Aus aktuellem Anlass will ich einen Blick auf das Ende der Jamaika-Verhandlungen und die damit verbundenen Marktreaktionen wagen.
Die Politik mit klar erkennbaren, unterschiedlichen Positionen, kehrt zurück nach Deutschland und das ist in meinen Augen verdammt gut so. Denn diese Unterschiede sind das Futter einer lebenden Demokratie, ein Umstand der in Deutschland ohne demokratische Tradition leider nie richtig gelernt worden ist.
Darauf beruht auch diese hier so beliebte Romantisierung von runden Tischen und die Furcht, Dinge mal nicht im Konsens mit Händchenhalten zu entscheiden, die nur den unguten Folgeerscheinungen eines dominanten Korporatismus Vorschub leistet. Diese konsenssüchtige Grundhaltung, die eher zu Formelkompromissen statt demokratischen Alternativen führt, wurde von Merkel nicht nur gefördert, sondern geradezu personifiziert.
Das Ende der Demobilisierung des Politischen
Das Ergebnis war eine jahrelange Entpolitisierung, eine Demobilisierung des Politischen, eine moralisch verbrämte Art Gleichschaltung, die von den Medien auch noch befördert wurde. Diese hatte für mich tatsächlich etwas von den Verlautbarungen eines Zentral-Staates, man wähnte sich immer moralisch auf der richtigen Seite der Geschichte, vorwärts immer, rückwärts nimmer.
Dieser dominanten Haltung der letzten Jahre hat die FDP nun ins Gesicht gespuckt, auch weil sie gar nicht anders konnte, wenn sie bei der nächsten Wahl nicht wieder untergehen wollte. Insofern haben wir es hier tatsächlich mit einer Zeitenwende und einem historisch bedeutsamen Moment in der Geschichte der Bundesrepublik zu tun und die FDP wird nun die ganze Wut derer abbekommen, die dabei etwas zu verlieren haben.
Appell an das emotionale Konsensbedürfnis der Deutschen
Selbstverständlich hat die FDP dabei auch taktische Erwägungen, ihr das aber vorzuwerfen erscheint mir zutiefst pharisäerhaft, denn die anderen Parteien haben natürlich keine taktischen Erwägungen, schon klar. Und dass jetzt, fast 100 Jahre nach der letzten, eine neue „Dolchstoßlegende“ kreiert wird, nach der man doch einer Einigung „so nahe“ war und nur die „böse FDP“ das torpediert hat, ist in den Absichten völlig offensichtlich. Vier Wochen lang hat man nur eckige Klammern produziert, hat salbadert und in den Medien übereinander hergezogen und durchgestochen, nur inhaltlich hat man nicht viel auf die Reihe bekommen und Vertrauen ist so schon gar nicht entstanden. Und nun soll die FDP „schuld“ sein, weil sie als Einzige irgendwann die Konsequenzen zieht.
Wie vorgeschoben diese Argumentation ist, die an das emotionale Konsensbedürfnis der Deutschen appelliert, kann man leicht daran erkennen, wenn man sich überlegt, was denn in anderen Szenarien passiert wäre. Hätte die FDP mit dem Argument „das wird sowieso nichts“ die Sondierungen gar nicht erst aufgenommen, wäre man über sie als „Leichtmatrosen“ und „Verantwortungslose“ hergefallen. Hätte die FDP nicht bis zur Nacht der langen Messer mitgemacht, hätte man ihr vorgeworfen, gar nicht ernsthaft verhandelt zu haben – was man nun auch wieder versuchen wird.
Die Verlierer der Nacht
Im Auseinanderfallen werden daher auch die wahren Machtlinien und Absichten dieses „Projekts“ deutlich. Dieses war ein zutiefst gewolltes Projekt der Realo-Grünen und der Merkel-CDU, treffend im menschlich hervorragenden Einvernehmen zwischen Merkel und Kretschmann repräsentiert. Folgerichtig ist das Entsetzen und die Enttäuschung auf dieser Linie auch am größten, da wurden gerade politische Lebenshoffnungen begraben. Das wirkliche strategische Projekt, auf das Merkel nach meinem Eindruck lange hingearbeitet hat und weswegen sie die CDU immer weiter nach links geschoben hat, war vermutlich Schwarz-Grün als neue bürgerliche Mitte. Dafür hat man nun aber dummerweise die FDP als Mehrheitsbeschaffer gebraucht und wohl unterschätzt, dass diese genau verstanden hat, dass das ihr Untergang gewesen wäre und man sie nur am Katzentisch dabeihaben wollte.
