Tichys Einblick
ARD-Wahlanalyse-Auswertung

Wie „rechts“ wird Deutschland?

Nach Auswertung der ARD-Wahlanalyse sind etwa 40% der AfD-Wähler rechts. Das macht bei einem Gesamtstimmenanteil von 12.6% ca. 5% aus. Ohne ihre nicht-rechten Wähler läge die AfD also nur knapp oberhalb der parlamentarischen Wahlklausel.

Berliner Runde am Abend der Bundestagswahl, 24. September 2017

© Gero Breloer/AFP/Getty Images

Das Ergebnis der Bundestagswahl ist historisch. Die SPD erzielte ihr schlechtestes, die Unionsparteien ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik. Weit wichtiger wurde von den Medien – national wie international – allerdings der Aufstieg der AfD mit 12,6% eingeordnet. Rechtsgerichtete Parteien gibt es im übrigen Europa, nun auch in Deutschland.

Bereits im Vorfeld mehrten sich die Warnungen, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik würden Nazis ins Parlament einziehen. Einmal die vielen Funktionsträger der NSDAP im bundesdeutschen Politikbetrieb außer Acht gelassen (der letzte von ihnen durfte 2004 (!) den Bundespräsidenten mitwählen) ist diese Aussage stimmig.

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Spitzenkandidat Alexander Gauland forderte Respekt für die deutschen Soldaten in beiden Weltkriegen (denen ca. 60 Millionen Europäer zum Opfer fielen.) Der Thüringer Parteichef Björn Höcke stellte mehrfach die bundesdeutsche Erinnerungskultur in Frage. Schon seit Jahren steht der Verdacht im Raum, er habe unter Pseudonym für eine NPD-Publikation geschrieben, jüngst tauchten Videoaufnahmen auf, die ihn 2010 bei einem rechtsextremen Marsch zeigen. Bundestags-Neuling Wilhelm von Gottberg hatte als Vertriebenenfunktionär über den „Mythos“ Holocaust sinniert. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

All diese Äußerungen zeigen, dass sich weite Teile der AfD vom demokratischen Konsens entfernt haben. Insofern wird diskutiert, ob die deutsche Bevölkerung einen Rechtsruck vollzogen hat.

Nachvollziehbar, aber was sagen die Daten?

Die ARD-Wahlanalyse hat neben der reinen Parteienpräferenz auch viele weitere Kriterien erfasst, die über die Motive des einzelnen Wählers Auskunft geben. Die Zahlen bestätigen die Annahme, ein weiter Teil der Deutschen sei nach rechts gerückt, nicht.

So wurde beispielsweise erfasst, ob Wähler für eine Partei votierten, weil sie mit deren Ansichten konform gingen, oder weil sie sie aus Enttäuschung über andere Parteien für das kleinere Übel hielten. Spitzenreiter war die CDU/CSU. 78% ihrer Wähler stimmten ihren Ansichten zu, nur 14% wählten sie „notgedrungen“. Durch das übrige Parteienspektrum nimmt die Sympathie leicht ab, erst am Ende folgt die AfD. Nur 31% ihrer Wähler stimmten voller Überzeugung für sie, für 60% war sie nur die „Alternative“ zu den etablierten Parteien.

Offensichtlich behagt der scharfe Rechtskurs der Parteispitze der Basis nicht. Dies lässt sich auch durch weitere Zahlen belegen. So meinten 85% der AfD-Wähler, dass ihre Partei als einzige ihren Protest ausdrücken würde und 55%, dass sie sich nicht entschieden genug von rechtsextremen Positionen distanziere. 51% stimmten der Aussage zu, dass für die Integration von Flüchtlingen mehr getan werden müsse. Eine knappe Mehrheit der AfD-Wähler hat also kein Problem mit Flüchtlingen – solange sie sich an die deutsche Kultur und Gesetze anpassen.

