Im „Tal der Ahnungslosen“ waren die Träume immer schon etwas größer. Erst Recht im Fußball. Weil Dresden in den geteilten Zeiten die einzige Stadt in Deutschland war, in der es kein Westfernsehen gab, konnte man die Spitzenteams des Westens dort nicht mal auf dem Bildschirm sehen. Die Hänge links und rechts der Elbe machten jeden Empfang unmöglich. Obwohl es immer wieder ein paar fleißige Bastler gab, die es trotzdem schafften, aber der große Rest der fußballverrückten Stadt kannte die Mannschaften des Westens nur vom Namen her.
Die einzige Möglichkeit sie mit eigenem Auge zu sehen, gab es immer nur dann, wenn das Spitzenteam des Ostens und Stolz von ganz Dresden, „DY-NA-MO!!!“, mal wieder das Losglück hatte, im „Europapokal“ auf einen Gegner „von drüben“ zu treffen.
1973 wurde der Traum schon in der ersten Runde wahr. Als amtierender DDR-Meister bekommt Dynamo im „Europapokal der Landesmeister“ den berühmten Meister Italiens, Juventus Turin, zugelost.
Obwohl außerhalb Dresdens niemand einen Pfennig auf sie setzt, gewinnen die „Schwarz-Gelben“ im heimischen Dynamo-Stadion 2:0. Eine Sensation, der im Rückspiel die nächste folgt.
Die Dresdner verlieren in Turin nur knapp mit 2:3. Damit sind sie weiter und Italiens weltbekannter Meister „Juve“ draußen. Schon das war eigentlich nicht mehr zu toppen.
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Aber nur 48 Stunden nach dem historischen Ereignis, wirft ein noch viel größeres seine ersten Schatten voraus. Am 5. Oktober 1973, als in einem Saal des noblen Zürcher Hotels „Atlantis“ vor laufenden Fernsehkameras eine Hand elegant in einen gläsernen Pokal gleitet, um die Begegnungen der zweiten Runde auszulosen.
Mit „Juve“ ist eines der stärksten Teams schon ausgeschaltet, darüber freuen sich nicht nur die Dynamo-Fans. Auch die großen Bayern sind froh, dass der gefährliche Konkurrent keiner mehr ist. Die Münchner hatten in der ersten Runde den schwedischen Meister Atvidabergs FF aus dem Rennen geworfen.
Das war keine so große Überraschung. Im Gegenteil. Von „Beckenbauer und Co“ hatte man nichts anderes erwartet, so stark wie sie spielen. Deshalb will sie an diesem Tag auch niemand als nächsten Gegner zugelost bekommen.
Außer natürlich in Dresden.
Dort ist das der größte aller Fußballträume. Einmal gegen die Bayern zu spielen wäre noch größer als gegen Turin, Glasgow oder Madrid, denn:
„Wenn wir, die Besten im Osten Deutschlands, die Besten aus dem Westen Deutschlands besiegen, dann wären wir der wahre deutsche Meister.“
Bisher hatte der Fußballgott immer etwas dagegen gehabt. Erst an diesem Mittag des 5. Oktober 1973, im noblen Saal des Zürcher Hotel „Atlantis“, als die Hand so elegant den nächsten Gegner von Bayern München aus dem gläsernen Pokal zieht, ist es wirklich soweit:
„Dynamo Dresden.“
Das Traumlos für das Traumduell:
„Endlich! Wir gegen die Bayern!“
In Dresden wird danach über nichts anderes mehr geredet. Auf der Straße, in den Betrieben, den Kneipen, den Familien und natürlich auch bei Dynamo selbst.