Und die CSU? Über die decken wir den Mantel des Schweigens, auch die erleidet durch die Konsequenz der FDP einen immensen Gesichtsverlust, der massive Folgen haben wird. Verlierer des Geschehens der letzten Nacht, ist entgegen anderslautender Meinungen übrigens vielleicht auch die AfD. Viele haben bei der Partei als „Denkzettel“ ihr Kreuzchen gemacht, ohne deswegen mit dem Personal wirklich glücklich zu sein. Viele haben auch die FDP nur deshalb nicht gewählt, weil sie davon ausgegangen sind, dass Lindner umkippen würde und ihre Stimme, die sich gegen Merkel richtet, damit verloren wäre.
Das wird sich nun vielleicht ändern. Die FDP wird ein paar Konsensverliebte verlieren, die erschreckt aufwachen ob der Aussichten, dass politische Haltung in Deutschland wieder zu harten Konsequenzen führt und korporatistische Händel um jeden Preis ihre Grenzen haben. Die FDP wird aber in Zukunft einige Stimmen bekommen, die zuletzt der AfD zugeflogen sind. Für die AfD, die von der Antithese zu Merkel lebt, sind das gar nicht so gute Nachrichten. Für ein Deutschland, das wieder anfängt Demokratie zu leben, aber sehr wohl.
Der Markt und seine einzige Sorge
Was den Markt angeht, habe ich im Kreis der Mr-Market Mitglieder schon heute sehr früh meiner Erwartung Ausdruck gegeben, dass die Reaktionen sich vorerst noch im Rahmen halten werden. Denn für den Markt wird es erst dann richtig ernst, wenn der Euro wackelt und die Schuldenkrise wieder ihr Haupt erheben sollte. Von außen gesehen, erscheint das auch ganz einfach, solange Merkel immer noch Regierungschefin ist und die beständige Raute formt, besteht durch das Scheitern von Jamaika zwar eine leichte erhöhte Wahrscheinlichkeit für Unruhe, aber der Euro ist erst einmal nicht in Gefahr.
Direkt nach der Wahl habe ich hier auf TE dargelegt dass es ein größeres Risiko gibt, als die meisten ahnen, dass Deutschland nach der Wahl zu einem unsicheren Kantonisten wird, weil keine stabile Regierung gebildet werden kann. Die Märkte hatten und haben dieses Risiko noch weitgehend nicht auf dem Radar. Dieser Prozess des Erkennens hat nun begonnen, er beginnt aber langsam und, wie oben gesagt, erst wenn Merkel zurücktreten sollte, wird der Gedanke so richtig im Markt ankommen, denn die Sicht ausländischer Anleger auf Deutschland ist doch sehr von Merkel – der ewigen Kanzlerin – geprägt. Da ist ja nun auch noch ein sozialdemokratischer Präsident und eine SPD, die zwar alle Türen zu verrammeln versucht, in dieser Vehemenz aber gerade ihre Sorge vor den Fragen zeigt, die nun aufgeworfen werden.
Insofern sind wir nun in ungewissen politischen Gewässern, solange der Euro und die Unterstützung der EZB bei der Politik der zinstechnischen Finanzierung der Südländer von den Geschehnissen in Deutschland aber noch nicht betroffen ist, wird es im Markt weiter eher ruhig zugehen und das Geschehen in Deutschland ein lokaler Event bleiben. Ob überhaupt und wann sich das ändert, hängt nun von der politischen Entwicklung ab und ist daher unvorhersehbar. Wenn es sich aber ändert und hier grundsätzliche Fragen zum Euro und zur EZB gestellt werden, wird es am Markt kräftig rauschen, da bin ich ganz sicher. Eine leichte Vorahnung der Richtung bekommen wir heute, DAX runter und Euro runter.
