Der Zweifel am Journalismus wächst: Zwar scheint die Krise, die mit dem Begriff „Lügenpresse“ einen Höhepunkt erreicht, überwunden. Hans Mathias Kepplinger, emeritierter deutscher Kommunikationswissenschaftler, der am Institut für Publizistik in Mainz tätig war und Schüler von Elisabeth Noelle-Neumann, legt dazu eine tiefgreifende Untersuchung vor – wie kommt es zur Wahrheitsverdrehung, Skandalsierung, einseitiger Berichterstattung, kurz: zu flächendeckenden Informationsblockaden durch die deutschen Medien? Und das wider besseres Wissen und offenkundiger Durchschaubarkeit des manipulativen Vorgehens? Oder um es als Journalist ins Journalistendeutsch zu übersetzen und zuzuspitzen: Wie ticken Journalisten, wenn sie schwindeln?
Gefangen in der Journalisten-Bubble
Kepplinger führt zunächst durch die Literatur über die Krise des deutschen Journalismus: Er konstatiert eine wachsende Entfremdung zwischen Journalisten und Lesern. Vieles davon ist bekannt, aber Kepplinger stellt es knapp und präzise dar: Zwar bestreiten Untersuchungen, wie sie z.B. das ZDF herausgibt, eine wachsende Kluft und meldet unveränderte Glaubwürdigkeit. Aber Kepplinger zerpflückt das Argument schnell – viele Befragte vertrauen ja noch dem einen oder anderen Medium, und das verfälscht das Gesamtergebnis, wenn man nach „Medien oder Mediengattungen“ fragt. Raffiniertere Umfragen zeigen ein anderes Bild: Ein halbes Jahr, noch unter dem Eindruck der zerfetzten Germanwings-Maschine, die ein Selbstmord-Piloten an einer Felswand zerschmettert hatte, »vertrauten« 87 Prozent Piloten – aber nur 36 Prozent Journalisten.
Von Journalisten verbreitete Meinungen und Einstellungen entfernen sich immer weiter von der Einstellung der Bevölkerung. Eine solide Mehrheit der Journalisten folgt ideologisch den Grünen, auch wenn diese im Parlament nur eine Randgruppe bilden. Diese Mehrheit wächst – weil Journalisten Nachwuchsjournalisten auswählen. So entstand eine Art Journalisten-Bubble, in der man sich ständig gegenseitig selbst bestätigt:
„Alle Journalisten verfolgen den ganzen Tag die Gewichtung und Bewertung des aktuellen Geschehens durch ihre Kollegen bei anderen Medien. Das verbindet die Kollegen untereinander und beschleunigt die Meinungsbildung im Journalismus insgesamt bzw. in unterschiedlichen Lagern.
Wegen der intensiven und schnellen Ko-Orientierung entstehen im Journalismus gemeinsame Überzeugungen, die sich wechselseitig bestätigen und zu Wahrheitsansprüchen verdichten, an denen sich die Sichtweisen der Bevölkerung messen lassen müssen.“
So existiert in der Journalisten-Bubble eine eigene, selbstgeschaffene Wirklichkeit, die mit Realität und Fakten immer weniger Berührungspunkte hat: „Für viele Journalisten handelt es sich nicht um Meinungen zu, sondern um Tatsachenaussagen über Phänomene: für sie »ist« z.B. die Kernenergie unkontrollierbar.“
Rechtspopulismus als Tabuisierungsstrategie
Damit beschreibt Kepplinger die mittlerweile 2. Stufe des Problems der journalistischen Filterbubble: Sie glauben sich im Besitz der Wahrheit; wer sie nicht teilt, muss irren. Gegen Kritiker schottet sich die Journalistengemeinde immer rabiater ab: Er zitiert Jan Fleischhauer vom SPIEGEL, der sich darüber mokiert, dass „Zweifel“ unter Kollegen neuerdings als Untugend gilt: „Wer hätte gedacht, dass »›Zweifler‹ die Steigerungsform von ›Nationalist‹ und ›Fremdenfeind‹ sein könnte«?
Denn Journalisten schreiben nicht nur, was Journalisten so meinen – längst werden Fakten gesäubert: „Fast alle berichteten schwerpunktmäßig über die Ansichten von Experten, die ähnliche Meinungen vertraten wie die Journalisten in ihren Meinungsbeiträgen. Die aktuellen Nachrichten und Berichte dieser Blätter bestätigten nun mit anderen Worten die Sichtweisen der Journalisten durch die Experten, die sie zu Wort kommen ließen. Inzwischen ist das in der Berichterstattung über kontroverse Themen eine gängige Praxis.“
Lange folgte die Bevölkerung den journalistischen Tätern und deren vorgestanzter Irrealität, machte mit, als Flüchtlinge aus der DDR von Freiheitssuchenden in „Wirtschaftsflüchtlinge“ uminterpretiert wurden, um die den Journalisten unheimliche Wiedervereinigung zu diskreditieren und die Ostdeutschen generell unter Verdacht zu stellen. Aus Journalisten wurden Aktivisten – im Gewand des Beobachters getarnt.
