Wer sich bisher nicht sicher war, welches Geschlecht sein Kind hat, wird es in Zukunft leichter haben. Die Eltern lassen bei ihrem Kind einfach ein 3. Geschlecht eintragen. Ein Fortschritt zum bisherigen „frei lassen”.
Das Gericht urteilt auf liberaler Basis
Hier argumentiert das Bundesverfassungsgericht in einer klassisch liberalen Art: Der Staat darf den Bürger nicht zwingen, sich zu bekennen – seine Rasse wird nicht erfasst, seine Religion sollte dem Staat gleichgültig sein (was die Staatskirchen mit Blick auf die für sie eingetriebenen Kirchensteuern ärgert), seine politische Zugehörigkeit kann er ändern. Das Geschlecht verliert ohnehin seine Bedeutung: Seit „Ehe für Alle“ gilt, kann es dem Standesbeamten egal sein, wer bei der Tür hereinkommt und als Ehepaar hinausgeht. Seit die Wehrpflicht nicht mehr gilt, lohnt es sich auch nicht mehr, sein männliches Geschlecht wie früher durch einen Umzug nach West-Berlin vor dem Zugriff des Militärs zu schützen. Geschlechterdifferenzen wurden abgehobelt, wo man sie gefunden hat. Gleichberechtigung ist Allgemeingut. Wenn man es konsequent weiterdenkt: Warum überhaupt noch „Geschlecht“ im staatlichen Umgang? Wohlgemerkt: im staatlichen Umgang, im Verhältnis vom Staat zu seinen Bürgern. Da kann das Geschlecht keine große Rolle mehr spielen, wenn überhaupt. So weit so gut.
Kein Genderismus
Viele Kritiker des Gerichtsurteils reagierten spontan, weil sie eine Ausweitung des Gender-Denkens fürchten, also eine quasi staatliche Anerkenntnis der Überlegung, dass „Geschlecht“ ohnehin nur sozial konstruiert sei. Mann ist eigentlich Frau, der Unterschied ist eingebildet. Das Urteil beruht aber genau auf der gegenteiligen Betrachtung. Das Urteil zum 3. Geschlecht schlägt dieser Form des Genderismus die Argumente weg. Denn die seltsame Ausformung der Natur, der Biologie lässt keine eindeutige Geschlechtszuordnung zu, sie ist unumkehrbar, unausweichlich, nicht durch Stuhlkreise veränderbar. Die Betroffenen leiden darunter möglicherweise ein Leben lang.
Wenn das so ist, stellt sich die berechtigte Frage: Warum Menschen in eine Schublade zwingen, in die sie nicht hinein wollen? Warum die durch die Biologie ausgelösten Schmerzen dadurch verschärfen? Das Thema ist zu ernst, als dass man sich darüber lustig machen dürfte. Bekanntich braucht, wer den Schaden hat, für den Spott nicht sorgen. Man sollte nicht mitspotten und die Qual der Betroffenen, die sie sich nicht ausgesucht haben, sondern die ihnen auferlegt wurde durch eine Laune der Natur, man sollte diese Qual nicht erhöhen. Das ist nicht anständig.
Die Folgen des Gesetzes sind das Problem
So weit kann man hinter dem Urteil des Gerichts stehen, einen kleinen Fortschritt für eine sechsstellige Zahl von Betroffenen darin sehen. Aber der Umgang macht es aus. Aus der notwendigen und vom Gericht eingeforderten Toleranz wird schnell ein Anspruch formuliert – ein Anspruch, den nun wiederum die große Mehrheit der biologisch nicht Betroffenen unter die Knute zwingt. Was das sein könnte, formulierte der Initiator der Verfassungsbeschwerde:
Intersexuelle Menschen werden ständig diskriminiert, nicht nur beim Gang zur Toilette. Deswegen ist die Forderung des Bundesverfassungsgerichts für uns ja so ein großer Erfolg – weil sie Folgeregelungen nach sich ziehen wird, die man bis jetzt gar nicht auf dem Schirm hatte. Was ist etwa mit geschlechtergetrenntem Sportunterricht? Mit getrennten Umkleidekabinen und Duschen in Schwimmbädern? Was ist mit der Elternschaft, bei der Festlegung von Vater und Mutter? Ich bin guter Dinge, dass sich nach dem heutigen Tag auch in diesen Bereichen viel tun wird.
