Medizinisch gesehen scheint die Angelegenheit klar: Stickoxide schädigen die Schleimhäute in den Atemwegen. Die Liste potentieller Folgen ist lang. Durch Stickoxide hervorgerufene Entzündungen können allerlei Infektionen den Weg bahnen und sogar eine chronische Bronchitis oder ein Lungenödem auslösen.
Asthmatiker und andere Vorerkrankte leiden besonders unter dem Reizgas. Das ist nicht gut, wirklich nicht. Aber wie bei allen umweltpolitisch induzierten Hysterien gilt es auch in diesem Fall, mit der wichtigsten Frage zu beginnen: Wie konnte die Menschheit unter dieser Geißel nicht nur ihr Aussterben vermeiden, sondern sogar gedeihen? Offensichtlich sind wir doch nicht so empfindlich, wie manche Aktivisten es sich einbilden.
Gleichermaßen interessant wie belanglos. Entscheidend ist nur, was dort geschieht, wo Menschen leben und sich regelmäßig aufhalten.
An dieser Stelle kommen die Toxikologen ins Spiel, die ausgehend vom Stand des medizinischen Wissens Tiere und Menschen unter kontrollierten und reproduzierbaren Bedingungen über unterschiedliche Zeiträume hinweg unterschiedlichen Stickoxid-Konzentrationen aussetzen, um festzustellen, ab wann es wirklich unangenehm oder gar gefährlich wird. Eine Maus beispielsweise stirbt in Luft mit einem Stickoxid-Anteil von 1.800 Milligramm pro Kubikmeter nach zehn Minuten. Lebensgefahr für Menschen besteht ab 40 Milligramm pro Kubikmeter.
Solche und viele andere Resultate führen zu Grenzwerten wie dem für die maximal akzeptierte dauerhafte Belastung am Arbeitsplatz, der in Deutschland bei 0,95 Milli- beziehungsweise 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegt, also bei einem vierzigstel der potentiell letalen Dosis. Auf der Straße aber verlangt der Gesetzgeber weniger als 40 Mikrogramm, obwohl doch die meisten Menschen weit mehr Zeit im Büro beziehungsweise in geschlossenen Räumen zubringen, als in der Nähe der Verkehrswege.
Stickoxide verteilen sich von ihren Quellen ausgehend sehr ungleichmäßig in der Luft. Schon wenige Meter neben einer vielbefahrenen Straße kann ihre Konzentration enorm sinken, nur um in einem Hinterhof wieder zu steigen, es hängt ganz von der lokalen Bebauung, vom Wind, von der Luftfeuchtigkeit und vielen weiteren Parametern ab. Wer auch immer eine epidemiologische Untersuchung durchführt, vermag daher nie ausreichend genau zu sagen, welche Expositionen seine Vergleichsgruppen denn tatsächlich erlebt haben. Ihm bleiben ja nur punktuelle, ortsfeste Messungen als Referenzen und Menschen sind überaus bewegliche Forschungsgegenstände. Außerdem werden die verkehrsbedingten Stickoxid-Emissionen immer auch von anderen Schadstoffen begleitet. Eine mit Stickoxid korrelierte Häufung von Erkrankungen könnte daher in Wahrheit auf Ruß, Feinstaub, Kohlenmonoxid oder diverse Kohlenwasserstoffe zurückgehen. Epidemiologische Studien sind nicht geeignet, hier zu differenzieren. Allzu forschen Interpretationen seitens ihrer Autoren sollte daher mit großer Skepsis begegnet werden.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte nahm die amerikanische Umweltbehörde EPA die wohl bislang umfangreichste Bewertung der vorhandenen epidemiologischen Literatur über die Gesundheitsgefahren von Stickoxiden vor. Sie veröffentlichte ihre Ergebnisse Anfang 2016, als der Präsident noch Barack Obama hieß, in dessen Auftrag man einen missionarischen Kreuzzug gegen die energetische Nutzung von Kohlenwasserstoffen führte. Gerade vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der EPA besonders bemerkenswert. Einen kausalen Zusammenhang hat sie nur zwischen der Stickoxid-Belastung und Atemwegserkrankungen identifiziert. Für alle anderen immer wieder erhobenen Behauptungen sind die Belege schlicht zu dünn. Es gibt keinerlei Beweis dafür, dass Stickoxide in den Konzentrationen, wie wir sie auf unseren Straßen messen, zu mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, die Fruchtbarkeit vermindern, Entwicklungsstörungen bei Babys und Kleinkindern hervorrufen oder gar Krebs erzeugen. Und vor allem fehlt eine valide Bestätigung für die These, Stickoxide aus den Auspuffen unserer Autos erhöhten die Sterblichkeit. Wer auch immer mit „vorzeitigen Todesfällen“ argumentiert, die auf das Konto einer unzureichenden Abgasreinigung gingen, vertauscht Wissenschaft mit Demagogie.
So könnte die Politik den Gesundheitsschutz endlich konsequent in allen Bereichen auf die Ergebnisse toxikologischer Analysen ausrichten, statt der weniger belastbaren statistischen Kreativität der Epidemiologen zu folgen. Aus wissenschaftlicher Perspektive spricht nichts gegen eine Anhebung der Außenluft-Grenzwerte auf das für Innenräume festgesetzte Niveau. Wodurch erstens die Autobauer die Möglichkeit bekämen, in Ruhe und unter Abwägung aller Vor- und Nachteile schadstoffarme Motoren zu entwickeln, ohne zu Gaukeleien gezwungen zu sein. Und was zweitens den Ökohysterikern die Geschäftsgrundlage entziehen könnte. Als Ergebnis eines Abgasskandals wäre das dann doch noch ein echter Lichtblick.