62%, 78% und 82% der AfD-Wähler sprachen ihrer Partei hohe Kompetenz auf den Gebieten Terror, Flüchtlingskrise und Kriminalität zu – nur 48% sagten dies über den Bereich Familienpolitik. Das Bild vom homophoben AfD-Wähler, der sich vor Sexualkunde fürchtet und die Frau am liebsten in der Küche anketten würde, ist also bei weitem zu pauschal.

Auch zeigt sich, dass viele Wähler der AfD von CDU, SPD und der LINKEN kamen, verhältnismäßig wenige von FDP und GRÜNEN. Die Wahlerfolge entstammen also der Mitte der Gesellschaft. Zudem war jedem Wähler klar, dass die AfD nicht in einer Regierungskoalition vertreten sein würde. Dies wollen weder die anderen Parteien, noch will es die AfD selbst, die den moderaten Flügel marginalisiert hat. Eine reine Oppositionspartei kann kaum politischen Schaden anrichten.

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Ein weiteres Klischee scheint sich zu bestätigen. AfD-Wähler sind weniger gut gebildet. So wählten 14% der Personen mit einfachem Bildungsstand und nur 9% mit hohem Bildungsstand die AfD. Ähnlich gilt aber genau so für CDU und SPD (und bis vor einiger Zeit für die LINKE), dass Akademiker unter ihren Wählern schwächer vertreten sind – ohne dass dies regelmäßig Häme in den Medien auslösen würde. Dort heißt es dann, die entsprechende Partei würde die Sorgen und Nöte der kleinen Leute ernst nehmen.

Die Ansicht, die Entscheidung der AfD-Wähler resultiere schlicht und ergreifend aus ihrer „Blödheit“, stößt naturgemäß unter den größtenteils grünen Journalisten auf einhellige Zustimmung, doch gibt es auch eine ganz andere Erklärung. Personen mit niedrigem Bildungsstand verfügen meist über kein hohes Einkommen. Jede Fehlentscheidung der Politik, die zu finanziellen Einbußen führt, spüren sie als Erste und am stärksten. Als Besserverdiener ist man viel eher in der Position, auf das „Proletariat“ herabzusehen. Übrigens: Beim Vergleich zwischen bildungsferner und bildungsnaher Schicht fällt völlig unter den Tisch, dass die AfD in der mittleren Bildungsschicht mit 17% am Besten abgeschnitten hat.

Droht mit den vielen rechtsextremen Abgeordneten im Bundestag der Rückfall ins Dritte Reich oder zumindest in den Mief der Adenauer-Jahre? Wohl kaum – viel mehr zeigt sich eher, wie kurz das Gedächtnis der meisten deutschen Journalisten zurückreicht. Es ist gerade einmal 10 Jahre her, dass der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger seinem verstorbenen Amtsvorgänger Hans Filbinger bescheinigte, ein Gegner der NS-Diktatur gewesen zu sein – tatsächlich hatte er zu Kriegsende als Militärrichter Todesurteile gegen Deserteure verhängt. Für jedes skandalöse Zitat eines AfD-Politikers – und sei es noch so geschmacklos – lässt sich eine nahezu identische Aussage eines CDU-Bundestagsabgeordneten der 90er Jahre finden. Bekanntermaßen stellten die Unionsparteien damals die Bundesregierung – Helmut Kohl taucht in Geschichtsbüchern aber dennoch nicht als Diktator, sondern als demokratischer Staatsmann auf. Die AfD wird es – zumal ohne Regierungsverantwortung – wohl kaum schaffen, Deutschland wieder zurück in die „finsteren 90er Jahre“ zu führen.

In den 80er Jahren hatte der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß die Parole: „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!“, ausgegeben. Er war der Ansicht, rechtes Gedankengut in den Unionsparteien verankern zu müssen, um im Rahmen der politischen Hygiene das Aufkommen einer eigenständigen rechten Partei unmöglich zu machen. Nach ihm knüpfte vor allem sein hessischer Amtskollege Roland Koch an diese Tradition an.