In der ersten Überraschung sogar mit einem „Journalisten des kapitalistischen Auslands“, dem Sportredakteur der Münchner Abendzeitung, Rolf Gonther, der es trotz völlig veralteter und meistens kaputter Leitungen tatsächlich geschafft hat, nur eine Stunde nach der Auslosung bis auf den Schreibtisch des Vizepräsidenten von Dynamo, Heinz Maier, vorzudringen. Der hört die Stimme aus dem Westen erst mal sagen:
„Hallo Dresden! Herzlichen Glückwunsch zum ersten echten Kräftevergleich der beiden deutschen Meister.“
Die Antwort ist noch etwas förmlich:
„Warum soll im Fußball nicht geschehen, was in anderen Sportarten längst üblich ist?“
Darauf die nächste Frage aus dem anderen Teil des Landes:
„Was weiß man denn in Dresden von Bayern München?“
„Wir kennen sie alle. Von Beckenbauer bis Maier. Ein Gegner der Respekt verdient, aber wir gehen vor den Bayern nicht in Ehrfurcht auf die Knie.“
Dann wird es etwas politisch, als der Westdeutsche den Ostdeutschen fragt:
„Erwarten sie einen Prestigekampf der beiden deutschen Meister?“
Heinz Maier geht nicht darauf ein:
„Wir sehen die Begegnung mit Bayern München vom rein sportlichen Standpunkt aus.“
„Freut man sich in Dresden auf das Duell gegen Bayern?“
Auch darauf antwortet Heinz Maier lieber ausweichend:
„Wir wollen im Europapokal weiterkommen.“
Die Bayern natürlich auch, so fragt der Münchner den Dresdner zum Abschluss noch:
„Betrachten Sie es als Vorteil, dass Sie zuerst nach München müssen?“
„In gewissem Sinne schon, denn die endgültige Entscheidung, wer weiterkommt, fällt erst in unserem 35.000 Mann Stadion in Dresden. Dieser Platz heißt nicht umsonst: der ‚Hexenkessel der DDR‘.“
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In dem haben schon viele die Nerven verloren. Nicht nur Spieler. Auch Fans. Das wissen vor allem die in Dresden, für die das Traum- eher ein Albtraumlos ist.
Gegen „Mannschaften des kapitalistischen Auslands“ zu spielen, bedeutet immer höchste Alarmbereitschaft in der Dresdner Außenstelle des „Ministeriums für Staatssicherheit“. Von dort aus geht an diesem 5. Oktober 1973, ungefähr zu der Zeit, als das deutsch-deutsche Interview geführt wird, ein Anruf nach Ostberlin, in die Zentrale des MfS, durchgestellt direkt zum „Genossen Minister“.
Wenn er es nicht schon gewusst hat, weiß es Erich Mielke danach. Ausgerechnet der „Meister der BRD“. Etwas Schlimmeres konnte nicht passieren. Von nun an ist jeder Schritt genau zu überlegen. Möglichst schneller als der „Klassenfeind“.
Also startet noch am gleichen Tag die „Aktion Vorstoß“ zur „Verhinderung jeder negativen Vorkommnisse im Zusammenhang mit den beiden Spielen“.
Das erste wird am 24. Oktober 1973, um 20.00 Uhr, in München stattfinden. Bis dahin sind es nur noch 19 Tage.
Auch für Dynamos Meistertrainer. Um die bekannten Unbekannten vor dem großen Showdown wenigstens einmal live zu sehen, muss er sich beeilen. Die Genehmigung dazu hat er. So wie es Vizepräsident Maier dem Redakteur der Abendzeitung noch mitgeteilt hatte:
„Unser Trainer Walter Fritzsch wird zusammen mit Abteilungsleiter Dieter Fuchs vor den Spielen in die Bundesrepublik fahren, um Informationen über die derzeitige Spielstärke der Bayern an Ort und Stelle zu bekommen.“
Der „Abteilungsleiter“ Fuchs ist in Wahrheit zwar ein Hauptmann der Volkspolizei und Mann der Stasi, aber das ist immer so, wenn Walter Fritzsch auf „Westreise“ geht. Ohne einen „Schatten“ darf er nicht „rüber“.
Also teilt er sich das Privileg einfach mit ihm. Mehr bleibt ihm sowieso nicht übrig, als der Zug am 16. Oktober 1973 den Hauptbahnhof von Dresden Richtung München verlässt. Im Gepäck hat Walter Fritzsch wie immer seine Super 8 Kamera. Mit der filmt der 53jährige so oft er kann. Seine Spieler und die des Gegners. So sieht er alles, ihre Schwächen wie ihre Stärken und bei den Bayern soll das nicht anders werden.