„Was früher als Verstoß gegen ein Qualitätskriterium der Presse betrachtet wurde – die Trennung von Nachricht und Meinung – erscheint nun vielen Journalisten akzeptabel. Bei einer Befragung von Journalisten aller Medien zu den Vor- und Nachteilen der damals heiß umstrittenen 35-Stunden Woche erklärte 1984 fast die Hälfte (45 %), es sei »durchaus zu vertreten« oder »vollkommen einwandfrei«, wenn Journalisten Informationen, die ihrer eigenen Konfliktsicht entsprechen, bewusst in den Vordergrund rücken – also hochspielen.“
In der Flüchtlingskrise genannten Migrationskrise zerbracht der Nasenring, an dem die Bevölkerung in die Irre geführt wurde. Zu weit klafften Realität und mediale Wirklichkeit auseinander. Das böse Wort von der „Lügenpresse“ entstand, der Auflagenschwund nimmt seither immer dramatischere Formen an. Nach einer kurzen Phase der Selbstzweifel aber wurde eine neue Tabuisierungsstrategie erfunden, um Zweifler wegzuzaubern, wie der Magier es auf der Bühne mit Tauben macht, die er in seinen Hut hinein- und wieder herauszaubert: »Rechtspopulisten« wurden erfunden. „Dadurch wird die Frage, ob und inwieweit die Sorgen der angesprochenen Personen und Organisationen berechtigt sind, sowie die Frage, ob und wie man berechtigte Gründe dieser Sorgen beseitigen oder mindern kann, tabuisiert. Es geht nicht um die Sache. Es geht um Macht durch Themen- und Diskussionshoheit.“
Der Kampf um die Deutungshoheit
Damit konnte die Deutungshoheit wieder errungen werden, und darum geht es den Journalisten als Branche, vermutet Kepplinger. Wer die Deutungshoheit der Journalistengemeinde anzweifelt, wird konsequent verfolgt und ausgegrenzt. „So hatten im Oktober 2015 43 Prozent der Bevölkerung den Eindruck, dass man »in Deutschland seine Meinung zu der Flüchtlingssituation nicht frei äußern darf und sehr vorsichtig sein muss, was man sagt.« Eine Ursache dieser Sichtweise war die Angst, von den Gesprächspartnern in die rechte Ecke gestellt zu werden. Dahinter steht die Überzeugung, die Medien würden durch ihre sachlich falsche und moralisch aufgeladene Darstellung der Migrantenströme ihre eigene Sichtweise diskreditieren und die Sichtweisen ihrer Gesprächspartner überhöhen.“
Ohne es zu merken, sind die Journalisten so weit gegangen, ihren eigenen Berufsstand zu zerstören, schreibt Kepplinger: „Aus Sicht vieler Befragter war in dem konkreten Fall die Berichterstattung der freien Presse und damit letztlich die Pressefreiheit von einer Voraussetzung zu einer Bedrohung der Meinungsfreiheit geworden.“
Aktuelle Beobachtungen stützen Kepplingers Herleitung. So ruft „Der Journalist“, das Sprachrohr des Deutschen Journalistenverbands, dazu auf, Werbeanzeigen für nicht-konforme Medien zu stoppen – noch undenkbar vor einigen Jahren, dass die Berufsgewerkschaft auffordert, die Meinungsfreiheit zu beschneiden und Anzeigenboykotte zu organisieren. Und im selben Heft werden Zeitschriften dahingehend unter die Lupe genommen, ob sie „rechts“ seien – Meinungsfreiheit ist kein Ziel des DJV mehr, sondern Eingrenzung derselben auf die Meinung der Bundesregierung, der sich der Vorstand des DJV wie selbstverständlich unterwirft. Wer abweicht, wird drangsaliert.
Kepplinger führt zielgenau durch die Literatur. Aber Kernstück ist eine Untersuchung, zu der er über 300 Journalisten befragt, eine solide repräsentative Stichprobe – wie ticken sie, angesichts der eklatanten Missstände ihrer Berichterstattung, die jedem professionellen Standard die Faust ins Gesicht schlagen?