Die US Märkte sind klar im Aufwärtstrend
Während es hier politisch unsicherer wird, stehen die Anzeichen für die US Indizes aber zum Jahresende weiter klar auf Grün, besonders schön kann man das am breiten Nebenwerte-Index Russell 2000 sehen, der eine wunderbare Konsolidierung vollzogen hat, die bullisch zu werten ist:
Diese Woche ist außerdem „Thanksgiving“ und dann der Supereinkaufstag „Black Friday“ in den US, eine traditionell fast immer starke Börsenwoche und dieses zu einem Zeitpunkt, wo das Sentiment eher skeptisch geworden ist und damit Raum für eine positive Überraschung lässt.
Die Institutionellen sind in den US unterinvestiert und haben in Europa schon gekauft
Auch ein weiterer Faktor spielt hier herein, die Aufstellung der Fund-Manager im November wie jeden Monat von Merrill Lynch erfasst. Seit Wochen sagt man uns in den Medien, dass wir ja die Eurozone übergewichten sollten, weil die Bewertungen in den US im Vergleich zu hoch seien. Mit Verlaub, das ist nach meiner Einschätzung eher der falsche Ansatz. Erstens sind Bewertungen kein Timing-Indikator für die kommenden Monate, waren es nie und werden es nie sein. Zweitens wirkt auch hier die Reflexivität. Gerade weil das lange die Haltung vieler Institutioneller Anleger war, sind diese nun im Euroraum investiert und darin relativ übergewichtet. Und wenn alle schon gekauft haben, fehlt der Nachschub, weswegen das Überraschungspotential eher in den US Indizes liegt. Die neuen Fragezeichen um Deutschland werden diesen Trend eher verstärken.
Auf ein gutes Jahresende in den US Indizes setzen
Im Gesamten ergibt sich also ein Bild von Chancen zum Jahresende, die aber vor allem auf der anderen Seite des Atlantiks gesucht werden sollten. Hier in DAX und Co., wird die offene politische Situation dagegen die eine oder andere Schleifspur hinterlassen. Natürlich ergeben sich durch das Scheitern von Jamaika aber auch hier in Deutschland selektive Chancen, wozu natürlich auch beispielsweise RWE gehört.
Denn dass es nun bis zu Neuwahlen keine Regierung mit den Grünen geben wird – die SPD ist ja keineswegs kohlefeindlich und den in RWE dominierenden Gemeinden und den Gewerkschaften nahe – ist für RWE ein dicker Pluspunkt.
Also, lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen. Wirklich ernst für die Märkte wird es dann, wenn die politische Unsicherheit in Deutschland sich auf die EU, den Euro und die EZB auswirkt. Ob das je passieren wird, steht ebenso in den Sternen wie Angela Merkels politisches Schicksal. Der erste Schritt hin zu so einer Entwicklung wurde aber in dieser historischen Nacht getan.
Wandel bringt Chancen
Freuen wir uns auch darauf, dass endlich echte politische Gegensätze demokratisch ausgetragen werden. Was bei der AfD noch leidlich gelungen ist, nämlich Abweichler vom Groko-Konsens moralisch auszugrenzen, wird nun mit der FDP schwieriger werden, wiewohl es mit Sicherheit reflexartig wieder versucht werden wird. Wer Schwarz-Grün wirklich wollte, wer für dieses Projekt steht, wird anhand der größten Enttäuschung nun leicht zu identifizieren sein und besonders lautstark auf den Spielverderber FDP einprügeln.
Mit dem Argument der Unsicherheit, die man aus „staatspolitischer Verantwortung“ um jeden Preis vermeiden muss, könnte man übrigens auch die Fortdauer des Regiments jedes Potentaten unendlich begründen, weswegen dieses Argument für sich alleine hohl erscheint. Natürlich liegen in einem Wandel auch Unsicherheit und Risiken begründet, ein Wandel bietet aber auch Chancen und wer das als Börsianer nicht versteht, ist an der Börse sowieso deplatziert.
Ihr Michael Schulte (Hari)