Am Sonntag ist Bundestagswahl. „Ach was?“ würde Loriot dazu sagen, wer das noch nicht mitbekommen hat, lebt in Tannu-Tuva oder im Paradies Nord-Korea. Die Frage steht aber im Raum, was die Wahl denn für die Finanzmärkte und damit für unsere Depots bedeutet, die ja schon das ganze Jahr lang jegliches Risiko in der Welt einfach schulterzuckend abtun und langsam aber stetig steigen.
Die geliebte, vom Ende her denkende Weltenlenkerin
Zunächst einmal muss man die Bedeutung der Bundestagswahl generell einordnen und die ist außerhalb Europas nicht besonders hoch. Natürlich, die Spin-Doktoren unserer Kanzlerin werden nicht müde, ihre Bedeutung als große Weltenlenkerin heraus zu kehren, das kommt bei Wählern ja immer gut an, die dabei vergessen sich zu fragen, ob solche Weltenlenker denn eigentlich denen genügend Aufmerksamkeit schenken, die in dem Land schon länger leben, dem der Amtseid eigentlich geschworen wurde. Vor dem Hintergrund habe ich mit Interesse die Versuche zur Kenntnis genommen, Frau Merkel als Vermittlerin in der Nordkorea-Krise in Stellung zu bringen. Wenig überraschend hat es keinen interessiert, nicht einmal Herr Kim hat gezuckt, aber ein paar Wähler hat es sicher gebracht, die stolz sind, so eine weise Weltenlenkerin als Bundeskanzlerin zu haben.
Nein, an den großen Märkten in New York, Tokio, Hongkong und Shanghai, ist die Wahl hier in Deutschland ein nettes Nebenevent, gut für eine Nachricht am Rand der ersten Seite der Medien, aber sonst ohne große Bedeutung. In Europa sieht das etwas anders aus, dazu komme ich aber gleich.
Der Denkfehler
Dass die Wahl so nebensächlich wahrgenommen wird, hat aber auch mit der Wahrnehmung zu tun, dass die CDU Merkels die Wahl ja sowieso wieder gewinnt und in Deutschland ruhig „weitergemerkelt“ werden kann. Und hier liegt in meinen Augen ein Denkfehler der ausländischen Investoren und das ist das Kernthema dieses Artikels.
Ich sage es deutlich und klar: Es gibt ein größeres Risiko als die meisten ahnen, dass Deutschland nach der Wahl zu einem unsicheren Kantonisten wird, weil keine stabile Regierung gebildet werden kann. Und die Märkte haben dieses Risiko noch weitgehend nicht auf dem Radar. Ich bin ja viel in US-Medien und -Blogs unterwegs, der Gedanke, dass Merkel keinen Koalitionspartner findet, ist kein Thema, dabei ist das nun ganz real – es hängt alles von der SPD ab, dazu später mehr.
US Investoren dominieren den deutschen Markt
Nun werden sich einige Leser vielleicht fragen, was denn die US-Sicht mit dem DAX zu tun hat? Die Antwort ist ganz einfach, da die Aktienkultur in Deutschland so unterirdisch ist und alle die sich damit beschäftigen, sowieso nur „gierige Zocker“ sind, liegen mehr als 50% der Anteile deutscher Aktien in der Hand ausländischer Investoren und darunter sind es die US-Investoren, die dominieren. Die Meinung, die US-Investoren aus ihrer Sicht zum deutschen Markt haben, ist also höchst relevant – mindestens so relevant wie die der deutschen Anleger, wenn nicht wichtiger.
Die wirkliche Lage vor der Wahl
Wie ist denn aber die wirkliche Lage vor der Wahl? Nimmt man die Umfragen und schreibt man die Tendenzen fort, wird am Sonntag die AfD den dritten Platz einnehmen. Dahinter streiten sich FDP und Linke um den vierten Platz und die Grünen bleiben mit ihrer Kernklientel aus dem Juste Milieu auf dem fünften Platz.
Die CDU Merkels wird weiter leicht nachgeben und im mittleren 30er Bereich abschließen, vielleicht eher tiefer und die SPD kämpft mit 20%. Und das ist das Kernproblem, das noch zu wenig beachtet wird.
Eine waidwunde SPD wird keine große Koalition mehr eingehen
Denn eine waidwunde SPD mit unter 20% wird nach meiner Vermutung keine große Koalition mehr eingehen können. Dann dürfte dem letzten Funktionär klar sein, dass die Partei so nicht weitermachen kann und sich in der Opposition erneuern muss. Es würde in der Partei auch das große Stühlerücken einsetzen, Frau Nahles würde wohl ganz nach vorne ins Rampenlicht rutschen und alles würde von unten nach oben gekehrt. Nach so einer Klatsche, die dann gar nicht mehr „große“ Koalition trotzdem fortzusetzen, würde die SPD bei der nächsten Wahl wohl endgültig zur Splitterpartei machen; ich denke, das wissen die Mitglieder und deshalb wird es nicht passieren.
