Deutschland, wir haben ein Problem. Für jeden anerkannten Asylbewerber (2017 21% der Antragsteller) und für eine Reihe Geduldeter, subsididär Geschützer, unter Abschiebungsverbot oder dem Flüchtlingsschutz stehende Personen aus dem außereuropäischen Ausland müsste eine idealerweise honorierte Beschäftigung gefunden werden, will man hier nicht ein Millionenheer von Hartz-4 Empfängern aus eben dieser Gruppe etablieren.
Bis Ende 2016 waren es bereits knapp 700.000 Hartz-4-Empfänger, die Zahl wird sich mittlerweile weiter erhöht haben, mit jedem neuen abgeschlossenen Anerkennungsverfahren. Hinzu kommen hunderttausende von Familiennachzugsverfahren, welche die Zahl der Empfänger noch einmal exorbitant in die Höhe schnellen lassen dürfte, selbst dann noch, wenn sich die Chefin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gerade gegenüber der Augsburger Allgemeinen ins Unbestimmte flüchtete: „Das lässt sich schwer vorhersagen.“
Statistiker der Bundesagentur für Arbeit schreiben in einer Studie (ja, auch die Zahl der Studien explodiert), dass gerade einmal 12,8% der genannten Gruppe überhaupt eine Beschäftigung findet. Und das sind erst die Erhebungen bis Dezember 2015. Man darf hier anhand der Hartz-4-Anträge ableiten, dass sich diese Quote bis heute nicht einmal mehr auf diesem sowieso schon niedrigem Niveau halten konnte.
Deutschland, wir haben ein Problem. Und für einige offensichtlich immer noch ein Überraschendes, bedenkt man, das sich beispielsweise ein Frank-Jürgen Weise, damals als Chef der Bundesagentur für Arbeit, noch Ende 2015 zu der Aussage verstieg: „Die Zuwanderer kommen oft mit einer guten Qualifikation und motiviert nach Deutschland. Sie wollen als Fachkraft arbeiten, und hier haben wir auch viele offene Stellen.“ Wie weltfern optimistisch man an der Spitze der Agentur dachte, mag belegen, das sich Weise weiter ausmalte, dass die so in Arbeit gekommenen „gut qualifizierten Zuwanderer“ Stellen besetzten, die dann zum Entstehen weiterer Stellen führten: „Ein Projektleiter braucht Teamassistenten, und Aufträge werden hierzulande realisiert, die sonst möglicherweise ins Ausland gegangen wären.“ Ein Märchen eines neuen deutschen Wirtschaftswunders, das sich offensichtlich in Luft aufgelöst hat.
Deutschland, wir haben ein Problem. Aber die Realitätsverweigerung hält an. In einer aktuellen Pressemitteilung vom 30.08. 2017, Nr. 099/2017, weist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weiterhin auf das große Potenzial der Zuwanderer hin. Das man dafür allerdings den Zeitraum der Erhebung bis 2013 zurück ausdehnen musste, ist nur eine Randnotiz, ebenso wie die Feststellung, dass die vorgestellten Daten lediglich auf einer Längsschnittbefragung von 4.816 Erwachsenen und ihren 5.717 Kindern basieren, niedergeschrieben, in einer weiteren Studie mit dem Namen „Geflüchtete Familien“. Nur Familien?
Jutta Cordt, Präsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge weiß es eigentlich besser, allerdings floss offensichtlich nicht in die Studien des eigenen Hauses ein, was sie der Augsburger Allgemeinen gegenüber im Mai 2017 feststellt: „Sie sind überwiegend männlich und in der Mehrzahl jünger als 35 Jahre alt. Etwa 70 Prozent der Geflüchteten haben keinen formalen Berufsabschluss wie wir ihn in Deutschland kennen. Für die Bundesagentur für Arbeit ist das eine große Herausforderung: Was kann jemand, wo kann man mit Aus- und Weiterbildungen ansetzen, was will der Betroffene selbst?“ Sie stellt sogar noch weiter fest, dass „Flüchtlingsschutz“ eine humanitäre Aufgabe sei, sie diene nicht der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Tatsächlich kommt Jutta Cordt von der Bundesagentur für Arbeit ins BAMF. Man sollte annehmen dürfen, dass ihr das eigentlich eine wünschenswerte zusätzliche Kompetenz verleihen müsste.
