Was in Hamburg wirklich „herauskommt“, steht in keinem Kommuniqué. Wie in jedem besseren Schauspiel kommt es nicht auf den überraschenden Plot an. Die Leute gehen nicht in Hamlet, um zu erfahren, wie die Sache ausgeht. Es sind die abgründigen Figuren und die Inszenierung, die immer wieder neu faszinieren. Es ist das immer gleiche Spiel um die Ränke der Mächtigen und die Verdorbenheit der Welt. Langweilig wird das nie. Bei Shakespeare. Im Hamburger Globe Theatre sieht das ganz anders aus.
I.
Die diesjährige Inszenierung des G20 Klassikers erscheint aus mehreren Gründen als misslungen. Einer ist schlicht darin zu sehen, dass die aktuelle Regie versucht hat, ein Stück daraus zu machen, dass den Titel tragen müsste: „Wie Angela Merkel den Rest der Welt mit nichts als ihren blauen Augen bändigt.“ Ein allenfalls blauäugiger, dem deutschen Wahlkampf geschuldeter Versuch, aus Welttheater eine Lokalposse mit Gesang zu machen.
II.
Die dämlichste Rolle spielen darin die Medien. Eigentlich spielen sie gar nicht mit, aber sie wirken mit als Beleuchtertruppe. Der Witz: Der kann nichts grell genug sein. Da sie aber andererseits nichts mehr liebt als tiefste Schatten, hat sie ein Problem, das sie so erledigt: Sie leuchtet die Schatten aus. Da nun auf der Bühne gar nichts mehr von Interesse zu erkennen ist, interessiert es sich mehr für einen Teil des Publikums auf den billigen Plätzen im Pitt. Die deutschen Talkshows rund um das Hamburger Stück erreichen einen Dämlichkeitsgrad, der den des Stücks weit übersteigt, weil es randalierende Zuschauer zu Hauptpersonen stilisiert. Die ARD übertrug z.B. sogar eine als Pop-Konzert getarnte Demonstrationsveranstaltung und ließ es von einer Nachrichtenmoderatorin (!) moderieren.
III.
Ein Teil des Publikums will also unbedingt mitspielen, stürmt die Bühne, beschädigt die Kulissen und macht einen solchen Radau, dass das eigentliche Stück nicht mehr gut zu hören ist. Dennoch ist dies der unterhaltsamere Teil des Schauspiels. Bei Shakespeare sind es die Rüpelszenen, die für den nötigen Kontrast zu den adeligen Hauptrollen und ihrem gestelzten Ton sorgen. Die Rüpel im Sommernachtstraum machen sich selbst lächerlich, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich etwas vormachen. Sie erheitern die hohen Herrschaften und schließen daraus auf ihre Bedeutung. Sie schmücken das eitle Ritual der Herrschenden mit ihrer Vorstellung aus, verleihen dem Geschehen aber zusätzliche Aufmerksamkeit, die es gar nicht verdient. Sie halten sich selbst für bedeutende Mitwirkende auf der Bühne – aber am Stück verändern sie nichts. Es sind Pausenclowns, die der sich trübe dahinschleppenden Angelegenheit eine Bedeutung aufkaspern, die es gar nicht verdient hat. So ist es auch in Hamburg.
IV.
Ein weiteres Problem der neuen Inszenierung besteht darin, dass auch das hohe Personal zunehmend mit Rüpeln besetzt ist. Das Publikum will sich über Trump, Erdogan, Putin amüsieren – sich aber auch vor ihnen fürchten. Das passt nicht gut zusammen. Die Regie hat sich nicht entscheiden können. Wohl auch deshalb, weil sie von einigen Umbesetzungen überrascht wurde. Donald Trump sprang für Hillary Clinton ein. Und Erdogan war noch als jugendlicher Liebhaber engagiert worden, ehe er den Sprung ins Charakterfach machte. Ich meine allerdings, dies ist kein Schaden.
V.
Wenn sich die 20 führenden Politiker der wichtigsten Staaten gelegentlich persönlich auf einer Bühne treffen, ist dies das Selbstverständlichste der Welt. Zur Groteske wird das Ganze, wenn die 20 Hauptdarsteller tausend Berater plus Hofstaat brauchen, um sich überhaupt zu bewegen. Dennoch ist jede G20-Vorstellung besser als keine G20-Vorstellung. Sie darf wenigstens als Seismograph über den Zustand der Bühnenkunst gelten. Das Publikum weiß dann, woran es ist. In diesem Jahr lässt sich sagen: Die Welt scheint alles in allem in einem besseren Zustand zu sein, als es die Hauptdarsteller der politische Klasse sind. Das bedeutet keineswegs, dass sie in einem guten Zustand ist. Beides für eins zu halten, wäre aber hysterisch.