Hinfällig wird das Szenario sofort, wenn die SPD ein halbwegs so respektables Ergebnis einfährt, das sie erhobenen Hauptes wieder in eine „GroKo“ gehen lässt – dann bleibt alles, wie es ist und der Markt wird nur gähnen. In Anbetracht der großen Ängste, die nun offensichtlich in der SPD herrschen, denke ich, dass schon mit 25+ Prozent das große Durchatmen einsetzen wird.
Jamaika ist eine Schnapsidee
Jetzt nehmen wir mal an, die SPD fällt unter 20% und kann waidwund keine „GroKo“ mehr eingehen. Dann denken alle, dann bliebe ja noch „Jamaika“. Ich halte das aber auf Bundesebene für eine Schnapsidee, an deren Realisierung ich nicht glaube. Für Merkel wäre es zwar ideal, statt dass ein kleiner Koalitionspartner sie treibt, würden die beiden Kleinen sich gegenseitig neutralisieren, die sich ja sowieso wie Feuer und Wasser in Antipathie verbunden sind.
So könnte Merkel sich ausgleichend dazwischen positionieren und damit wieder genau das tun, was sie am besten kann: zu reagieren und Leerräume zu füllen, statt voran zu gehen. Am Ende so einer Koalition, wären FDP und Grüne am Boden und dieses Mal endgültig aus dem Bundestag – gerade die FDP, der sowieso noch der Nimbus der Umfaller-Partei anhängt, was aktuell bessere Ergebnisse verhindert. Aber auch die Grünen dürfte es über die notwendigen brutalen Kompromisse innerlich zerreißen. In so einer Dreierkonstellation bleibt auf Bundesebene einfach zu wenig zur Profilierung übrig für die Kleinen, profitieren würde von den Schwerkräften der Jamaika-Koalition wohl nur die Union und Merkel als „Fels der Mitte“.
Deshalb kann man Grünen wie FDP nur dringend raten, das Thema nur mit der Kneifzange anzufassen, wenn überhaupt. Und wenn Lindner klug ist, wird er zum Wohle des langfristigen Überlebens der FDP jede Gelegenheit nutzen, um den restlichen Spalt in der Jamaika-Tür gesichtswahrend zuzuschlagen. Jamaika ist eine Schnapsidee auf Bundesebene, davon bin ich fest überzeugt.
Dann haben wir den Salat
Und dann haben wir den Salat. Etwas, was es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben hat und sich daher auch kaum jemand vorstellen kann. Eine Situation, in der sich keine Regierungs-Koalition mehr findet, weil Jamaika eine Totgeburt ist und die SPD wie ein verendender Hirsch einfach nicht mehr kann.
Wenn das so kommen würde, wird es an den Märkten „rappeln“. Nicht sofort am Montag, diese Erkenntnis muss ja erst einmal sickern und das hängt davon ab, wie gerade die SPD sich zur einzigen sicheren Regierung, einer kleinen „GroKo“, positionieren wird.
Sobald aber die Regierung hier in Deutschland fragwürdig wird, sobald also diese eindeutige Unterstützung der EZB nicht mehr ganz sicher ist, wird der Markt scharf und ängstlich reagieren. Wir werden dann einen Absturz der Märkte in Südeuropa sehen, ein Hochschießen der Renditen und Ausfallwahrscheinlichkeiten, also eine Wiederkehr der Eurokrise. Und das alles, weil Deutschland keine EZB-freundliche Regierung bilden kann.
Im Vorfeld ist dieses Szenario für schwarz-gelb ja schon an die Wand gemalt worden, weil die FDP nicht ganz so unterwürfig zu Draghis Politik steht wie die anderen derzeit im Bundestag vertretenen Parteien. Ein bisschen Sorge wird in dem Fall auch im Markt sein, das stimmt schon. Aber da sehe ich kein echtes Problem, denn eine schwarz-gelbe Regierung würde in dieser Sache schnell eine klare Linie finden und damit werden die Märkte auch leben können, denn die Märkte hassen Unsicherheit, sie hassen aber nicht die FDP! Eine schwarz-gelbe Regierung ist aber vermutlich kein reales Szenario, dafür wird die CDU zu schwach und viel mehr als 10% kann man von einer FDP nicht erwarten, die immer noch vom Ruf der Vergangenheit belastet wird.
Alarmstufe Rot für die Märkte
Wenn aber gar keine Regierungsbildung möglich ist, dann rappelt es, dann gibt es an Europas Märkten Alarmstufe Rot, denn das ist dann pure Unsicherheit. Das ist vor allem Unsicherheit für Italien, Griechenland und Co. Dann fällt der Euro und die europäischen Märkte. Vom Ergebnis der SPD hängt also viel ab, fällt die SPD unter 20%, sind wir in meinen Augen mit relevanter Wahrscheinlichkeit in dem Szenario.