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Empfangen werden die beiden seltenen Gäste aus dem Osten ein paar Stunden später im Westen von Herrn Wengenmayer, ehemaliger Bundesligaschiedsrichter, der jetzt Mitglied des FC Bayern ist. Er holt sie in München vom Zug ab und kümmert sich von nun an um sie. Hauptmann Fuchs notiert über ihn:
„Er macht einen ehrlichen, biederen Eindruck, ist stets um unser Wohl besorgt.”
Dazu gehört auch, jeden Rummel zu vermeiden. Von der Pressestelle des Clubs wurde im Vorfeld sogar die Falschmeldung verbreitet, dass die zwei Ostdeutschen erst am nächsten Tag, kurz vor dem Bundesligaspiel der Münchner gegen den MSV Duisburg, anreisen würden.
So bleiben neugierige Reporter noch aus und Herrn Wengenmayer genügend Zeit, um beiden ungestört das Hotel zu zeigen, in dem sie und die Mannschaft vor dem Hinspiel am 24. Oktober schlafen werden. Hauptmann Fuchs:
„Der Geschäftsführer teilte uns mit, dass es eine große Ehre für das Esso-Hotel sei, Dynamo Dresden unterzubringen. Gleichzeitig gab er zu verstehen, dass dadurch eine ausgezeichnete Reklame für sein Hotel entstehe.”
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Das Spiel gegen Dynamo hat ja auch in München längst Schlagzeilen gemacht. Aber „Kontakte mit der Feindpresse“ sollen beide so gut es geht vermeiden, also sind sie ganz froh, über „den Trick“ der Bayern. Erst am nächsten Abend, im Stadion, ist es mit der Ruhe vorbei:
„Trainer Fritzsch wurde in den ersten 30 Minuten des Spiels von ungefähr 20 Fotografen belästigt. Danach wurden die Fotografen vom FC Bayern energisch zurückgewiesen.”
Trotzdem, ein kurzes Interview nach dem Spiel lässt sich nicht vermeiden:
„Herr Fritzsch. Was sagen Sie zum Spiel München gegen Duisburg?“
„München hat verdient gewonnen, ein gutes Spiel, ich konnte mich von der Spielstärke der Bayern überzeugen.“
„Rechnen Sie sich Chancen gegen den FC Bayern aus?“
„Ja, wenn wir in Hochform aufspielen. Trotzdem ist der FC Bayern Favorit.“
„Wenn Sie die Spieler Ihrer Mannschaft mit denen vom FC Bayern München vergleichen, was stellen Sie dann fest?“
„Mit Müller, Beckenbauer und Hoeneß hat Bayern München drei überragende Fußballer.“
Danach sollte eigentlich Ruhe an der Medienfront sein. Mindestens bis zum nächsten Spiel der Bayern, zwei Tage später, auswärts in Kaiserslautern. Aber schon am nächsten Morgen klingelt das Telefon. Hauptmann Fuchs notiert:
„Um zehn Uhr meldet sich zum ersten Mal das ZDF. Man teilte uns mit, dass der Fernsehmoderator Harry Valerien am Sonnabend, von Wiesbaden aus, eine zweistündige Sportschau führt, und dass man uns gerne ins Studio zum Interview einladen will. Wir lehnten ab.”
Trotzdem versuchen es die Mainzer weiter:
„Das ZDF rief uns noch 3-mal an. Man lud uns z.B. als Studiogäste ein (ohne Interview) und fragte uns, ob wir lieber mit dem Auto oder dem Hubschrauber nach Wiesbaden kommen wollen. Und man informierte uns, dass man zwei Flugtickets von Frankfurt aus gebucht hat und rechnete uns vor, wie viel eher wir damit wieder in Dresden sein würden. Für 2 Minuten Interview zahle man 300 Mark. Wir lehnten aber alle Anfragen und Angebote weiter ab.”
Sehr zum Leidwesen der Bayern. Die erhofften sich durch einen Auftritt der zwei aus dem Osten im Westfernsehen das Ankurbeln des Kartenverkaufes. Der läuft schlecht.
