Na gut, wenn Marietta Slomka vor Dunja Hayali kommt, dann ist man schon auf Betriebstemperatur. Hayali war ja auch mal Nachrichtenfrau. Nun zahlt die Horror-Vorstellung, dass es irgendwann auch mal einen Slomka-Talk geben könnte, glasklar für Hayali ein. Und noch etwas stimmt milde: Die Moderatorin, Tochter irakischer Christen aus Mossul, war jüngst bei „Inas Nacht“ zu Gast. Kennen Sie das? Diese patente Proll-Ina, die ihre Gäste immer zum Saufen verführt, ist ein Glücksfall für das deutsche Fernsehen. Ihre Talks wollen nicht mehr sein, als nettes Gequatsche in der Kneipe mit finaler Gesangseinlage. Und Ina schaffte es tatsächlich, Hayali ein paar sympathische Seiten – man sprach über Haustiere – abzugewinnen und diese auch noch in die Wohnzimmer zu transportieren.
Nun also Hayali nach Slomka. „Eine Stunde, drei Themen“, kündigt die Moderatorin uns und ihren Gästen im Studio an. Wenn sie so unverbindlich in die Kamera schaut – sie könnte auch die Tochter von Frank Elstner sein. Vielleicht wäre eine Gameshow ihr Ding? Egal, nun macht sie halt Polittalk. Und es beginnt – na klar – mit linker Gewalt in Hamburg. Zuvor ein paar Minuten lang Reportage.
„Wir tauchen ein in die Welt der Gipfelgegner“, erklärt die Off-Stimme wie Hans Hass, bevor er sich rückwärts vom Schlauchboot in die Fluten fallen ließ. Die Hayali-Crew startet in einem Merchandising-Shop für linke Demo-Kultur namens „Fire & Flames.“ Dann kommt der Verfassungsschutz zu Wort, der erklärt, linke Gewalt hätte sich nicht nur verdoppelt, auch die Qualität der Gewalt hätte sich radikalisiert bis hin zu schwerer Körperverletzung. Linker Protest sei gesellschaftlich akzeptiert, rechter nicht. Hat man ein Auge zugedrückt?
Zu Gast in dieser ersten Gesprächsrunde: Bodo Ramelow, Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, der unvermeidbare und immer leicht übererregte Extremismusexperte Olaf Sundermeyer, und Markus Söder, Minister Bayern. Ja, man kann Söder sympathisch finden, man muss ihm nur die richtigen Gäste zur Seite setzen.
Sundermeyer erklärt Ramelow gleich mal, dass ein wichtiger Bestandteil des schwarzen Blocks Mitglieder seiner Fraktion wären. Die Partei Die Linke hätte ein internes Problem mit linker Gewalt. Schweres Geschütz! Und vor allem, was ist mit Sundermeyer los, der ja mit seinem Narben und der Vollglatze immer auch etwas so wirkt, als wäre er ein Gewaltkonvertit. Marcus Söder verteidigt die Kanzlerin, die hätte keine Verantwortung für Linksextremismus. Nein, Präventionsprogramme von Frau Schwesig wären doch beim Linksextremismus bewusst heruntergefahren worden, weiß Söder. Wahlkampf halt. Jedenfalls ist das noch höflich ausgedrückt, denn steht das Ministerium nicht unter Verdacht, Linksextreme subventioniert zu haben?
Ramelow, seit Sundermeyers Ansage nun bei Hayali so was wie der Anführer linker Fraktions-Schlägertruppen wird von Anfang an in die Vereidigungsrolle gedrängt. Aber dann dreht Hayali das Ding und wirft etwas völlig Kurioses ein: Die linke Szene – auch in der Roten Flora – hätte sich in letzter Zeit zur bürgerlichen Seite geöffnet. Ja, so kann man es natürlich auch betrachten, wenn das Kanzleramt eine Rote Flora 2.0 sein möchte. Die linksradikale Szene reicht weit hinein bis in die Büros von Abgeordneten, bestätigt wieder Sundermeyer.
