Tichys Einblick
Nicht unsere Kultur

#WhereIsMyName: namenlose afghanische Frauen

Wer öffentlich den Namen einer Frau der Familie nennt, entehrt die gesamte Familie, berichten Frauenrechtlerinnen und sammeln unter dem Hashtag #WhereIsMyName Beiträge, warum Afghanen die Namen ihrer Frauen, Mütter und Schwestern verschweigen.

In this photograph taken on August 16, 2017, Afghan women attend the first public event for the 'Where Is My Name' campaign in Kabul. A social media campaign demanding that Afghan men refer to their wives by their own names in public -- rather than 'wife of' or 'daughter of' -- is gaining traction in the deeply patriarchal country. An online campaign called #WhereIsMyName, started recently by a group of young Afghan women, is challenging the centuries-old tradition and seeking to spread awareness about the right to identity.

© Shah Marai/AFP/Getty Images

In Deutschland leben aktuell etwa eine Viertelmillion Afghanen. Wohl noch ein paar tausend mehr, wenn man die nicht registrierten hinzurechnet. Vorwiegend junge Männer. Hergekommen aus einem Kulturkreis, über den wir wenig wissen. Bilder der Landschaften und Lebensumstände erzählen von Kriegen und Zerstörung, von Elend und Kargheit. Ein weit entferntes „Ende der Welt“, aus dem Menschen nach Deutschland gekommen sind, um hier ihr Glück zu finden. Noch diskutiert die Bundesregierung den Bleibestatus, aber die meisten müssen wohl nicht zurück, auch wenn sie keinen Asylstatus erhalten – die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert sich nach hiesiger Beurteilung zunehmend.

Aber wie denken diese Männer, die hierbleiben, was treibt sie um und wie schauen sie auf ihre neue Heimat Deutschland? Anthropologen, Soziologen und Pädagogen analysieren die Lage, sammeln Information und bewerten die Zukunftsperspektiven dieser in zutiefst patriarchalischen Gesellschaften mit archaischen Wertvorstellungen aufgewachsen Männer.

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Die internationale Presse nimmt gerade mit großen Interesse ein Projekt wahr, dass in Afghanistan selbst kaum registriert wird, aber geeignet erscheint, etwas über afghanische Männer in Deutschland zu erzählen. Genauer geht es um einen Aufstand der Namenlosen, der gar kein Aufstand ist. Es geht um das Recht afghanischer Frauen an ihrem Namen. Man muss zweimal hinhören, um als Europäer überhaupt den Sinn zu verstehen. Dort, wo sich die Ehre des Mannes über die Beschützerrolle für seine Frauen und Töchter definiert, ist der Name der Frau ein Tabu. Sie bekommen zur Geburt zwar einen Vornamen, heißen von da an aber entweder „Tochter von …“, „Mutter von…“, oder „Frau von …“.

Ihre Echtnamen stehen oft nicht einmal in den Geburtsurkunden oder auf dem Grabstein. Wer öffentlich den Namen einer Frau der Familie nennt, entehrt die gesamte Familie, berichten Frauenrechtlerinnen und sammeln unter dem Hashtag #WhereIsMyName Beiträge, warum Afghanen die Namen ihrer Frauen, Mütter und Schwestern verschweigen. Was in Afghanistan von den Wenigsten thematisiert wird, weiß nun das ZDF Heute Journal: „Jeder Mensch hat einen Namen … sollte man meinen. Doch in Afghanistan kämpfen Frauen dafür, beim Namen genannt zu werden. Sie heißen Nilofar und Tahmina, doch in ihrem Heimatland bleiben sie oft namenlos.“

https://twitter.com/hashtag/whereismyname

Die freie Journalistin Franziska Pröll twittert empört: „“Mutter meines Kindes“, „Meine schwache Hälfte“ oder „Mein Haushalt“: Frauen in Afghanistan kennen ihren Namen nicht.“ Nicht ganz richtig, kennen werden sie ihn, aber sie bekommen ihn nicht zu hören und dürfen ihn anderen nicht mitteilen.

Nun gibt es in Afghanistan zwar neuerdings ein Frauenfernsehen und andere Versuche, das Land aus dem Würgegriff der archaisch-patriarchalen Strukturen zu befreien, aber ein spürbarer Kulturwandel hat deshalb in dem kriegszerrütteten Land noch lange nicht stattgefunden, wenn man nicht immer nur die Zustände der mittelalterlichen Talibanherrschaft zum Maßstab nimmt.

In Deutschland leben heute etwa eine Viertelmillion vorwiegend junger männlicher Afghanen. Und sie sind ausgestattet mit einem Ehrverständnis, verankert in einem schwer zu korrigierenden Kinderglauben, der die Nennung des Namens von Frauen als ehrlos empfindet. Aber in Deutschland gibt es keine namenlosen Frauen. Die nette Flüchtlingshelferin, die Dame vom Amt, selbst die neue Nachbarin stellt sich mit ihrem Namen vor.

Vielleicht hätte sich die Flüchtlingshelferin aus Rücksicht auf die afghanische Kultur noch überreden lassen, sich als „Tochter von“ oder „Frau von“ vorzustellen, für alle anderen aber ist es undenkbar. Unsere Gesellschaft gibt so etwas einfach nicht her.

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Zwar basieren viele nordeuropäische Nachnamen heute noch erkennbar auf diesem System. In der Grammatik bezeichnet Patronymikum die Ableitung von Personennamen, die den Nachkommen (Sohn oder Tochter) bezeichnet. In Island hat Jón Einarsson einen Sohn namens Ólafur. Ólafurs Nachname ist nun nicht Einarsson wie bei seinem Vater, sondern Jónsson. Und man kann davon ausgehen, dass Jóns Vater Einar hieß. Aber jeder für sich hat einen „öffentlichen“ Vornamen, dass gilt und galt auch für Frauen.

Da weht also ein System aus längst vergangenen Zeiten herüber, dessen Diskriminierungspotenzial heute äußerst gering sein dürfte. Eben Relikte einer vergangenen Kultur. Einer europäischen Kultur, die sich weiterentwickelt hat. Wenn wir also davon sprechen, Kulturen kennenlernen zu wollen, wenn wir von „anderen Kulturen“ sprechen, dann darf man, dann muss man vielleicht sogar die weniger entwickelte Kultur als „weniger entwickelt“ benennen. Noch mehr, wenn die eigene Kultur in ihrer Geschichte Elemente der gegenwärtigen Kultur des Gegenüber trägt, bei denen man froh ist, sie überwunden zu haben.

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