Im Gegensatz zur Westbegeisterung der Ostdeutschen gibt es 1973 schon lange keine Ostbegeisterung der Westdeutschen mehr für ihre Landsleute hinter dem Eisernen Vorhang. Der Bayern Verteidiger „Katsche“ Schwarzenbeck:
„Wir haben nicht viel gewusst über Dresden, nicht wie über eine Westmannschaft. Man kannte einzelne Namen, aber nur entfernt.“
Anders als Trainer Walter Fritzsch. Der kannte schon vor der Auslosung jeden Spieler der Bayern. Gemeinsam mit seinem Schatten fährt er am Freitag, dem 19. Oktober mit dem Zug von München weiter nach Kaiserslautern, zur zweiten Spielbeobachtung.
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Die beiden dürfen sogar mit den Bayern im gleichen Hotel wohnen und am Abend kommt es noch besser. Sie werden zum Essen gerufen. Mit am Tisch sitzen der Trainer Udo Lattek, Mannschaftsarzt Müller und der Chefredakteur einer Münchner Zeitung. Eingeladen hat die Runde der Manager der Bayern, über den Hauptmann Fuchs erfreuliches aufschreiben kann:
„In den zwei Stunden, die wir zusammen waren, führte fast nur Herr Schwan das Wort. Unter anderem sagte er, dass er schon mal in der DDR war und sich vom Wachstum unseres Landes überzeugen konnte. Weiter sagte er, dass wir sachliche, bescheidene und intelligente Menschen haben. ‚In spätestens 19 Jahren‘, so meinte er, ‚überholen sie uns auf allen Gebieten‘.”
Im Fußball scheint das nicht mal schwer zu werden. Das sieht Walter Fritzsch am nächsten Tag in der Begegnung gegen Kaiserslautern. Er kommt mit dem Filmen gar nicht hinterher, so viel passiert. Am Ende verlieren die Bayern mit 4:7 und liefern ihm damit einen willkommenen Beweis, dass auch die Großen zu schlagen sind. Wie, das hat der „Spielberg aus dem Tal der Ahnungslosen“ auf Film verewigt und so kann er sich am nächsten Tag mit seinem Schatten wieder auf den Rückweg begeben.
Allerdings nicht ohne vorher Harry Valerien noch ein letztes Mal abzusagen. Dabei kam der berühmte Moderator extra mit dem Hubschrauber eingeflogen, in der Hoffnung, doch noch ein Interview zu bekommen. Nicht als einziger:
„Auch die ARD und der Süd-West-Funk wollten eines. Wir lehnten auch dieses ab.”
Also geht es am Sonntag, den 21. Oktober, fast unbemerkt wieder hinter den Eisernen Vorhang:
„Die Heimfahrt verlief reibungslos.”
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Zu Hause schaut sich Walter Fritzsch seine Filme an. Über jeden Spieler der Bayern macht er sich Notizen, mit denen er seine eigenen sportlich auf das „Deutsch-Deutsche Meisterduell“ einstellt. Ideologisch übernehmen das die Genossen der Stasi aus Berlin. Auch das ist immer so, bevor es auf „Westreise“ geht, die Spieler lassen es einfach so über sich ergehen, wie sie sich noch heute erinnern:
„Der Schuler steht vor einer gelangweilten Meute von 25 Mann, die mal wieder in den Westen dürfen und hören all das zum X-ten Mal. Eine Pflichtübung.“
Lästig zwar, aber nicht so anstrengend, wie die zwei täglichen Trainingseinheiten auf dem Übungsplatz des Dynamo-Stadions. Walter Fritzsch gilt als „harter Hund“, der auf dem Rasen lieber schnell als langsam spielen, laufen und denken lässt. Damit der „Dynamo-Kreisel“ immer auf vollen Touren laufen kann und den Gegner schwindlig spielt. Dafür ist Dynamo unter seiner Regie bekannt, sogar berühmt, sogar berüchtigt geworden, so wie die Bayern im Westen mit ihrem Stil. Der ist ähnlich offensiv. Mal geht es gut, wie gegen Duisburg, mal schief, wie gegen Kaiserslautern.