Aus diesem kurzen Text rühren die Befürchtungen, die mit diesem Urteil verbunden sind. Hier geht es nicht um die Frage, ob es kein, ein, zwei oder viele Geschlechter gibt. Aus der als unerträglich empfunden Befreiung der Versklavung durch das Geburtsregister wird ein Rechtsanspruch konstruiert, der die Mehrheit von 99,9 Prozent der Bevölkerung unter die Knute zwingt.
Inflation der Rechtsansprüche
Geld Held hat diesen Vorgang am Beispiel der Migration klar herausgearbeitet: „Der Bruch von Gesetzen wird durch Rechtsansprüche gedeckt, die jedermann ohne Vorbedingung gewährt werden und zu Missbrauch einladen. Und die unbegrenzt ohne Rücksicht auf die Tragfähigkeit des Land gelten.“
In den 70er-Jahren ging die Abschaffung von „Lehrlingen“ durch „Auszubildende“ vor sich, meist Azubis genannt. Seit den 80ern reden wir ständig von Lehrerinnen und Lehrern, Kolleginnen und Kollegen, Journalistinnen und Journalisten. Eine Veränderung des Weltklimas durch dieses Wortgedampfe ist vermutlich nur deshalb nicht messbar, weil alle Sprecher die Doppelform vermummeln – von Azubis reden statt von Auszubildenden, von „Kolleschen und Kolschen“, von Parteifreuden und Parteifreuden. Achten Sie mal darauf, in jeder Partei-, Betriebs- oder Schulversammlung verführt das verfassungskonforme Wortgestammel zum heimlichen Lachreiz. Und jetzt kommt also eine Dritte Form dazu, die wir noch nicht kennen, aber bald kennenlernen werden, und zwar brutaler, als uns das lieb sein wird.
Es droht uns das 3. Geschlecht
Und genau deshalb ist das Urteil im Ergebnis so verheerend: Der akzeptierte Schutz der Opfer wird umgewandelt werden in einen gesamtgesellschaftlichen Rechtsanspruch der ganz Wenigen über ganz Viele. Und der wird wuchern. Wie wirkt sich das 3. Geschlecht auf die Frauenquote in Parteiämtern und bei Vorstandsposten aus? Es dürfte auf keinen Fall dem Frauenanteil zugeschlagen werden, denn das wäre sexistisch. Hier braucht eine „geschlechtersensible” Gesellschaft eine neue, eine 3. Quote, erwartet der Kollege Gadamer.
Entsprechend werden nun neben den Frauenbeauftragten auch eine neue Form der Beauftragung gesucht, sehr dringend und sehr schnell vermutlich. Die Arbeit, die Ertrag schafft, machen derweil die Anderen.
Das klingt witziger, als es ist. Viele Eltern werden dem angeblichen Verfassungsgebot, das jetzt flugs von Verbänden und Medien zum wichtigsten Problem seit Erschaffung der Erde aufgeblasen wird, viele Eltern könnten ihren Kindern auch schreckliches Leid antun. Immer wieder werden Beispiele von kindlichen Opfern berichtet, die durch Zwangserziehung oder durch immer früher einsetzende Hormonbehandlungen (ebenso in UK) aus ihrer eigentlich eindeutigen Geschlechterrolle „befreit“ werden. Denn angeblich ist diese Eindeutigkeit nicht mehr modern genug; nur Unverbesserliche halten daran fest, dass Mann und Frau genau dieses sind und bleiben wollen.
Das Urteil zum 3. Geschlecht löst Folgen aus, die die Richter nicht bedacht haben. Die Minderheit wird in Gestalt ihrer Funktionäre ihren Gestaltungsraum immer weiter ausdehnen und übergriffig werden.