Neuer Einspieler: Es gibt mehr rechte als linke Straftaten. Allerdings seien rechte Straftaten öfter Propagandadelikte. Dafür sind die Tötungsdelikte Rechter quantitativ höher. Rechte Gewalt richtet sich gegen so genannte schwache Opfergruppen. Linke Gewalt richtet sich gegen Mächtige, erinnert Sundermeyer. Gut, da mag was dran sein. Nun wird das so ein einfacher Polizist im Einsatz anders sehen, das weiß auch Söder. Söder erinnert an den Anwalt der Roten Flora, der Gewalt OK fand, aber doch bitte nicht bei ihm im Viertel. Wir beschäftigen uns zu wenig mit internationaler linker Gewalt.
Söder sagt was Lustiges: Grenzkontrollen wären sinnvoll, damit man die Gewaltströme rechtzeitig stoppen kann. Nein, er meint nicht die offenen Grenzen für Asylbewerber, er meint linksradikalen Demotourismus. Bodo Ramelow war Wochen zuvor in der Roten Flora. Da kam ihm alles sehr friedlich vor. Gab es Streuselkuchen? Oder bei dem schönen Wetter eine Eisbombe? Söder findet aber Hausbesetzungen seien quasi die Einstiegdroge für linksextremistische Gewalt. Als Fazit kann man sagen: Die Hitlergrüße auf diesem abstoßenden, aber ansonsten wohl weitestgehend friedlichen Nazikonzert werden bei Hayali der linken Gewalt in Hamburg gegenübergestellt. Wie dankbar muss die linke Rechtfertigungsmaschine gewesen sein, dass Nazis auf Konzerte gehen. Man hätte es ansonsten diskret fördern müssen, wenn es nicht von alleine passiert wäre.
Und schon ist das Thema beendet und man beschäftigt sich mit Obdachlosigkeit. Dunja Hayali war unter der Brücke bei einem der 330.000 ohne Wohnung. Thomas Schulz ist ein unsichtbarer Obdachloser. Keine Wohnung, aber noch jeden Morgen zur Arbeit. Er ist 56 Jahre alt. Er verdient jetzt in der Großbäckerei Steinecke 9,75 Euro die Stunde. Eigentlich ein gut gewähltes Einzelschicksal. Den Thomas S. ist näher dran an der heimeligen Bürgerlichkeit, als Leute, die mit Wodkaflasche unter Brücken schlafen. Das macht dem Michel Angst. Die Schwelle zum Nichts scheint für Millionen Deutsche näher gerückt als noch vor zehn Jahren. Im Obdachlosenheim gibt es pro Tag zehn bis zwanzig Abweisungen. Die Abgewiesenen müssen dann auf der Straße schlafen.
Fazit hier also: Wir müssen mehr Wohnungen bauen. Ist das nun schon das neue Beschäftigungsprogramm für arbeitslose junge Asylbewerber? Man darf gespannt sein, wann sich ein prominenter Politiker diesen genialen Einfall zu Eigen macht. Das wäre dann auch ein schöner Grundstein für die Legenden von Morgen: In ein paar Jahrzehnten, wenn auch diese Milliardenschweren Integrationsbemühungen gescheitert sind und man sagen kann: Damals haben wir Euch die Wohnungen gebaut und heute werden wir so behandelt! Sie kennen das von der ersten Generation der Gastarbeiter, die man nachträglich zum Kraftwerk des deutschen Wirtschaftswunders machen will.
Thema drei ist frei von sozialen Verwerfungen. Es geht um prominente Youtuber. Den so genannten Social Influencern, die von großen Unternehmen heiß umworben werden. Offensichtlich ein neuer Geschäftszweig: Videos bloggen für Millionen Fans. Ulla Kock am Brink trifft für Hayali einen der Protagonisten, einen „Artist“. Was für eine Themenzusammenstellung, denkt man in diesem Moment. Von der Relativierung linker Gewalt über Obdachlosigkeit hin zu einem Internetphänomen von offensichtlich unbedarften Jugendlichen. Ulla K.a.B. findet das alles nicht besonders authentisch. „Verlogener Mist“, sagt Ulla. Und der Zuschauer mag sich fragen, warum ausgerechnet eine ausgemusterte Showmasterin nun Kompetenz haben sollte, die Kultur von 12-jährigen zu beurteilen. Aber nun fehlt nicht nur Boris Palmer, sondern auch der wirkliche Experte, der ebenfalls im Unwetter verschollen ist. Ulla K.a.B möchte auch Youtube machen, aber ohne Merchandising und für Frauen über 50. Wie schön, dass die Sendung nun vorbei ist. Was für ein merkwürdiger Mixed-Pickles-Talk.