Die Chancen stehen also „Halbe-Halbe“, als die „Delegation der Sportgemeinschaft Dynamo Dresden“ am Morgen des 23. Oktober mitten in der Stadt in den Bus steigt. Der bringt sie aber nicht nach München, nicht mal zum Zug nach München, sondern in die andere Richtung, nach Ostberlin.
So hat es Erich Mielke im Rahmen der „Aktion Vorstoß“ entschieden. Es wartet schon ein Charterflugzeug der Interflug auf die 25 Mann Delegation aus Dresden. 15 Spieler, der Trainer, der Assistenztrainer, der Arzt, der Masseur, der Verantwortliche der Interflug und fünf als „Funktionäre“ getarnte Stasimitarbeiter. Deren größter Alptraum ist es, einer der Spieler könnte sich auf der Reise „absetzen“. Das muss unter allen Umständen verhindert werden. Deshalb sind sie ständig in ihrer Nähe.
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Auch Hauptmann Fuchs ist wieder mit dabei, aber die Feder führt auf dieser Reise in den Westen der Welt sein Kollege Herrmann. Als die Maschine um 11.30 Uhr in München, landet, sind alle Einreiseformalitäten schnell erledigt:
„Die Abfertigung am Flughafen München war schnell und reibungslos. Auch der Zolldienst stellte keinerlei Fragen. Nach schneller Erledigung aller Formalitäten wurden wir vom engeren Vorstand begrüßt (Präsident Neudecker, Herrn Feinbeck, Geschäftsführer).”
Danach fährt die Delegation ein Bus ins „Esso Motor Hotel“. Drinnen wartet schon freudig der Geschäftsführer, draußen dann wieder die „kapitalistischen Massenmedien“. Jeder Kontakt mit ihnen soll von den Stasis ebenfalls verhindert werden.
Was nicht so einfach ist.
Am Nachmittag steht der von allen in der Delegation so beliebte „Einkaufsbummel“ an. Obwohl die Spieler nur ein Taschengeld West dabeihaben. Was sie damit anstellen, wollen ein paar Journalisten gerne schreiben. Aber auch ihre Bitte, die Mannschaft durch die Geschäfte wenigstens begleiten zu dürfen, wird auftragsgemäß abgelehnt. Genosse Herrmann:
„Trotzdem bemühten sich drei Bildreporter weiter hartnäckig am Einkaufsbummel teil zu nehmen. Als sie abgewiesen wurden, verfolgten sie unseren Bus mit einem PKW. Bei Ankunft in der Innenstadt wurden sie von mir energisch darauf hingewiesen, dass die Mannschaft keine Fotografien beim Stadtbummel wünscht.
Trotz der eindeutigen und klaren Haltung der Mannschaft, ließen sich die Reporter nicht abweisen. Sie machten sogar diverse Angebote an einige Spieler (Sammer, Boden usw.). Sie boten ihnen an, für die Ehefrauen alles Wünschenswerte zu kaufen. Nach Informationen durch die Spieler wurden alle Angebote abgelehnt (durch mich allerdings nicht überprüfbar gewesen).
Einige Fotos wurden dann doch trotz der ablehnenden Haltung der Spieler gemacht. Die Reporter erklärten freimütig, sie hätten von ihrer Redaktion die Aufgabe, um jeden Preis solche Bilder zu bringen. Bei Nichterfüllung des Auftrages wäre ihre Stellung in Gefahr.”
Die ist vorbei, als die Reporter ihre Fotos haben. Eine andere dagegen bleibt bestehen: Kontakt zu Verwandten im kapitalistischen Ausland. Auch der ist allen Mitreisenden streng untersagt und soll von den Männern Mielkes in München auftragsgemäß verhindert werden. Sie hatten sogar schon vorgearbeitet:
„Kontaktversuche von Verwandten und Bekannten wurden in Vorbereitung der Reise bereits versucht langfristig abzublocken. Obwohl einige Sportler Verwandte haben, teilweise bis vor einigen Monaten auch postalische Verbindungen, gab es nur wenige Versuche von Kontaktaufnahmen. Vom Spieler Sammer tauchte die Tante im Hotel auf. Vereinbarungsgemäß gab er uns die Information und war bemüht, sie kurz abzufertigen.”
