Kauder betonte bei Anne Will: „Wir kämpfen engagiert für unser Ziel“, „Wahlkampf kommt jetzt in die intensive Phase“, „Wir wissen um unsere Aufgabe“. Oppermann begründete, warum die SPD den Umfragerückstand gegenüber der Union von ca. 16 Prozent aufholen werde und Martin Schulz doch noch Kanzler würde: „Wir werden jetzt über diese Dinge reden.“ Also über soziale Gerechtigkeit etc. Achso, verstanden. Jetzt verstehe ich, wie Schulz Kanzler wird. Er beginnt jetzt (?!) über „diese Dinge“ (!) zu reden. Merkel wird sich fürchten.
Wortschaum
Als Anne Will Kauder bittet, in einem Satz zu sagen, was das Zukunftsziel von Merkel sei (da hatte sie sich eine gemeine Frage ausgedacht), fällt ihm verständlicherweise nichts ein. Das, so meinte er, könne nur ein Journalist so kurz formulieren, er könne das nicht. Auf Nachfrage fällt ihm dann doch noch das Wahlprogramm ein: „Vollbeschäftigung in einer Zeit von Risiken.“ Vollbeschäftigung? Ist Arbeitslosigkeit das Hauptproblem in Deutschland? Anscheinend sehen das Kauder und Merkel so. Bei allen Umfragen rangiert das Thema jedoch unter „ferner liefen …“.
Oppermann unterbreitet ein Fünf-Punkte-Programm zur Flüchtlingspolitik. Auch hier nur Wortschaum, wie etwa, vor allem müsse man die „Fluchtursachen bekämpfen“, die Außengrenzen sichern, die Flüchtlinge mit Bleiberecht schnell integrieren und die anderen schnell abschieben…. Ja, so möchte man fragen: Warum macht ihr das dann nicht? Es wird weder integriert noch abgeschoben und die Außengrenzen werden auch nicht gesichert. Wer regierte denn die letzten vier Jahre?
Merkel: Nur impulsiv oder auch rechtsbrüchig?
Lindner erinnerte daran, dass Merkel in entscheidenden Fragen wie bei der Energiewende (Abschaltung der Kernkraftwerke), in der Eurorettungspolitik und in der Flüchtlingskrise impulsiv entschieden habe und sprach von einem „Affektüberschuss“ der Kanzlerin in brenzligen Situationen. Auf den Einwand, dass der damalige Vizekanzler und FDP-Chef Westerwelle bei der Abschaltung der Kernkraftwerke mitgemacht habe, reagiert Lindner schwach und weicht aus – man solle keine Vergangenheitsbewältigung betreiben. Warum hat er nicht den Mut zu sagen: „Ja, das war einer unserer Fehler“?
Oppermann kritisierte, Merkel ruhe sich auf den Reformen von Gerhard Schröder (Agenda 2010) aus. Da muss man ihm zustimmen. Aber ist nicht Schulz gerade mit dem Programm angetreten, diese Reformen zurückzudrehen? Lindner unterbricht Oppermann: „… und deshalb will Schulz die Reformen zurückdrehen.“ Leider geht die Diskussion hier nicht weiter.
Weidel kritisiert Merkel, die immer wieder Recht gebrochen habe. So habe die Kanzlerin gegen die No-Bail-Out-Klausel des Maastricht-Vertrages verstoßen und auch gegen das Dublin-Abkommen. Lindner nimmt Merkel vor dem Vorwurf des Rechtsbruches in Schutz. Merkel habe politisch falsch gehandelt, aber nicht das Recht gebrochen. Wer das sage, delegitimiere die demokratische Ordnung. Nun, das leuchtet mir nicht ein. Der Rechtsstaat wird gefährdet durch den Rechtsbruch und nicht dadurch, dass man diesen beim Namen nennt. Und die AfD steht mit diesem Vorwurf ja nicht alleine da: Renommierte Verfassungsrechtler haben ihn ebenso erhoben wie Seehofer – und Lindner hatte Merkel in der Vergangenheit auch vorgeworfen, das Recht gebrochen zu haben. Lindner kritisiert die Regierung, weil sie nicht auf Macrons Vorschläge eingehe, die Mittelmeerroute zu schließen. Leider wird darüber nicht diskutiert, obwohl laut Umfragen für über 50 Prozent der Deutschen das Flüchtlingsproblem an erster Stelle steht.
Alles Diesel oder was?
Aber offenbar sind das auch gar nicht unsere Probleme, sondern unser Problem sind Dieselautos. Weidel von der AfD sprach von einer „konstruierten Debatte“ und fragte Oppermann, warum die Grenzwerte für Stickoxide in Büros höher sind als auf der Straße. Keine Antwort. Kauder merkte man an, dass er entnervt war, wie fahrlässig die deutsche Autoindustrie schlechtgeredet wird und wandte sich dagegen, so zu tun, als ob die Automobilindustrie „mit Stumpf und Stil ausgerottet werden müsse“. Wo er Recht hat, hat er Recht. Aber seine Chefin macht ja auch dabei mit. Dass sie laut über ein Verbot von Verbrennungsmotoren nachgedacht habe, streitet Kauder ab. Lindners treffender Kommentar zur Debatte über Elektroautos, Diesel und Verkehrswende: „Auch mit noch so großen Mehrheiten kann man Naturgesetze nicht verbieten.“ Und zu Recht äußerte er seine Sorge, dass die Fehler bei der Energiewende jetzt bei einer Mobilitätswende wiederholt würden und auch hier eine Planwirtschaft angestrebt werde.
Insgesamt hatte die Diskussion ein schwaches Niveau: Kauder und Oppermann hatten außer altbekannten Politikerphrasen nichts zu bieten, Weidel hörte lieber zu, als mitzudiskutieren und Lindner war zwar rhetorisch und in der Sache am besten, aber zu zahm. Positiv: Er blieb dabei, einen Untersuchungsausschuss über Merkels Politik in der Flüchtlingskrise 2015 zu fordern, was in der Tat dringend erforderlich ist. Verträgt sich das mit einer schwarz-gelben Koalition?
Eine Besprechung von Stephan Paetow von Angela Merkel bei RTL – wie diese von Rainer Zitelmann über Anne Will ebenfalls gestern abend – folgt als nächster Beitrag um 9 Uhr.