Fake-News aus den Pressehäusern
Kepplinger führt die Berichterstattung auf die Fakten zurück – und siehe da, sie waren anders als Schlagzeilen, Meinungsbeiträge und Nachrichten auch in vermeintlich seriösen Medien. Es waren samt und sonders flächendeckende Inszenierungen von Fake-News.
Journalisten kritisieren die skandalösen Informationsblockaden. Aber: Viele flüchten sich in skandalöse Rechtfertigungen, Ausreden, an den Haaren herbeigezogenen Begründungen.
„Den Anspruch einer Minderheit der Journalisten auf Deutungshoheit über das aktuelle Geschehen kombiniert mit der Zurückweisung einer Bringschuld (Informations- und Vollständigkeitspflicht, rty) gegenüber den Akteuren des Geschehens und den Rezipienten der Berichte kann man als eine Folge der Entfremdung eines bemerkenswerten Teils der Journalisten von einem Großteil der Gesellschaft und ihres damit verbundenen Machtanspruchs betrachten: Sie sind nicht der Spiegel der Sichtweisen der Gesellschaft und wollen es auch nicht sein, sondern treten diesen Sichtweisen bei wertgeladenen Kontroversen mit dem Anspruch besserer Einsichten und höherer Werte entgegen. Darin manifestiert sich der Machtanspruch eines Teils der Journalisten gegenüber der Politik, der Wirtschaft und erheblichen Teilen der Gesellschaft.“
Das klingt gut. Aber wie ist dann zu erklären, dass trotzdem flächendeckend und keinesfalls nur in Einzelfällen hanebüchener, manipulativer Unsinn verbreitet wird?
Kepplingers Fazit ist so knapp wie ernüchternd:
„Die weit verbreitete Ablehnung von Kommunikationsblockaden wird von der ebenfalls weit verbreiteten Billigung von Argumenten begleitet, die sie im Einzelfall gerechtfertigt erscheinen lassen. Das deutet erneut darauf hin, dass es sich bei der entschiedenen Ablehnung von Kommunikationsblockaden eines Teils der Journalisten um Lippenbekenntnisse handelt .“
Folgt man diesem Urteil, ist die Lage des deutschen Journalismus verheerend. Denn Kepplinger hat auch gezeigt, dass Journalisten sich selbst auswählen und gegenseitig bestätigen. Dann wäre unter dem Druck der grünen Ideologen das Mediensystem eine existenzbedrohende Gefahr für die Demokratie und die Gesellschaft insgesamt geworden. Was jetzt fehlt ist eine Analyse, wie die Politik dem Gedröhn der Medien folgt und Fehlentscheidungen trifft – oder längst eine fragwürdige Partnerschaft eingegangen ist. Dies wäre eine gute Erklärung für den Linksrutsch der CDU, der sie von ihren Wählern ähnlich weit entfernt hat wie die Medien von den Lesern. Aus der für die Demokratie konstitutiven Macht wäre wegen der Folgen eine selbstzerstörerische geworden. Diesem Muster folgte auch die Berichterstattung in vielen Medien nach den Hamburger Gewaltexzessen: Reihenweise schoben Journalisten der Polizei die Schuld zu, Autoren der ZEIT bejubelten auf Twitter sogar Plünderungen oder denunzierten kritische Journalisten an die Randalierer – ein seltsames Rollenverständnis das zeigt: Journalisten verstehen sich als Aktivisten im Dienst einer seltsamen guten Sache, und wenn dabei eine Stadt in Scherben fällt. (Unter dem öffentlichen Druck hat Zeit.de beide Autoren freigestellt.)
Abstimmung mit dem Geldbeutel
Klar wird auch, warum die klassischen Medien die Fake-News- und Hate-Speech-Kampagne von Justizminister Heiko Maas weitgehend unterstützt haben: Die rot-grüne Deutungshoheit muss verteidigt werden. Notfalls muss eben Facebook verboten werden. Und die liberale New York Times nimmt die Verteufelung durch die Mainstream-Medien von Süddeutsche über Spiegel zu ZEIT und FAZ des Buches “Finis Germania” von Rolf Peter Sieferle zum Anlass sich zu wundern: Nach dem Verriß wurden jede Minute 250 Exemplare verkauft. „Die Deutschen zückten also ihren Geldbeutel und entschieden: „Das muss das Buch für mich sein.“ Diese Abstimmung mit dem Geldbeutel sei ein Zeichen, dass die Deutschen ihren medialen Autoritäten mißtrauen – so bedenkliche Zustände wie in den USA.
Hans Mathias Kepplinger
„Totschweigen und Skandalisieren.
Was Journalisten über ihre eigenen Fehler denken“, edition medienpraxis, 15
Köln: Halem, 2017