die Redaktion in „Patient krank, Kasse gesund“. Es hat sich ein System entwickelt, das mehr für sich selbst lebt als für die Patienten, und in der Selbststärkung – um nicht zu sagen Selbstbedienung – sein ehrgeiziges Ziel zu sehen. Auf der einen Seite werden Patienten auf dem Papier – oder sagen wir: in den Daten – kränker gemacht, als sie wirklich sind, nur um Gelder aus den Ausgleichtöpfen zu bekommen; vor allem chronisch Kranke werden gerne in den Listen geführt. Auf der anderen Seite werden genau diese Patienten von den Kassen gemobbt; es werden Leistungen verweigert, vorenthalten. Die Mehreinnahmen werden einbehalten, Leistungen aber nicht oder nur zögerlich erst nach mehreren Anläufen gewährt. Mir sind Fälle bekannt, in denen Leistungen jedes Mal zweimal beantragt werden müssen, weil sie beim ersten Mal grundsätzlich abgelehnt werden, Leistungen, die nach dem Sozialgesetzbuch unstrittig gewährt werden müssen. Dieses System zu kultivieren, sind Karl Lauterbach und andere Linksausleger angetreten. Jetzt wird es als Ideal verkauft.
Das Ende der Ära Seehofer läutet der Spiegel mit zehn Seiten ein. „Feinde fürs Leben“ fasst die Dynamik der letzten Wochen fleißig zusammen. Erhellender ist das Interview „Ich kann loslassen“, das Horst Seehofer den Redakteuren René Pfister und Ralf Neukirch gab, über die Fehler der letzten Monate und die Pläne für ein Leben nach der Politik. Nachdrücklicher hätte er bei Kanzlerin Merkel für eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen eintreten müssen. Das Gespann Horst Seehofer als Noch-Parteivorsitzender und Markus Söder als designierter Ministerpräsident von Bayern werden eine harte Nuss sein in den Sondierungsverhandlungen mit der SPD. Phantastereien wie Eurofonds und das Aus für die Private Krankenversicherung werden auf Granit stoßen.
Gerald Traufetter und Andreas Wassermann, berichten, dass in Berlin diskutiert wird, mit einem „BER light“ als Rumpfprojekt an den Start zu gehen, damit 2020 überhaupt irgendetwas in Betrieb gehen kann. Ausgerechnet das Hauptterminal soll von der Inbetriebnahme ausgeschlossen werden. Mittlerweile schadet das Bauchaos dem Image der deutschen Ingenieurkunst ebenso stark wie die Dieselbetrügereien der Automobilkonzerne.
Martin Hesse erklärt uns in „Das System zerstört sich selbst“, dass Ex-Dresdner-Bank-Vorstand Leonhard Fischer sich vom Saulus zum Paulus gewandelt habe und gemeinsam mit Ex-Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann die Finanzmärkte revolutionieren will: Das klingt doch verdächtig nach Titanic.
Bis auf Seite 144 muss man vorblättern, um sich von Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der LMU München, erklären zu lassen, wo die großen Volksparteien versagt haben. Unbedingt lesenswert „Arithmetik oder Algebra?“.
In der allgemeinen Freudenstimmung über die Vollendung der ICE-Neubaustrecke von München nach Berlin verstört Christian Wüst mit seinem ernüchternden Beitrag „Rennbahn mit Knick“. Informativ und interessant.
Johann Grolle unterhält sich mit dem Biologen Jonathan Losos und schreibt mit „Von einem anderen Stern“ ein bereicherndes Stück über die großen Fragen der Evolution. Endlich erfahren wir, wie sich ein Tier wie das Schnabeltier mit Entenschnabel, Biberschwanz, Giftstachel und Elektrosinn entwickeln konnte. Zudem erfahren wir, dass die Tiere und Pflanzen sich bei Klimaänderungen vermutlich anpassen werden.
Ist das nicht cool? Aber wem nutzt es? Denn cool ist out, schreibt Xaver von Cranach. Die Welt gehört den Böhmermanns, den Nervösen und Hibbligen.
Ich erfuhr erst durch den Spiegel, dass Skandalnudel Christine Keeler, ehemals Nachtclubtänzerin, Fotomodell, Callgirl und Geliebte des britischen Kriegsministers John Promuno, nicht mehr unter den Lebenden weilt. Vor 54 Jahren füllte sie allein die Spalten von Bild, Quick und Revue und ergötzte manch pubertierenden Knaben.
P.S. Schon oft habe ich mich in der Vergangenheit über Geschichtsvergessenheit, krude Assoziationen und Rosstäuscherei im Titelbild ausgelassen. All das könnte ich jetzt wieder auffahren. Aber es wär zu flach für die Ungeheuerlichkeit, die sich die Spiegel-Grafik geleistet hat. Einmal abgesehen davon, dass offenbar der theologische Kern von Weihnachten entweder nicht verstanden wird oder in aller Religionsferne auch nicht verstanden werden will: Als Karikatur könnte man über da Titelbild noch streiten, als Collage hat es nicht einmal künstlerischen Wert. Es ist nur mangelnder Respekt vor den Gefühlen anderer Menschen.