Zu Beginn wollen wir uns bei Anne Will mit einem gewissen Pörksen beschäftigen, der nach einem Volontariat bei einer evangelischen Zeitung über „die Sprache neonazistischer Gruppen“ promovierte, ein Medieninstitut an der Uni Tübingen gründete und seither eigentlich zu allem etwas sagen kann, wenn man ihn nur fragt. „Zwischen Wohlfühlwahlkampf und Wutbürgern“ – da sieht er sich als „Vertreter der ratlosen Mitte“. Ob er wirklich „Mitte“ ist, wissen wir nicht, „ratlos“ ist er jedenfalls nicht. Man müsste ihn halt nur fragen. Dann könnte er den Parteien bestimmt helfen bei der besseren Sichtbarkeit „der langen Linien“ (die jetzt noch fehlt). Und der „Visionslosigkeit“ der Wähler wird er bestimmt auch auf die Sprünge helfen können, denn „wir müssen als Gesellschaft darüber nachdenken… .“ Worüber ist uns entfallen, denn „wir als Gesellschaft“ haben noch nie irgend worüber nachgedacht. Und das ist auch gut so.
Wahnsinnig viel, nicht mit, sondern über unsere Gesellschaft nachgedacht hat bestimmt Christiane Scherer, die sich nach ihrem Idol Theodor W. Adorno (eigentlich Theo Wiesengrund) den Künstlernamen Thea Dorn zulegte. Zum Beispiel hat Thea Dorn darüber nachgedacht, was mit all den zahllosen „Überflüssigen“ werden soll, wenn die technische Revolution demnächst richtig in Gang kommt (Stichwort Industrie 4.0). Noch wichtiger aber, dass wir Thea Dorn die schönste Szene des Abends bei Anne Will verdanken.
Hierzu müssen wir zunächst Gesine Schwan einführen. Vorstellen muss man sie nicht mehr, zweimal ist sie als SPD-Bundespräsidentin gescheitert, und seither Dauergast in den Talkshows. Ein kurzer Blick auf ihre Website verrät, dass sie in tausend Komitees und Kommissionen sitzt, so auch in der Grundwerte-Kommission der SPD.
(Bevor Sie sich die Sendung bei Anne Will jetzt in der Mediathek anschauen, lieber Leser, bedenken Sie, dass wir die Veranstaltungen immer ein wenig hochjazzen. Verbringen Sie Ihre Zeit lieber mit sinnvolleren Dingen.)
Dann wurde über die Wahl geredet, als sei alles bereits vorbei. Und unsere Schlaumeier kennen „vier Parteien im Bundestag, die man guten Gewissens wählen kann“. Also ein paar Worte über die fünfte Partei. An der sind die Ossis schuld. Was bei Anne Will schon mit einem Filmchen über Merkels Spießrutentour im Osten bewiesen wurde. Als Kronzeuge der Verteidigung saß Frank Richter von der Stiftung Dresdner Frauenkirche in der Runde.
Also, Frater, warum haben die Ossis solch eine Wut? „Wegen der mangelnden Selbstwirksamkeitserfahrung“ würden Sozialwissenschaftler sagen. Richter ist bestimmt ein guter Kerl, das wollen wir nicht bestreiten, aber auch irgendwo stehen geblieben. Ständig zitiert er Gelehrte oder Schriftsteller – ein beim ehrgeizigen Kultur-Ossi gerne verwendetes Stilmittel. Leider im Westen seit dem Tode Reich-Ranickis völlig aus der Mode gekommen. Und daher in Talkshows, außer bei Anne Will, denkbar ungeeignet. Schade, denn mit seiner Antwort auf die Wutbürger bei der Merkel-Tour sagt er das einzig Vernünftige: Solche Auftritte sind Orte der Propaganda, nicht des Dialogs.
Anne Will stocherte in der ausgehenden Glut des Lagerfeuers und fragte Waigel, ob „wir nicht alle zu alt seien“ für bahnbrechende Zukunftspläne. „Dann hätten Sie mich mit 78 ja nicht einladen müssen.“ Kurz hatte man den Eindruck, Waigel durchschaue, warum Merkel im Mainstream so gut ankomme. Mit ihrem Klima-Gedöns und Europa-Geschwurbel besänftigt sie die rotgrüne Medien-Elite. Aber das Schlusswort wollen wir auch in diesem Punkt dem Priester überlassen: „Alle Politiker sind austauschbar. Nur der Bürger nicht.“