Freunde, jetzt reichts! So haben wir nicht gewettet. Die BILD-Zeitung macht uns eindeutig klar, dass wir bei Betrachtung dieses SATURN-Spots zu weinen haben und zeigt im Sinne eines „Jetzt-helfe-ich-mir-selbst-Ratgebers“ zahlreiche Zeitgenossen, die gerade einen Werbespot betrachten und dabei vor sich hinflennen. Die Werbung hat einen neues Thema entdeckt: Den traurigen Opa. Machte im letzten Jahr noch der einsame Großvater Furore, der über den Versand der eigenen Todesanzeige die Familie wieder zusammenführte und ein „wirklich wichtiges Thema“ verdeutlichte, so hat der diesjährige Opa sein Gedächtnis fast vollständig verloren und bekommt kurzerhand eine „Virtual Reality-Brille“ aufgepflanzt, damit er sich an früher erinnern kann. Dass das Ding ziemlich rabiat über die Rübe gezogen wird, macht das nachfolgende Ergebnis vergessen: Er kommt wieder zu Bewusstsein. Technik hat schon immer schlechte Zeitgenossen begünstigt …
Die Werbung hat ja recht: Als Mann ohne Eigenschaften laden die Lichtimpulse unsere verschütteten Erinnerungen auf, auf das wir vom Pflegeheiminsassen wieder zum Individuum werden. Dabei müssen wir uns nichts vormachen; das Leben ist ziemlich simpel: Wir wachen auf. Wir machen was, wir gehen schlafen … das wiederholen wir ungefähr 22.000 Mal und dann sterben wir.
Dass die Dramaturgie auf einen Elektronikfachmarkt verweist, stimmt nachdenklich. Der Not der Konsumenten, alles überall zu bekommen, steht auf der Seite der Anbieter, kaum noch etwas leisten zu können, was sie von anderen unterscheidet. Ziel der coolen Werberelite muss es also sein, nicht den Unternehmensnutzen, sondern „das gute Gefühl“ zu erzeugen. Der Jurist und Corpsstudent Karl Marx hatte diesen Zusammenhang bereits im „Kapital Band I“ unter dem Begriff des „moralischen Verschleißes“ ausgeführt – und zwar richtig gut! Da kann so manche „Strategieabteilung“ noch etwas lernen. Das moderne Geschäft ist also nichts anderes als die Verkörperung einer Versprechung, die über die Realität hinausgeht, ja hinausgehen will. Sie schafft Idealtypen, die sich ob ihrer Unerreichbarkeit umso prägender in unsere Emotionalwelten einschleichen sollen. Der Anbieter lädt sich mit Hilfe der Werbung nicht mehr nur mit „guten Gefühlen“ auf, sondern er stellt sie fast vollständig in den Mittelpunkt. Die Emotionen an sich sind bedeutungsoffen, universell und fundamental – sie sind Perspektiven der Sinnstiftung, die aber nichts mehr mit dem Unternehmen selbst zu tun haben. Muss ja auch nicht: Konsum ist in den seltensten Fällen sinn-, sondern eher lustvoll.
Die Kreationsleistung reduziert sich auf ein bloßes Wieder-Wieder-Wieder-Inszenieren des traurigen deutschen Opas. Wer da letztes Jahr warb, weiß man gar nicht mehr … ist ja nur Werbung. Die entscheidende Frage, ob es denn etwas bringt, also Geld verdient wird, ist blasphemisch. Es handelt sich doch schließlich um „Image-Werbung“, die muss nur Gefühl erzeugen … man ist ja schließlich nicht mehr im 19. Jahrhundert. Gnade uns Gott, wieviele Opas vor Weihnachten Tränen-Sturzbäche erzeugen werden. Ein Stakkato aus Filzpantoffeln, Flanellhemden und Teewurst.
Hat eigentlich jemand bemerkt, dass die gesellschaftliche Stellung des Opas ins Wanken gerät? Nicht nur Frauen- und Familienbilder unterliegen einem Wandel, auch der Opa ist heute endlich ein anderer: Das Bild des emotionslosen, blasmusiktirilierenden Fensterbankobservators ohne Tiefe wird langsam oder stetig ersetzt durch den „fühlenden alten Mann“. Überall taucht er auf: Im Roman, im Theater, ja selbst im Altenheim hat man ihn gesehen. War die „Emotion“ bis vor kurzem der Oma vorbehalten, darf nun auch Opi weinen, seinem „ES“ freien Lauf lassen. Das ist die eigentliche Revolution des Rollenbildes – fernab vom Gendergedöns. Ich freue mich bereits ein empathischer Opa zu werden.
Soviel Wandel in einer einzigen Werbung: Somit lässt sich leicht vorhersagen, dass wir bald alle nur noch wimmernd die Werbung betrachten werden, weil uns Kinder, Frauen, Männer und Greise die wirklich „wichtigen Dinge des Lebens“ verdeutlichen. In der zeitgenössischen Werbung verdichtet sich die Tendenz der Verschmelzung von Lebenserfahrung, Marketing und Technologie in eingängiger Weise.
Wo sind wir bloß angekommen? Darauf erst einmal die Virtual-Reality-Brille ´drüberziehen.
Dr. Oliver Errichiello ist Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung in Hamburg und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg und der Hochschule Luzern. Er hat zahlreiche Bücher zum Thema „Marke“ geschrieben.