Deutschland, wir haben ein Problem. Aber es ist kein neues, denn schon 2015 stellte der Bildungsökonom Ludger Wößmann im Gespräch mit der ZEIT fest, dass die OECD selbst für das noch als bildungsnah geltende Syrien festgestellt hat, „dass zwei Drittel der Schüler in Syrien nur sehr eingeschränkt lesen und schreiben können, dass sie nur einfachste Rechenaufgaben lösen können.“ Und Wößmann weiß noch mehr. So zum Beispiel, dass die Bundesagentur für Arbeit schon viel früher Zahlen ermittelt hätte, die belegen können, dass „rund zwei Drittel der Asylbewerber aus den Kriegsländern keine berufsqualifizierende Ausbildung haben.“
Deutschland, wir haben viele Probleme. Offensichtlich ist das Bildungsniveau der Zuwanderer geringer als erhofft. Aber sie sind da. Und niemand kann bestreiten, dass geregelte Arbeit lebenswert ist. Und das sogar ganz unabhängig von der Höhe von Hartz4-Sätzen, die im Vergleich zu Löhnen in den Herkunftsländern hoch erscheinen dürften, aber das senkt beispielsweise die Preise für Milch und Brot in Deutschland noch lange nicht auf das Niveau der Herkunftsländer. Ein Recht auf Arbeit ist unverbindlich zwar, aber immerhin im Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben worden.
Arbeit allerdings setzt Kompetenzen voraus. Auf welchem Niveau auch immer (also Deregulierung als Anerkennungskultur?). Und es fehlen nach wie vor verlässlichere Daten zum tatsächlichen Kompetenzniveau der Leute, die in küzester Zeit in großer Zahl zu uns gekommen sind und weiter kommen werden. Nun mag der heilige Gral, das System der dualen Ausbildung in Deutschland, das Lernen an zwei Lernorten (Betrieb und Berufsschule) ebenso wie beispielsweise das Berufsbildungsgesetz und die lange Tradition der Handwerkskammern zwar über ihre hohen Qualifikationen Garant für das Gütesiegel „Made in Germany“ sein, aber für einen Quereinstieg von Zuwanderern mit nicht zertifizierten Fähigkeiten erschient es für einige Player in seiner bisherigen Form eine zu große Hürde. So hatte die Bertelsmann Stiftung hat schon 2015 festgestellt, dass es hier an einer neuen „Anerkennungskultur” solcher nur informell erworbener Kompetenzen mangelt.
„Damit ihre Integration gelingt, muss ihr Wissen und Können sichtbar sein“, erklärte die Stiftung damals. „(W)ir sollten auch Qualifikationen anerkennen, die in der Praxis erworben wurden oder wenn Nachweise in Kriegs- und Unglücksgebieten verloren gingen. Sonst werden hoch qualifizierte Fachkräfte mit langjähriger Berufserfahrung zu Geringqualifizierten.“ Allerdings mag man hier anfügen: Geringqualifizierte lassen sich ebenso wenig zu qualifizierten Fachkräften hochstilisieren. Der Meister und die Kollegen im Betrieb erkennen das schnell.
Die Idee also nun als womöglich erste Stufe hin zu weiteren Projekten: Ein wirklich groß angelegtes Projekt der Bertelsmann Stiftung mit der Agentur für Arbeit namens „Berufliche Kompetenzen erkennen (BKE)“. Wie gut – oder „großartig“, wie es eine Bertelsmann-Miutarbeiterin gegenüber TE nannte – die Idee wirklich ist und in wie weit es sich hier möglicherweise doch nur um eine breit angelegte Deregulierungskampagne handelt, was das alles mit einer neuen Anerkennungskultur nicht zertifizierter Kompetenzen zu tun hat oder mit einer EU-Ratsempfehlung und welche Herausforderungen zukünftig auf die Handwerkskammern und die traditionelle deutsche Ausbildungskultur zukommen, soll hier in Kürze in einem Folgeartikel erzählt werden.