Gleichzeitig ist der deutsche Markt derzeit sowieso überkauft und korrekturreif und wir haben vor Kurzem in der Asset Manager Allokation gesehen, dass die institutionellen Finanz-Ströme im DAX schon sehr gut investiert sind – was eher als Kontrasignal zu werten ist, denn wer schon ausreichend investiert ist, kauft nicht mehr nach.
Das schafft eher negatives Überraschungspotential, nicht notwendigerweise am Montag aber in Folge, je nachdem wie sich das entwickelt. Man kann also auch sagen, dass das Ergebnis der SPD den DAX bewegen wird. Ist das Ergebnis der SPD gut genug, bleibt alles ruhig, ist es sehr schlecht, gibt es Abwärtspotential im DAX, weil die Stabilität der Regierung in Frage kommt.
Wie wahrscheinlich ist das denn?
Jetzt habe ich ausführlich über das überraschende Szenario geschrieben, dass Merkel die Koalitionspartner komplett abhandenkommen könnten. Sie sollten das aber nicht als Prognose verstehen, dass das am Sonntag sicher so kommen wird.
Nein, das Szenario in dem es einfach unverändert „weitermerkelt“, ist immer noch das Wahrscheinlichste, ich würde sagen Pi-mal-Daumen zu 2/3 also ca. 70%. Wir müssen am Sonntag nur auf das Ergebnis der SPD schauen, wenn das über 25% ist, wird da durchgeatmet und die nächste kleine „GroKo“ wird dann wohl kommen und die Märkte können die Schultern zucken. Wo die anderen kleinen Parteien stehen, ist dann nebensächlich.
Daraus würde dann ein erhebliches Korrekturrisiko in der Eurozone entstehen, aber eben nur, wenn die SPD am Sonntag so mies abschneidet, dass sie nur noch mit sich selber beschäftigt ist.
Was wäre wenn?
Spintisieren wir mal weiter, denn dass gar keine Koalition zustande kommt und keine Regierungsbildung möglich ist, hat es ja in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Aber alles tritt irgendwann mal ein und dann hätte das ja auch den Charme eines Neuanfangs.
Nehmen wir mal also mal an, es käme so. Die SPD wäre am Sonntag unter 20% und müsste sich ins Schneckenhaus zurückziehen und die Wunden lecken. Jamaika wäre aber ohne realistische Chance. Dann gibt es plötzlich ein realistisches Szenario von Neuwahlen im nächsten Frühjahr ohne Merkel. Denn Merkel wird und muss dann abtreten, wenn niemand mit ihr regieren will. Tut sie es nicht, wird das den „Merkel muss weg“ Effekt erst recht verstärken und die nächste Wahl dann desaströs für die CDU ausgehen. Diese Neuwahl wäre dann die Chance der SPD, falls die sich erneuern kann und einen besseren Kandidaten als Schulz als echte Alternative anbieten kann. Auch das übrigens ein taktischer Grund für die SPD, eine neue „Groko“ zu verweigern, sich neu aufzustellen und dann zum „Halali“ zu blasen.
Fazit
Alle im Ausland denken, diese Wahl sei langweilig und Merkel würde sowieso „weitermerkeln“ und insofern muss man sich keine Sorgen machen. Ich halte das für zu alternativlos, denn viel wird vom Ergebnis der SPD abhängen. Und das Risiko, dass Merkel am Ende ohne Regierungspartner dasteht, ist nach meiner Ansicht erstaunlich hoch, ich würde sagen so 30%, und das ist viel mehr, als die US-Anleger derzeit auf dem Radar haben.
Trotzdem, mit 70% merkelt alles unverändert weiter und Macron und Merkel werden dann die Eurozone „vertiefen“, was heißt dem deutschen Steuerzahler zugunsten Südeuropas in die Tasche zu greifen, was den Börsen fraglos gefallen würde. Darüber wird nun aber nicht vor der Wahl geredet, denn um bewusst sarkastisch unseren geschätzten Innenminister in anderer Sache zu zitieren, „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“ 😉
Wir als Anleger sollten dieses bisher unterschätzte Risiko im Hinterkopf behalten, aber nun nicht sofort in Hektik und Panik verfallen. Denn mit der höchsten Wahrscheinlichkeit wird in einer neuen „GroKo“ einfach weitergemacht wie bisher und auch wenn das für Deutschland nicht unbedingt die besten Aussichten sein müssen, ist es eine Situation, die die Märkte nicht in Unruhe bringen wird. Sollte es wie dargestellt anders kommen, wissen wir sofort was zu tun ist.
Ihr Michael Schulte (Hari)