Machen wir uns nichts vor: Das analytische Pulver ist bereits längst verschossen. Klugen Analysten der Werbewirtschaft und Kommunikationswissenschaft haben ihre profunden Urteile hinsichtlich der Überzeugungskampagnen aller Parteien abgegeben. Die Nihilisten unter ihnen schreiben, dass es sowieso immer schlimmer wird, der Humanist rettet sich an das verheißungsvolle Ufer der Kreativität: Noch nie war Parteienwerbung so professionell und überraschend wie 2017 – den schönen Frauen und Männern der FDP, pardon, der Liberalen, sei dank.
Sie alle haben sich, wenn man so sagen darf, im Jahrhundert verlaufen. Denn unsere Epoche befindet sich (so liest man) in einem rasanten Übergang von einer Schriftkultur in eine Bildkultur (Sie sind also hoffnungslos outdated – wie man so sagt – lieber Leser!). Bilder ließen sich (so liest man) nämlich auf den Smartphones dieser Welt viel schneller „begreifen“ als Schriften. Die von mikroskopisch kleinen Bildchen geschulten jungen Leute werden nach dem Verklingen der Gutenberg-Galaxis, die Welt und ihre Logiken nur noch über Bildwelten verstehen – 76% der sogenannten Millenials nehmen ihre Informationen über das Smartphone auf und das immerhin durchschnittlich 248 Minuten pro Tag. Man wundert sich, dass diese Jahrtausend-Generation überhaupt noch Zeit zum Zähneputzen hat.
Angela Merkel – Falten als Leistungsbeweise
Was sehen wir also bei der CDU dieser Tage? Angela Merkel transportiert ihre Werbebotschaft „Erfolgreich für Deutschland“. Die neue Generation der Parteienwerbung hat die Quadratur des Kreises realisiert: Die totale Austauschbarkeit des Slogans vereint sich mit der faltenbelassenen Person des Star-Models. Hier sind Allgemeinheit mit höchster Individualität kombiniert. Anders gewendet: Der individuelle Anspruch ist nicht irgendeiner, sondern macht Anstrengung und Aufopferung körperhaft.
Martin Schulz – Zu schön, um gut zu sein
Herr Schulz versucht sich ebenfalls als Mensch in das Bild zu rücken, aber der Versuch scheitert. „ES IST ZEIT für mehr Gerechtigkeit“ zapft zwar die Genetik der „guten, alten SPD“ an, verknüpft diese wichtige Aussage aber nicht mit einem abgearbeiteten, sturmgegerbten Gesicht – der Bart verdeckt den Unbill des Kampfes. Zuviel Weichzeichner eines bemühten Bildbearbeiters nehmen dem Gesicht die Mühe und das Engagement. Denn das Gesicht als „Spiegel der Seele“ ist das entscheidende Kommunikationsmittel, dass uns als Individuum in der Welt positioniert. Indem der erfahrene Mann seine Erfolge und Niederlagen sichtbar werden lässt, antizipiert er das Gesehenwerden als standhaftes Subjekt, als reiner Ausgangspunkt bedeutender Handlungen und nicht Inszenierungen – eine vom Blick der Öffentlichkeit unabhängige Souveränität – er wird zum Macher statt zum Gemachten.
So bedienen beide Kandidaten in ihrer Plakatwerbung jeweilig die Austauschbarkeit in der Aussage oder im Bild. Indem sie sich politisch (höchstwahrscheinlich) erneut miteinander verbinden, mag das Manko des einen das des anderen oberflächlich gekonnt neutralisieren. Noch nie waren Werbeplakate – vor allem wenn sie nebeneinander stehen – so wahr.
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