Was Klaus Sammer für sich behielt:
„Ich bekam von ihr 100 Mark West zugesteckt. Das war damals eine Menge Geld.“
Im Gegensatz zu den Münchner Profis sind die Dresdner Dynamos ja nur Amateure. Obwohl auch sie vom Fußball leben. Mit ca. 3.000 Ostmark im Monat sogar weit besser als die meisten Ostdeutschen, aber im Vergleich zu den Gehältern der westdeutschen Profis sind sie keine. Obwohl der Job hüben wie drüben der gleiche ist: Siegen. Auch in München. Das zumindest hatte Erich Mielke der Delegation noch mit auf den Weg gegeben:
„Ihr müsst unbedingt beide Spiele gewinnen.“
Dafür muss Walter Fritzsch das Team offensiv aufstellen. Was ihm nicht schwer fällt, denn nur so kann der „Dynamo Kreisel“ richtig in Fahrt kommen. Auch ohne die üblichen Antreiber. Die müssen wie immer zu Hause bleiben.
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Obwohl ganz Dresden am liebsten mitgefahren wäre, aber so steigen am Morgen des Spieltages nur ganze 1000 „Schlachtenbummler“ auf dem Hauptbahnhof in zwei Sonderzüge, die sie nach München bringen.
Was sie alle eint ist weniger ihre Liebe zur „SGD“, eher die Treue zur „SED“.
Die Eintrittskarten und damit die Genehmigung zur Reise jenseits des Eisernen Vorhang bekamen „verdiente Genossen, die sich um Sport und Jugend verdient gemacht haben.“
Ein Trip zum „Klassenfeind“ als Belohnung. Auch das ist immer so, wenn Dynamo auf Westreise geht, und wie immer werden die Glücklichen in Dresden von allen beneidet.
In München dagegen bestaunt.
Als die beiden Züge um 14.23 Uhr und 15.31 Uhr einfahren und die Genossen „Schlachtenbummler“ aussteigen, warten schon eine Menge Neugierige, die ihre Landsleute aus dem Osten anschauen wie „Affen im Zoo“. Oder „als kämen wir vom Mond“. So fühlen sie sich. Kein Wunder. Ein Reporter der Münchner Abendzeitung berichtet:
„Unter den Tausend waren nur drei, wie man Fußballfans auch bei uns kennt. Zwei trompeteten mit ihren Mehrklangfanfaren fröhlich in die große Stille hinein und einer trug unter der Jacke sogar ein Bayern -Trikot. Doch die übrigen 997 trainierten offenbar für einen größeren Schweigemarsch. Ihre Redseligkeit beschränkte sich auf ‚2:1′ oder ‚3:2′, womit sie ‚das Ergebnis des Fußballspiels Bayern München – Dynamo Dresden‘ tippten.“
Einem anderen Münchner Journalisten fällt auf, dass die Ostdeutschen unterwegs alles Mögliche fotografieren:
„Frauentürme, Mercedes- Limousinen, langhaarige Gammler. Außerdem vermeiden sie jeden Kontakt zu Westdeutschen.“
Der wurde auch ihnen vorher strengstens untersagt. So laufen sie ohne anzuhalten zur Mathäser Bierstadt, wo „ein zweistündiges Beisammensein stattfand.“
Der Reporter erschleicht sich Zugang durch die Küche und erfährt von einem der Dresdner wenigstens, dass er für die Reise „10 Westmark und zwei Gutscheine für das Restaurant bekommen hat.“ Die reichen für ein Bier und eine Haxe, dann werden sie alle pünktlich zum Spiel ins Olympiastadion gefahren.
