Die Landtagswahl in Niedersachen sollte Angela Merkel mit einem Triumph über die SPD Rückenwind für die Reise nach Jamaika geben. Doch die Wähler haben anders entschieden und die Reisegeschwindigkeit nach Jamaika erheblich herabgesetzt: CDU, FDP und Grüne haben dort Stimmen verloren – zusammen 9,8 Prozent. Jamaika ist damit kein zukunftsweisendes Projekt, sondern eine Koalition der Verlierer einer angezählten Kanzlerin.
Koalition der Verlierer
Trotzdem, am Tag danach lud Angela Merkel zu „Sondierungsgesprächen.“ Ihr bleibt auch gar nichts anderes übrig – spätestens am 30. Tag nach der Wahl konstituiert sich der neue Bundestag; ab diesem Zeitpunkt ist sie bis zur Wahl eines richtigen Bundeskanzlers nur noch „geschäftsführende Bundeskanzlerin“, oder das, was in den USA „Lahme Ente“ genannt wird. Und selbst darum muss sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier „ersuchen“. Es ist eine ungemütliche Hängepartie. Aber Regierungsämter locken die Ehrgeizigen, die Überzeugten und diejenigen, denen die eigene politische Lebenszeit zwischen den Fingern zerrinnt – allen voran den beiden umstrittenen und wenige erfolgreichen Spitzenkandidaten der Grünen, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt: Beide spüren das gnadenlose Wolfsrudel der eigenen Partei im Nacken; jetzt oder nie lautet ihrer Devise. Natürlich wird das nie ein Politiker zugeben und so versteigt sich Göring-Eckhardt zu der Formulierung, eine Regierung mit Grün sei notwendig für „die Menschheit und den Planeten“ – mehr Größenwahn war selbst in der auch an diesem Wahn reichen deutschen Geschichte schon länger nicht mehr.
Denn für die FPD geht es ums Überleben. Sie wurde gewählt, um Merkels Politik zu beenden – nicht um sie fortzusetzen. Im Interview mit der FAZ formulierte er die „fünf großen E“, über die in den jetzt beginnenden Sondierungen gesprochen werden müsse: „Europa, Energie, Entlastung, Einwanderung und Edukation“. Damit hat er ziemlich genau beschrieben, was die Wähler von ihm erwarten – und die Wähler der FDP sind das fluide Element der deutschen Politik; viele davon angezogen von der AfD.
Die fünf E’s der FDP
In den beiden Tagen vor der Bundestagswahl zeigten zwei weitgehend unbeachtete Ereignisse, wie schwierig es die FDP mit den E’s so haben wird: Am Freitag um 17.00 Uhr erreichte die Windenergieeinspeisung in Deutschland ein Minimum von gerade mal 296 Megawatt. Das sind 0,55 Prozent der installierten Leistung, die deutsche Windräder erbringen können, wenn der Wind richtig – nicht zu schwach und nicht zu stark – weht.
Die Zahl ist eine Bankrotterklärung: Merkels Energiewende funktioniert nicht. Denn diese Zahl besagt nichts anderes, als dass zu diesem Zeitpunkt an die 90 Prozent der in Deutschland verbrauchten Energie aus herkömmlichen Kraftwerken stammte – aus viel Braunkohle also, noch etwas Atom und russischem Gas. Weil das nicht reichte, musste französisch-belgische Kernenergie dazugekauft werden.
Die deutschen Windparks lieferten nicht. 1.000 Milliarden Euro Kosten für die Energiewende, und alles bleibt, wie es war? Glaube und Hoffnung der Politik scheitern an der Physik und dem Wetter?
Mit den anderen E’s ist es nicht viel einfacher.
- In der Euro-Politik will Frankreich unter seinem charismatischen Präsidenten Emanuel Macron eine gesamteuropäische Bankenhaftung, die gemeinsame Haftung für Schulden und neue Umverteilungstöpfe – alles zu Lasten der Deutschen.
- In der Energiepolitik geht es darum, Merkels zerstörerische Energiewende zu sanieren und die Zahlung immer neuer und immer höherer Subventionen sofort zu beenden.
