Tichys Einblick
Hymne auf Macron

Ach Habermas

Immer wenn der Wohlfühljournalismus eine Kampfpause braucht, bittet er den großen linken Habermas um sein Wort im SPIEGEL. Also diese Woche Jürgen Habermas.

© Loiusa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Der berühmte Jürgen Habermas wieder, er schreibt einen Essay für den Spiegel. Darin rühmt er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Wie wohltuend der sich doch unterscheide von den Technokraten, Funktionären und Faulpelzen der bundesdeutschen Politik. Einmal bezeichnet er den ahnungslosen deutschen Haufen sogar als Fellachen (das leistete sich zuletzt der böse Erst Jünger). Bei jedem anderen würden seine Gesinnungsgenossen sofort aufkreischen: rassistisch. Aber Habermas rassistisch, nein, nie.

Im Ernst, nein Macron ist – wie er – sozialutopisch gesittet und ein Neuerer für den Gedanken Europas – und es wäre zu wünschen, dass die schläfrigen Deutschen ihm folgten. Er wage es freilich kaum zu hoffen. Der Frau Merkel versetzt er im Vorbeireden einen Nasenstüber, denn sie sei zwar nachdenklich, das immerhin, aber Perspektive sei ein politisches Fremdwort für sie., also lieber „durchwursteln“ as usual. Nein, er sagt es , er sei als Linker kein „Macronist“, aber diese Figur mache doch einen großen Unterschied und bringe enormen Wind in die gemeine Europa-Sache und nun sollten die übrigen, besonders die Deutschen, halt mitsegeln wenigstens.

Da er nun doch spürt, er müsste konkreter und weniger feuilletonistisch verbrämt etwas sagen, kommen hehre Abstraktionen, die Macron vertrete: Neben der Tugend des Mutes zur Gestaltung, sein Vertrauen „zur die Gedanken artikulierende Kraft des Wortes“ – welche preziöse Phrase. Welchen Gedanken also? „ Das Bekenntnis zur Umstellung des europäischen Eliteprojekts auf die demokratische Selbstgesetzgebung der Bürger“. Ausatmen: Selbstgesetzgebung der Bürger? Wie mag das gehen?

Dazu müsste er wahrscheinlich erst ein neues Buch schreiben, worin ein Selbst aller Bürger zumindest der Eurozone neu erfunden neu definiert werden könnte. Also weiter im Text: „ Mit dem Anspruch, die Probleme einer zusammenwachsenden Weltgesellschaft politisch zu gestalten“ – also nur gestalten, nicht sogar lösen? – „ragt Marcron wie nur wenige andere aus der chronisch überforderten, opportunistisch angepassten und perspektivelos von Tag zu Tag reagierenden Schicht politischer Funktionäre heraus.“

Demophobie
Der Verrat an Europas Erbe von Demokratie und Freiheit
Jetzt wieder nicht nur Europäern, sondern allen politischen Tölpeln der ganzen Welt eins auf die Mütze. Und der polemische Stil, den er gerne hätte, wird noch miserabler: „Da hat jemand den frivolen Mut“ – das geht gar nicht, ergibt kein echtes Oxymoron, ein Mut auf Frivolität beruhend, ist keiner – nicht einmal ein heißer Schnee. Macron lehne sich also mutig gegen das „fatalistische Bewusstsein von Fellachen“ auf, „die sich den vermeintlich zwingenden systemischen Imperativen einer in abgehobenen internationalen Organisationen verkörperten Weltwirtschaftsordnung gedankenlos beugen?“

Eine rhetorische Frage, die der verschwörungstheoretische Feinsinn darin längst beantwortet hat. Natürlich, diese Weltordnung ist böse ruiniert und bedrohlich, aber wozu braucht Habermas diesen wissenschaftlich terminologisch abgehobenen Aufputz, um diesen simplen Konsens herzustellen? Will er ein bisschen mehr glänzen als andere, die dasselbe sagen? Diese Eindrucks kann man sich kaum erwehren, wenn es um die Redekunst geht, schließlich. Macron kann endlich wieder wie ein großer, wie einst ein Fritz Erler, ein Gustav Heinemann usf. reden – Habermas‘ apokryphes Namedropping. Doch natürlich bemesse sich die Qualität der Politik nicht am Reden, an der rhetorischen Kraft. Moment. Und dann doch? Das Niveau könne sie heben, die echte Rhetorik, die Horizonte einer öffentlichen Debatte erweitere sie und: „damit auch die Aktualität nicht nur der politischen Willensbildung, sondern des politischen Handelns selber.“ Also kurz: die lex brevis, das Geheimnis eleganten Stils und guter Rhetorik kennt Habermas offenbar gar nicht, seine Leier hat enorme Längen, ermüdet, wo alles treffender, was er meint, und auch viel kürzer gesagt werden könnte. Da hilft ihm auch nicht sein „intimes“ Bekenntnis zur Philosophie Hegels, das ein Macron mit ihm teile. Sein Psalmenende.

Wim Setzer ist Kunstkritiker und Journalist.

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