„Die Angst vor Anschlägen liegt mit deutlichem Abstand auf Platz eins und erreicht mit über 70 Prozent einen der höchsten Werte, der jemals in der Langzeitstudie gemessen wurde“, sagte R+V-Expertin Brigitte Römstedt bei der Vorstellung der Studie „Die Ängste der Deutschen“. Im Juli 2016 hatte Römstedt formuliert: „Nie zuvor im Laufe unserer Umfragen sind die Ängste innerhalb eines Jahres so drastisch in die Höhe geschnellt wie 2016“. Deutsche Angst: ein international gebräuchliches Wort. Das ist ein Ergebnis für sich, das keine Studie braucht.
„2016 ist das Jahr der Ängste“, kommentierte 2016 Professor Dr. Manfred G. Schmidt, Politologe an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und Berater des R+V-Infocenters, dieses Ergebnis. Er registriert „erdrutschartige Verschiebungen“ im Ranking: „Die Sorgen um Geld, Gesundheit und Umwelt – in früheren Jahren noch Top-Themen – sind nicht verschwunden. Aber jetzt werden sie von schwerwiegenden Gefährdungen wie Terror, Extremismus oder EU-Schuldenkrise überlagert.“ 2016 kommt ein weiterer Faktor Deutsche Angst hinzu, so Professor Schmidt: „Die große Mehrheit der Deutschen ängstigt der Kontrollverlust des Staates in der Flüchtlingskrise und die Überforderung der Politiker – ein katastrophales Urteil für die politische Klasse.“ Konkret: Zwei Drittel der Bundesbürger befürchten, dass die große Zahl der Flüchtlinge die Deutschen und ihre Behörden überfordert (66 Prozent) und dass die Politiker ihren Aufgaben nicht gewachsen sind (65 Prozent).
2017 ist das Bild der R+V-Studie dem von 2016 sehr ähnlich. Leicht abgeschwächte Sorgenziffern spiegeln mehr die Wahrnehmungs-Veränderungen im Bereich Arbeit und Wirtschaft. R+V sagt dazu in der Pressemitteilung:
Ohne dieses positive Bild von Wirtschaft und Arbeit, das allerdings für jeden, der Bescheid weiß, die Sorgen der Bürger ausklammert, die am Rande des allgemeinen Wohlstands unbeachtet bleiben, sähe die Lage für die Verantwortlichen in Parteien, Verbänden, Gewerkschaften und so weiter wesentlich schlechter aus. Wenn sehr viele sich in wirtschaftlich sicherer Lage fühlen, nimmt Deutsche Angst Manches hin, was sonst in Aufruhr versetzen würde. Von 2005 bis 2015 hat sich die Angst vor Arbeitslosigkeit von 65 auf 32% halbiert, vor schlechter Wirtschafts-Entwicklung von 70 auf 40 Prozent gesenkt.
Die Angst vor Terror erreichte 2016 mit 73% ein bisheriges Hoch, wie die r+v-Studie jenes Jahres anschaulich ins Bild setzte. Dass es nun im neuesten Bericht 71 Prozent sind, wird man wohl nicht als Rückgang interpretieren dürfen. Bei jedem Anschlag wird die Zahl sofort ansteigen, auch über die 73 des letzten Jahres hinaus.
Interessante, nicht überraschende Erkenntnisse gibt es bei dem Blick auf Alters-Gruppen (r+v 2017). Mit der Lebenserfahrung steigt das Sensorium für Bedrohungen. Doch vom Trend her sind die Empfindungen der Alterskohorten nicht erwähnenswert verschieden. Mit ihren doch zunehmend unterschiedlichen Medien-Präferenzen kann das Bild nichts zu tun haben. Denn die Internet-affinen Jüngeren und die deutlich mehr bei den alten Medien verorteten Älteren ordnen die Themen, die ihnen Sorge machen, offensichtlich recht gleich ein.
r+v kommentiert die ermittelten Werte: „2017 überspringt fast die Hälfte der abgefragten 20 Sorgen die 50-Prozent-Marke – deutlich mehr als in den meisten Studien zuvor. Vier Ängste erreichen sogar den zweithöchsten Wert seit Beginn der Umfrage: Weit überdurchschnittlich viele Bürger fürchten sich in diesem Jahr vor Terror, Extremismus, Spannungen durch den weiteren Zuzug von Ausländern und vor Schadstoffen in Nahrungsmitteln. Unvermindert hoch ist mit 57 Prozent auch die seit drei Jahren abgefragte Angst vor der Überforderung von Bürgern und Behörden durch die große Zahl der Flüchtlinge.”
Schaut man sich die Themen mit den höchsten „Angstwerten“ an, bilden Terror, Immigration und der Umgang mit ihnen zusammen den eindeutigen Schwerpunkt der Bürgersorgen. Ein Journalist, den ich schon sehr lange kenne, kommentierte dieses Ergebnis der Studie, haben wir doch noch zu viel darüber berichtet. Wir gerieten in eine recht kontroverse Diskussion, an deren Ende er mir zwar nicht zustimmte, aber auch keine Gegenargumente mehr hatte, wie er unzufrieden mit sich selbst sagte. Ich wiederhole hier meine Hauptthese: Indem Meinungsführer-Medien diese heißen Themen runterspielen oder ausklammern, erreichen sie das exakte Gegenteil des Gewollten. Über nichts ist spannender zu reden als darüber, worüber nicht oder hinweg geredet werden soll.
Einen gesonderten Blick wirft die Studie auf das Themenfeld Schadstoffe in Nahrungsmitteln, das mit 58 Punkten auf der Angstskala sehr hoch liegt, r+v sagt: „Noch bevor der jüngste Lebensmittelskandal mit den Fipronil-belasteten Eiern öffentlich wurde, befürchteten 58 Prozent der Deutschen, dass Nahrungsmittel immer stärker mit Schadstoffen belastet sein könnten …”.
Da weisen die Medien ihre ungebrochene Meinungsführerschaft nach. Dass sich an den Einkaufs- und Konsum-Gewohnheiten gerade derer – mit ganz wenigen Ausnahmen – nichts ändern wird, die hinter dieser großen Angstzahl sind, steht auf einem anderen Blatt. Mit diesem Themenfeld und dem emotional verwandten der Naturkatastrophen, sagte mir ein Grüner, den ich auch schon lange kenne, glauben unsere Vorleute „zurück ins Geschäft” zu kommen. Er glaubt das nicht, ich auch nicht. Die grüne Partei hat ihr Urthema Umwelt verloren. Es ist so erfolgreich in derart große Teile der Völker des Westens eingedrungen, dass sich damit keine breiten politischen Gegnerschaften mehr organisieren lassen, keine Alleinstellung mehr möglich ist. Der Marke Grün ist die Farbe abhanden gekommen.
Die 26. Studie über die Ängste der Deutschen der r+v-Versicherung gibt vor allem deshalb wertvolle Erkenntnisse über die Wahrnehmung unserer Zeitgenossen von der Welt, in der wir leben, weil der Vergleich über den langen Zeitverlauf möglich ist.