Die Jamaika-Koalition kommt – doch zu welchem Preis. Die SPD wandte sich klar gegen eine erneute Regierungsbeteiligung unter der Führung von Angela Merkel. Auch ist es unwahrscheinlich, dass die CDU bittstellend auf die SPD zugeht und sich so der eigenen Unfähigkeit preisgibt, erfolgreich Koalitionsverhandlungen mit neuen „Partnern“ führen zu können, zumal die Kanzlerin schon länger mit den Grünen kokettiert.
Die Grünen lechzen nach 12 Jahren Opposition, in denen der einstige Koalitionär im Gegensatz zu ihnen nun immerhin acht Jahre mitregierte, wieder nach Regierungsverantwortung. Dies hat bereits die sogenannte Elefantenrunde wenige Minuten nach Bekanntwerden der Ergebnisprognosen merklich gezeigt, in der auffallend einträchtliche Töne sogar zwischen der Parteivorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und den nach der Grundausrichtung am weitesten entfernten Liberalen in Person von Christian Lindner angeklangen. Die Tatsache, dass man sich gegenüber 2013 und entgegen der Prognosen der letzten Monate im Ergebnis sogar verbessert hat, untermauert dies zusätzlich und lässt das Gefühl eines Wählerauftrages zu Größerem gären, als nunmehr das 13. Jahr in Folge als kleinste Oppositionskraft politisch unkenntlich zu werden. Als jetzt Kraft der politischen Mitte drohte es den Grünen zudem, neben den rechten und linken Kräften, alias AfD und Linke, nur noch unzureichend wahrgenommen zu werden.
Der FDP bleibt nichts anderes übrig, als eine Regierungsverantwortung anzustreben. Nach Lage der Dinge: Jamaika. Nur so können die Liberalen die Schmach ihrer politischen Bedeutungslosigkeit der vergangenen vier Jahre kompensieren, gleichzeitig die Erfolgsgeschichte des Wiedereinzugs im Besonderen krönen und ihrem Personenkult um den Vorsitzenden durch die Aussicht auf ein Kernministerium Rechnung tragen. Diese Beurteilung wird ferner gestützt von den fortwährenden und hoch pathetischen Äußerungen über sogenannte „staatspolitische Verantwortung“ durch den Vorsitzenden Lindner und seinen Stellvertreter Kubicki als Reaktion auf die Absage der SPD als Koalitionär in Frage zu kommen. Wer sich dergestalt äußert, kann sich der so verstandenen eigenen Verantwortlichkeit nicht entziehen. Ein Blick nach NRW, in dem sich zunächst pro forma und öffentlichkeitswirksam vor einer Koalition geziert wurde, eignet sich darüber hinaus ebenfalls als Beleg. Zwar ist die FDP nach ihrer Funktion als Mehrheitsbeschafferin in den Jahren 2009-2013 und der hierauf fußenden politischen Inexistenz in der vergangenen Legislaturperiode gewarnt, sich konturlos und infantil von der Süße der Macht anziehen zu lassen. Gleichwohl ist die Ausgangslage in Gestalt der Mehrheitsverhältnisse eine andere als im Jahr 2009: Weniger hinsichtlich des prozentualen Abstandes zwischen ihr und der CDU, als bedingt durch den Umstand, dass durch die Existenz der Grünen die Dominanz der CDU nunmehr deutlich relativiert ist.
Die Möglichkeit einer Neuwahl ist keine in Betracht kommende Variante. Dafür spricht das Wählervotum eine zu klare Sprache. Betrachtet man den Bundestag insgesamt, wurde eine linke Mehrheit der vergangenen vier Jahre durch eine liberal-konservative abgelöst. Damit ist die Entscheidung des Wahlvolkes offenkundig und es obliegt den Repräsentanten ebendiese in eine handlungsfähige Exekutive zu transferieren. Ferner dürfte den Altparteien und zuvörderst der CDU bewusst sein, dass ein solcher Schritt richtigerweise als Unvermögen ausgelegt würde, mit dem eindeutigen Votum umzugehen und geeignet ist, in der Folge den Anteil der politischen Ränder am Gesamtergebnis sowie der Nichtwähler zu erhöhen.
Der Inhalt des anstehenden, Jamaika-Koalitionsvertrages kann nur mit Spannung erwartet werden. Neben dessen Schwerpunkten ist von besonderem Interesse, ob, inwieweit und in welchem Verhältnis zu den anderen Koalitionären der Vertrag die Grundsatzprogramme und als Ausfluss derer die Wahlprogramme der einzelnen Parteien repräsentiert. Verschiedentlich wird hier vorschnell den Grünen die Rolle des inhaltlichen und in der Folge politischen Verlierers zugeschrieben. Wahrscheinlich wird ihnen eine verhängnisvolle Gutgläubigkeit unterstellt, weil sie im Gegensatz zur FDP es zumindest als Koalitionär noch nicht erleben mussten, wie es ist, zum Mehrheitsbeschaffer eines einvernehmend-umarmend agierenden Partners inhaltlich geschluckt zu werden. Anders dagegen die FDP, der im Zuge der Verhandlungen zum nordrhein-westfälischen Koalitionsvertrages und der Erfahrungen ihrer letzten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene nachvollziehbar ein höheres Maß an Robustheit beigemessen wird. Am Ende werden es jedoch die Unionsschwestern und insbesondere die CDU sein, die den Kürzesten ziehen.