Erlaubtes
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Damals warfen linke Journalisten ihnen vor, ganz im Gegenteil das rechte Lager durch entsprechende Positionierungen nicht zu schwächen, sondern zu stärken. Die entsprechende Frage:„Was wäre wenn…?“, die dieses Rätsel gelöst hätte, wurde mit dem Amtsantritt der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel im Jahr 2000 beantwortet. Schritt für Schritt demontierte sie den rechten Flügel der Union. Und tatsächlich bestätigte sich, was Strauß und Koch prophezeit hatten. Rechte Kleinparteien, wie z.B. die pro-Bewegung formierten sich, auch wenn der große Erfolg vorerst ausblieb. Die Unzufriedenheit stieg jedoch weiter an und erreichte mit der Euro-Krise 2012 und der Flüchtlingskrise 2015 zwei vorläufige Höhepunkte. Bekanntermaßen profitierte die AfD von der Stimmung.

Linke lieben den Gedanken der Umerziehung, also die Vorstellung, dass Menschen gewissermaßen „unbeschriebene Blätter“ seien und beliebig in ihren politischen Ansichten formbar wären. Wie vor einigen Jahren in der ZEIT zu lesen war, ist die politische Einstellung einer Person vor allem durch ihre Gene vorgegeben. Ein gewisser Teil der Menschen tendiert nach links, ein gewisser Teil nach rechts, während die breite Mitte indifferent ist und sich je nach Lage mit einer der beiden Richtungen arrangieren kann. Eine politische Haltung komplett „wegzuerziehen“ scheint da nicht möglich. Zu dieser Erkenntnis kamen intuitiv die beiden Diktaturen auf deutschem Boden. Auch die NSDAP sprach Linke, auch die SED sprach Rechte an.

Dieser Konsens wurde durch den politischen Linksruck des vergangenen Jahrzehnts aufgekündigt. Positionen, die vor nicht allzu langer Zeit fest in der demokratischen Mitte verankert waren, gelten heute schon als rechtsextrem. Angela Merkels Reden zu Zuwanderung aus ihrer Zeit als Parteivorsitzende vor dem Einzug ins Kanzleramt (2000-2005) klingen fast genau so, wie entsprechende Reden aus der AfD. Meinungen, die eigentlich Selbstverständlichkeiten und in keinster Weise extrem sind, werden mittlerweile sanktioniert, zB durch das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz”. Die vielen neuen „geschlechtergerechten Schreibweisen“ erinnern nicht wenige an das orwellsche „Neusprech“. Die Meinungsfreiheit wird immer weiter beschnitten – viele Menschen wollen ihre Meinung aus Angst vor der Nazikeule nicht mehr öffentlich äußern. In dieser Situation erscheint die Wahl der AfD fast schon als Notwehr.

Klar – rückt die Gesellschaft als ganzes nach links, gilt jede Wortmeldung der Mitte schon als „Rechtsruck“.

Erst recht in der Flüchtlingskrise haben die Altparteien das Vertrauen ihrer Wähler verspielt. Bereits 2015 meldeten viele Bürger die Sorge an, dass durch den Zustrom syrischer Flüchtlinge die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland steige. Unisono schallte es zurück, dass eben diese Leute keine Terroristen seien – sondern ganz im Gegenteil vor dem Terror flüchteten. Mal abgesehen davon, dass eben nicht der fundamentalistische Islamische Staat, sondern die säkulare Arme Baschar al-Assads die meisten Menschen im syrischen Bürgerkrieg tötete, hat die Terrorgefahr objektiv zugenommen. Das beweisen zum einen der Anschlag auf dem Breitscheidplatz und die jüngste Messerattacke in Hamburg – sowie weitere Anschläge im übrigen Europa, dessen Attentäter Deutschland als Operationsbasis oder Durchreisegebiet nutzten.