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Der Vorverkauf war nicht besser geworden, es ist nicht ausverkauft. Statt der erwarteten 75.000 wollen nur 55.000 den Meister des Ostens sehen. Dafür haben sie mehr gezahlt, als gegen jeden aus dem Westen. Ein Sitzplatz auf der Haupttribüne kostet 50 DM. „Ajax Preise mit Inflationszuschlag“ wie Präsident Neudecker es nennt. Um die an diesem Abend doch noch einzunehmen, hatte er sich erfolgreich gegen eine Live-Übertragung des Spiels im westdeutschen Fernsehen gewandt.
Sonst wären wohl noch weniger gekommen, an diesem Abend des 24. Oktober 1973, als Punkt 20 Uhr Teil 1 des ersten deutsch-deutschen Fußballgipfels beginnt. Nur das Ostfernsehen überträgt live.
In Dresden steht zu der Zeit schon alles still. Jeder drückt beide Daumen, dass der Dynamo-Kreisel schnell auf Touren kommt. Es hilft. Gerade mal 13 Minuten sind gespielt, als einer der Dresdner seinem Namen alle Ehre macht: Rainer Sachse. Er schießt in der 13. Minute das 1:0. Aber das Glück der frühen Führung dauert nur vier Minuten, dann gleicht der Bayernspieler Hoffmann aus.
Es kommt sogar noch schlimmer für Dynamo. In der 26. Minute schießt Dürnberger für Bayern das 2:1. Aber schon in der 34. Minute macht wieder Rainer Sachse seinem Namen alle Ehre und schießt das 2:2. So scheinen die Spieler in die Halbzeit gehen zu wollen. Nur einer nicht. In der 42. Minute schießt Gerd Heidler die Dresdner vorher noch mit dem 3:2 in Führung.
Präsident Neudecker geht danach vor Schreck mit einem Scheck in die Kabine und verdoppelt die Siegprämie spontan auf 10.000 Mark.
Bis zur 71. Minute kann er sich die sparen. Dann aber schießt erst der Bayernspieler Roth alle Dresdner Siegesträume tot und in der 83. Minute beerdigt sie Gerd „der Bomber der Nation“ Müller endgültig mit dem Siegtor zum 4:3.
Obwohl Dynamo bis zur letzten Sekunde kreiselt, geht das erste „Spiel der Spiele“ knapp verloren.
Dabei waren sie nicht schlechter als die berühmten Bayern. Ihr Trainer Udo Lattek, der die Dresdner vorher bei einem Spiel in Zwickau beobachtet hatte, sagt danach noch immer verwundert:
„Ich bin nicht auf die Mannschaft getroffen, die ich erwartet hatte. In Zwickau spielten die Dresdner wie Ackergäule, hier jedoch so spritzig wie Leichtathleten. Das ist eine echte Profi-Spitzenmannschaft nach westlichem Stil.“
Ob das auch für die „Funktionäre“ in der Delegation ein Kompliment ist, behält Genosse Herrmann lieber für sich. Obwohl sein Chef Mielke ja „Siegen!“ befohlen hatte, aber fürs Sportliche sind er und seine Männer in München nicht zuständig gewesen.
Sie sind schon froh, dass keiner aus der Delegation nach Teil 1 des ersten deutsch-deutschen Fußballgipfels abgehauen ist. Noch kann er von beiden Teams gestürmt werden. Dynamo reicht schon ein 1:0, dann wären sie weiter. Noch immer unvorstellbar, aber selbst der Trainer der westdeutschen Nationalmannschaft und lebende Legende, Helmut Schön, prophezeit den Münchnern nach dem Hinspiel:
„In Dresden habt ihr keine Chance.“
Er muss es wissen, er ist selbst als Fußballer in Dresden groß geworden. Er wettet sogar mit Gerd Müller um eine Flasche Sekt. Der „Bomber der Nation“ hält dagegen. Ähnlich wie Manager Schwan. Er setzt sogar noch einen drauf:
„Wenn wir gegen die rausfliegen, wandere ich in die Zone aus.“
So warten alle gespannt auf den 7. November, den Tag der Entscheidung im „Hexenkessel“ von Dresden. Wer wird der wahre deutsche Meister am Ende des Traumduells?
Das folgt in Teil 2.
Der Dresdner Journalist und Autor Torsten Preuß erzählt die Geschichte des ersten deutsch-deutschen Fußballgipfels.