Die anderen Parteien um Grüne und FDP wissen hierum und haben es im Wahlkampf vor allem im Falle der Liberalen verstanden, diese Inhaltsleere aufzuzeigen. Die CDU gab auf diese Mühlen auch noch Wasser, indem sie durch ihre „In-einem-Deutschland-in-dem-wir-gut-und- gerne-leben-Kampagne“ bzw. des infantil wirkenden „#fedidwgugl“-Pendants das Urteil der nunmehr völligen Inhaltsleere eindrucksvoll und für jedermann ersichtlich bestätigte.
Die Konsequenz dieser Kombination aus einstigen, mittlerweile veralteten Grundsätzen und nachhaltiger Inhaltsleere ist nun der schwere Gang in die Koalitionsverhandlungen, im Rahmen derer die CDU eine variable Masse für Grüne und liberale Kernpunkte darstellen wird, in die sich nahezu beliebig eigene Standpunkte und Absichten der anderen projizieren lassen. Sie wird sich hiergegen nicht aufbäumen können, weil die Kombination aus einem (einst) eher linken und einem liberalen Koalitionär die Betonung eines ausgleichenden Standpunktes ohnehin erschwert, mit Blick auf die fortschreitende Konturlosigkeit jedoch schier unmöglich macht. Unwesentlich und lediglich als schwacher Trost geeignet ist an dieser Stelle der Umstand, dass die Merkel-CDU mit der Energiewende einen Angriff auf die DNA der Grünen unternommen hat. Dieser liegt aber nunmehr bereits sechs Jahre zurück und fällt damit nicht mehr wesentlich ins Gewicht. Abgesehen von denjenigen Punkten, in denen sich die Auffassungen (so sie denn auszumachen sind) aller drei Koalitionäre entgegenlaufen, kommt prekärer Weise hinzu, dass sich Grüne und FDP in einer Reihe von Punkten näher sind als jeweils gegenüber der Union und damit den oben geschilderten Effekt verstärken. Exemplarisch seien drei genannt:
Ferner sehen Grüne und FDP bei der Realisierung der Energiewende im Gegensatz zur Union teils erheblichen Korrekturbedarf, dessen Konsequenzen das ehrgeizige Projekt eher kostspieliger machen dürften, als es ohnehin schon ist, was sich nicht zuletzt in der Stromrechnung der umworbenen Wähler niederschlagen wird und ideal geeignet ist, Ablehnung hervorzurufen.
Die Konsequenz der Regierungsbeteiligung der Unionsschwestern auf Grundlage dieses Koalitionsvertrage ist die Fortsetzung ihrer Abwärtsspirale, zuvörderst die der CDU, die droht marginalisiert und zwischen den Koalitionären zerrieben zu werden. Sofern die AfD diejenigen Vertreter in ihren Reihen in den Griff bekommt, die dem äußerst rechten bis rechtsradikalen Rand zuzuordnen sind und die im Spannungsfeld mit den moderaten Kräften bestehenden, internen Fliehkräfte unter Kontrolle behält, dürfte sie der Union in vier Jahren wiederholt einen Teil der Kernwählerschaft in mit dieser Wahl vergleichbarer Höhe abnehmen. Hiervon kann sie nur bewahrt werden, wenn die Koalition bereits zuvor scheitert. Das aussichtsreichste Szenario ist in diesem Zusammenhang eine Aufkündigung der Koalition durch die CSU als Reaktion auf fortwährend schwache Umfrageergebnisse in Bayern mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst 2018.
Unabhängig davon, ob die Legislaturperiode ihr kalendarisches Ende findet oder vorher beendet wird, werden die Folgen verheerend sein für die Kanzlerin und ihr politisches Erbe. Die Dämmerung ihrer Kanzlerschaft, die mit dem jüngsten Wahlergebnis bereits begann, wird sich als Schleier der Dunkelheit über die Partei legen. Vielleicht bedarf es aber gerade einer lähmenden Dunkelheit, damit sie zu den Grundfesten ihrer „schwarzen“ politischen Widererkennungswerte zurückfindet.
Maximilian L. Knoll ist Volljurist und studierte daneben Sicherheitspolitik in Berlin und München studiert. Derzeit promoviert er zu einem verfassungsrechtlichen Thema an der Universität Passau.