Wie positioniert sich die Linke in Hamburg gegenüber Gewalt? Canzu Özdemir jedenfalls macht den Innensenator und den ersten Bürgermeister für das „eskalative Konzept“ verantwortlich. Die Polizei sei „hochgerüstet“ worden und wolle durch möglichst erdrückendes Auftreten jeden Protest weit weg vom Gipfeltreffen ersticken. Özdemir betont, dass die Linke Gewalt als Mittel der Politik nur „grundsätzlich“ ablehnt.
Alexander Wallasch: Die Fraktion Die Linke gerät massiv in die Kritik. Wie sehen Sie die Protestaktionen?
Cansu Özdemir: Wir können von Hamburg aus natürlich nicht einschätzen, wer wo auf der Welt sich hierher aufmacht. Was wir aber einschätzen können ist die Einsatzstrategie der Polizei. Und da war von Anfang an klar, dass die allein auf Stärke und Eskalation abzielte. Das haben wir und auch andere immer wieder kritisiert. Das Ergebnis erleben wir jetzt. Unsere Abgeordneten, die mit KollegInnen aus dem Bundestag und anderen Landtagen Tag und Nacht unterwegs sind, berichten uns von zahllosen Polizeiübergriffen auf friedlich Demonstrierende, auf Medien, auf Unbeteiligte. Das entspricht der Einsatzstrategie der Polizei, durch möglichst erdrückendes Auftreten jeden Protest weit weg vom Gipfeltreffen zu halten. Dieses Konzept ist komplett gescheitert.
AW: Um nur einen von vielen zu nennen: Hubertus Knabe, Leiter der Stasi Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen wirft Ihnen gerade vor, Ihre Partei würde Gewalttätern erst den öffentlichen Raum geben.
CÖ: Das ist völlig absurd. Kein Autonomer wartet auf einen Aufruf einer Bürgerschaftsfraktion, um nach Hamburg zu kommen. Was wir in den öffentlichen Raum gebracht haben, ist inhaltliche Kritik, die die anderen Parteien nicht hören wollen. Wir haben seit Monaten immer wieder die G20 und ihre Politik im Parlament, in den Medien und in der breiteren Öffentlichkeit thematisiert und eine inhaltliche Auseinandersetzung eingefordert. Die wurde von den meisten anderen Parteien abgelehnt und stattdessen die Polizei hochgerüstet. Damit wurde ein politischer Konflikt auf die Polizei abgewälzt.
AW: Knabe meint zu wissen, dass das alles immer nach dem gleichen Schema abläuft: „Die Linke ruft zu Protesten auf, von denen sie weiß, dass diese auch gewaltsam sein werden.“ Nehmen Sie Gewalt billigend in Kauf?
CÖ: Nein. Dazu haben wir auch nie aufgerufen. DIE LINKE lehnt Gewalt als Mittel der Politik grundsätzlich ab, und zwar auf allen Seiten. Wir haben immer für eine Demonstration am 8. Juli mobilisiert, zu der man ohne Sorge mit Kinderwagen und Rolli gehen kann. Und wir arbeiten dafür, dass diese Demonstration morgen ein Erfolg wird, dass unsere inhaltlichen Kritikpunkte an den G20 laut und deutlich zum Ausdruck kommen. Und wenn Knabe ernsthaft glaubt, dass außer- bis antiparlamentarische Linke auf eine Fraktion warten, um zu protestieren, dann zeigt das nur, wie weit er von der Realität in diesem Land entfernt ist.
AW: Behandeln Sie rechte und linke Gewalt unterschiedlich?
CÖ: DIE LINKE lehnt Gewalt als Mittel der Politik grundsätzlich ab, und zwar auf allen Seiten.
AW: Justizminister Heiko Maas twitterte heute mit Blick auf Hamburg, Straftäter gehörten vor Gericht. Während ihm die Rechte vorhält, eben solche Straftäter mit Bundesmitteln noch zu unterstützen. Wie sieht die Zusammenarbeit in Hamburg aus?
CÖ: Was für eine Zusammenarbeit sollte es da geben? Glaubt irgendwer, dass Menschen, die heute Autos anzünden, sich vorher wochenlang mit uns in Bündnistreffen setzen oder inhaltliche Positionierungen erarbeiten? Wir arbeiten aktuell im Bündnis für die Demonstration am 8. Juli mit verschiedenen Gruppen wie Kirchen, Gewerkschaften, Interventionistische Linke, Umweltschutzgruppen und anderen vertrauensvoll und gut zusammen. Andere Gruppen haben einen anderen Politikansatz, die haben entsprechend auch ein anderes Bündnis und eine andere Demonstration. Das ist ja der Grund, warum es zum Gipfel mehrere verschiedene Demos gibt.
AW: Nun richtet sich der Protest der Fraktion Ihrer Partei in der Bürgerschaft eher gegen die chaotischen Verhältnisse der Veranstaltung an sich (geschlossene Kitas, Sportplätze, Kneipen usw.), wie schafft man den Spagat zwischen Weltpolitik und Ortsanliegen?
CÖ: Unsere Kritik hat zwei Ansatzpunkte. Die Durchführung des Gipfels in Hamburg und die damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen und andererseits die deutliche inhaltliche Kritik an den G20 und ihrer Politik. Das ist alles ganz hervorragend zusammenzubringen, weil die Politik der G20 natürlich auch Auswirkungen auf Hamburg hat. Das haben wir in den letzten Monaten wieder und wieder zum Thema gemacht. Da waren wir aber im Parlament allein auf weiter Flur.
AW: Wie werden Sie der Kritik begegnen, die Partei Die Linke hätte in Hamburg mitgezündelt?
CÖ: Wie gesagt, diese Kritik ist völlig abseitig. Wir haben immer wieder versucht, inhaltlich zu diskutieren und auf allen Seiten eine Deeskalation zu erreichen. Diese Versuche wurden nicht ernst genommen. Die politische Verantwortung für dieses eskalative Konzept tragen der Innensenator und letztlich auch der Erste Bürgermeister.