- In der Bildungspolitik, die Lindner mit Edukation in den Reigen seiner Eckpunkte aufnimmt, fehlt jeder Ansatz, um wieder an Traditionen des Lehrens und Lernens anzuknüpfen. Vorbei sind die Zeiten, als das „Land der Dichter und Denker“ mit seinen Bildungsidealen noch Vorbild für weite Teile der Welt war: jeder Pisa-Test eine Bankrotterklärung.
Weiter in Grün wie bisher?
Geschickt spricht Lindner davon, dass sich CDU, SPD und Grüne sehr ähnlich geworden seien: „Sie bilden den politischen Mainstream, der den Staat allzuständig macht, Unterschiede nivelliert und eine moralische Überheblichkeit kultiviert“. Lindner im Kampf gegen den Mainstream – das ist auch für das fünfte E, die steuerliche Entlastung kein Platz. Für die Grünen formuliert das ihr NRW- Chef Sven Lehmann so: „Wir wurden gewählt für einen Ausstieg aus Kohle und Verbrennungsmotor, für mehr soziale Gerechtigkeit und ein Ende des Sparkurses in Europa. Wir haben einen Wählerauftrag für eine humane Flüchtlingspolitik.“
Wenn man „soziale Gerechtigkeit“ übersetzt in das, was gemeint ist, nämlich noch höhere Steuern für noch mehr Umverteilung, und „Ende des Sparkurses“ in „noch mehr Transferzahlungen für Südeuropa“, „humane Flüchtlingspolitik“ in „offene Grenzen und keine Abschiebung“ – dann erhält man das Kontrastprogramm zu Lindners E-Programm, für das die FDP gewählt wurde. Angela Merkel mag ein Jamaika- Bündnis mit dieser Programmatik ihrer bereits begangenen Fehlentscheidungen willkommen sein; Kubicki mag dafür in jeder Talkshow werben – für die FDP wäre es der Untergang nach einer flotten Auferstehung.
Bleibt Merkel oder bleibt Lindner hart?
Vermutlich ist Deutschland das einzige Land, in dem eine Regierungschefin nach einer verheerenden Wahlniederlage und Jahren der multiplen Fehlentscheidungen erneut versuchen kann, eine Regierung des fehlerhaften Handelns zu installieren. Nachdem ihr die SPD abhanden kam, will Angela Merkel nun die FDP mit dem Argument angeblicher „staatsbürgerlicher Verantwortung“ in eine Jamaika-Koalition mit den Grünen pressen – trotz inhaltlicher Gegensätze, wie sie größer nicht sein könnten. Dabei gibt es im Grundgesetz keinen Selbstmordauftrag für Parteien, wie es Jamaika für die FDP sein könnte. Demokratie ist, wenn das Parlament die Regierung kontrolliert. In Zeiten der Großen Koalition aber haben sich die Deutschen daran gewähnt, dass die Regierung das Parlament kontrolliert, und die Abgeordneten durchwinken, was ihnen vorgesetzt wird.
Lindner konnte zuschauen, wie die SPD unter Merkel zum Schatten ihrer selbst wurde. Und er weiß: Die FDP ist das letzte Mal aus dem Bundestag geflogen, weil sie vorher die Backen aufgeblasen und dann nicht geliefert, sondern ihre Wähler maßlos enttäuscht hat. Jetzt haben die Wähler ihr eine zweite Chance gegeben. Eine dritte Chance wird es nicht geben. Wenn die FDP wiederum ihre Ziele verrät, droht das Ende der Partei.
Was passiert, wenn Lindner stark bleibt? Erst einmal bleibt die alte Regierung geschäftsführend im Amt. Und dann könnte es zu einer vorübergehenden Minderheitenregierung kommen – und zu Neuwahlen. Das behagt den Akteuren nicht. Die Parteien haben es sich warm eingerichtet. 598 Abgeordnete sieht das Grundgesetz vor, aber im 19. Bundestag machen sich 709 breit. Die Dehnung der Anzahl der Mandate, ein jedes mit 10 Mitarbeitern ausgestattet, zeigt, wie sehr das Land schon Beute der Parteien geworden ist.
Kann die FDP da widerstehen?