Tichys Einblick
Martin Schulz und die Deutschen

Mensch, Martin!

In der Demokratie sind Politik und Religion getrennt: Im politischen Leben geht es um das das Verhältnis von Bürger und Staat, weiter nichts, die Staatsbürger sind nun mal die Deutschen, nicht die Menschen. So schwer zu begreifen? Herrgott, Mensch Schulz!

© Michele Tantussi/Getty Images

Was die Deutschen vom SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz halten, werden wir am Abend des 24. September genau wissen; denn wahlberechtigt sind nicht „die Menschen“, sondern eine Untermenge: die Deutschen oder das Staatsvolk. Wie es Schulz mit den Deutschen hält, lässt sich allerdings schon jetzt sagen; denn er hat sich mehrmals dazu im Wahlkampf geäußert.

Schulz steht zunächst für seine Partei, die SPD, und deren Verhältnis zu den Deutschen ist ‒ sprachlich gesehen ‒ zerrüttet. Wie in vielen Ehen vor der Scheidung spricht man nicht mehr miteinander. Im SPD-Regierungsprogramm 2017 haben Deutsche keinen Platz: Auf 88 Seiten kommt das Wort nur einmal vor, und zwar als „Deutsche im Ausland“, denen die SPD die Teilnahme an der Bundestagswahl erleichtern will. Ansonsten richtet sich das Programm an „die Menschen“ in Deutschland und in der Welt, insgesamt 118-mal.

Vor 45 Jahren, 1972, zog die SPD unter Willy Brandt in den Wahlkampf mit dem Slogan

DEUTSCHE
Wir können stolz sein auf unser Land.

und wurde mit 45,8 % stärkste Partei. Mensch, Martin! Fünfundvierzig Komma acht Prozent!

Heute sind die Deutschen im SPD-Wahlkampf out. Schulz will „Kanzler aller Menschen in Deutschland“ werden. Also nicht nur der 73 Millionen Deutschen, sondern auch der 10 Millionen (Stand: 2016) Ausländer. Aber wollen die in Deutschland lebenden Franzosen, Polen, Türken und Angehörige anderer Nationen, dass ein deutscher Bundeskanzler in ihrem Namen spricht? Offensichtlich nicht; denn die Hälfte der ausländischen Bevölkerung könnte die deutsche Staatsangehörigkeit ohne weiteres erwerben. Tatsächlich wurden aber im letzten Jahrzehnt jährlich nur um die 100.000 Ausländer eingebürgert; das ‒ wie das Statistische Bundesamt es nennt ‒ „Einbürgerungspotential“ wurde nur zu 2 Prozent ausgeschöpft. Anders gesagt: 98 Prozent der einbürgerungsberechtigten Ausländer wollen nicht Deutsche werden ‒ aus welchen Gründen auch immer. Jedenfalls kann man in Deutschland „gut und gerne leben“ ohne Deutscher zu sein oder werden zu wollen. Martin Schulz sollte das respektieren.

Sprache spiegelt Denken
SPD-Regierungsprogramm - Ohne Deutsche
Respektieren sollte Schulz auch das Grundgesetz. Die Redefloskel, in Artikel 1 stehe „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Absatz 1), aber nicht „die Würde des/der Deutschen“, hat er zwar nicht erfunden, aber in sein Repertoire übernommen. Sachlich ist diese Auslegung konstruiert; denn niemand behauptet, nur Deutsche hätten Menschenwürde. Allerdings gilt: Nicht alle Menschen sind Deutsche, und das wird gleich im Absatz 2 deutlich: „Das deutsche Volk bekennt sich … zu Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“. Ja, da steht „Das deutsche Volk“, also die Deutschen, nicht die „Menschen in Deutschland“. Deutschland ist nicht „Menschland“, sondern hat ‒ wie andere Staaten auch ‒ ein Staatsvolk: die Deutschen.

Was meinen nun die SPD und ihr Kanzlerkandidat mit dem Wort Mensch? Der Mensch, um den es hier geht, wird im größten Wörterbuch der deutschen Sprache (Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. XII, 1885) definiert als „der Mensch an sich, … namentlich nach seiner Gefühlsseite“. Als Gefühl, das besonders mit dem Wort verbunden wird, nennt das Wörterbuch „Erbarmen“ und gibt folgendes Schillerzitat: “Wenn du ein Mensch bist und ein menschliches Herz hast, so höre …“ (Die Räuber IV, 5). Erbarmen sich SPD und Schulz der Wähler? Jedenfalls ist die Zielgruppe ihrer Politik nicht der selbstbestimmte, mündige deutsche Bürger, sondern der hilfsbedürftige, notleidende Mensch in Deutschland und in der Welt.

Man kann diesen Politikstil als „Emotionalisierung“ kennzeichnen. Seine Wurzeln liegen aber tiefer, nämlich in einer pseudochristlichen Einfärbung politischer Themen zu einer guten, ja frohen Botschaft ‒ einer Art Evangelium. Das Christentum ist eine Menschheitsreligion, im Neuen Testament steht das Verhältnis von Gott und Mensch im Mittelpunkt‒ und das zeigt sich auch sprachlich: Gott bzw. Herr sind die beiden häufigsten Substantive, auf Platz 3 folgt Mensch.

In einer Demokratie sind Politik und Religion getrennt: Im politischen Leben geht es um das das Verhältnis von Bürger und Staat, weiter nichts, und die Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland sind nun einmal die Deutschen, nicht die Menschen. Ist das so schwer zu begreifen? Herrgott, Mensch Schulz!

Helmut Berschin ist Professor em. für Romanische Sprachwissenschaft

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