Nach der Wahl
Wahlschlappe für die deutschen Meinungsführer-Medien
Auch die zunehmenden Sexualdelikte durch Flüchtlinge gegen deutsche Frauen wurden von den Medien nur unzureichend thematisiert. Die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht wurden erst mit mehreren Tagen Verzögerung durch die Medien aufgegriffen – weil ihnen die aufkommenden Gerüchte in den sozialen Medien auch gar keine andere Wahl gelassen hatten. Beschwichtigend hieß es dann aber gleich, dass sich ähnliche Vorfälle auch auf dem „biodeutschen“ Oktoberfest ereignen würden (wofür Phantasiezahlen herangezogen wurden). Außerdem sei es sexistisch, sexuelle Gewalt gegen deutsche Frauen zu beklagen – denn insgeheim würden deutsche Männer Frauen als ihr Eigentum betrachten, über das nur sie, nicht aber Ausländer frei verfügen dürften. Der „Aufschrei“ über ein missglücktes Kompliment des FDP-Politikers Rainer Brüderle fiel hingegen ungleich lauter aus.

Ebenso wurde die Befürchtung, dass durch die Flüchtlingskrise mit einem Anstieg der Kriminalitätsrate zu rechnen sei, von den Medien als „rechts“ beschimpft – sie hat sich aber inzwischen bestätigt. Sogar der SPIEGEL und die Süddeutsche gaben vor einigen Tagen – pünktlich zur Bundestagswahl – endlich zu, was viele Frauen schon seit zwei Jahren ahnen: Flüchtlinge sind bei Vergewaltigungsdelikten stark überrepräsentiert. Dies kann auch kaum verwundern, denn die meisten von ihnen sind junge Männer und diese neigen naturgemäß eher zu Vergewaltigungen als kleine Kinder oder alte Frauen. Das Frauenbild in der arabischen Welt dürfte sein übriges zu dieser Entwicklung beigetragen haben.

Vor allem mit dem Thema Islam konnte die AfD punkten. Diese Wahlkampfstrategie wurde kurzerhand als „Rassismus“ tituliert – obwohl der Islam eine Religion und keine Rasse ist. Auch wenn manche Zitate von AfD-Politikern über das Ziel hinaus schießen: Im Kern haben sie Recht. Der Islam ist eine gewalttätige Religion und die Linke täte gut daran, dies einzusehen. Der Islam diskriminiert Frauen, Homosexuelle, Juden, er will die Meinungs-, Presse-, Religions-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit abschaffen. Er lehnt die Demokratie ab und befürwortet Prügel- und Todesstrafe. Kurzum: er ist rechts. Also müssten Linke die natürlichen Feinde des Islam sein. Je eher sie dies begreifen, umso eher können sie der AfD wertvolle Stimmen abjagen.

Es gibt sogar explizit linke Politiker, bzw. Sympathisanten der AfD. In Essen trat der ehemalige Bergmann Guido Reil als Direktkandidat an. Er war zuvor jahrzehntelang Gewerkschaftsfunktionär und SPD-Ratsherr. Dietmar Wagner aus Hamburg war Schuldirektor und Mitglied der GEW. Er setzte sich unter anderem für die Integration ausländischer Schüler ein. Der Homosexuellenaktivist Christopher Pietsch war in der LINKEN aktiv, setzt sich heute aber für die AfD ein.

Tatsächlich sind – nach Auswertung der ARD-Wahlanalyse – nur etwa 40% der AfD-Wähler rechts. Das macht bei einem Gesamtstimmenanteil von 12,6% ca. 5% aus. Ohne ihre nicht-rechten Wähler läge die AfD also nur knapp oberhalb der parlamentarischen Wahlklausel – und wäre damit schlagbar. Mit einer rationalen Politik wäre es den Altparteien ein leichtes, das Ergebnis der AfD deutlich zu drücken, oder sie aus dem nächsten Bundestag zu verbannen. Vermutlich werden sie aber an ihrer bewährten Strategie, AfD-Wähler als dumme, rechte, sexistische, homophobe ewiggestrige Rassisten zu beschimpfen, festhalten.

Lukas Mihr ist Historiker und freier Journalist.

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