Tichys Einblick
Erklärt Marcel Börger

Quo Vadis – Ehe (für Alle)?

Der (zivile)Trauschein als Staatszertifikat der Partnerschaft zweier Erwachsener reduziert sich auf ein (vom Wert fragliches) Versorgungsversprechen untereinander, das vom Staat mit dem Steuerprivileg des Splittingtarifs subventioniert wird, solange sie besteht.

Am Freitag dem 30.06.2017 fand im Deutschen Bundestag eine kleine Konfettiparty statt. Ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang, vermutlich eine Premiere. Mit Stimmen der Parteien SPD, Grünen, Der Linke und einigen Stimmen von Mitgliedern der CDU wurde das Gesetz Bundestagsdrucksache 18/6665 angenommen. Die Beschlußempfehlung 18/12989 des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 28.06.2017 hatte dies auch so empfohlen.

Diesem Vorgang waren seit einigen Jahren diverse  Bundesratsinitiativen der SPD, Grünen und der Linken vorangegangen, welche bislang jedoch stets “versandeten“. Durch Öffnung der Ehe  für gleichgeschlechtliche Paare erledigt sich die bisherige Lebenspartnerschaft, Neueintragungen werden nicht mehr erfolgen. Bereits eingetragene Lebenspartnerschaften können in eine Ehe umgewandelt werden.

Blick zurück, nicht im Zorn

Unter „Ehe“ verstand bisher die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, wahrscheinlich weltweit, das staatlich legitimierte verheiratet sein von Mann und Frau. Dieses Verständnis entspricht im wesentlichen unserem Art. 6 Grundgesetz (GG). Prägend für eine Ehe ist der wechselseitige Beistand und die Versorgung der Ehepartner untereinander. Natürlich sind auch kinderlose Ehen wirksam, ebenso wie eine Ehe unter nichtgläubigen Paaren. Wir reden also über die rein staatliche Institution Ehe, die sogenannte Zivilehe. Wer einer Konfession angehört und zusätzlich nach dem Ritus seiner Kirche heiraten möchte, kann dies tun, sobald die Zivilehe vor dem Standesbeamten beurkundet wurde.

Für die Katholische Kirche meint Ehe die Verbindung von Mann und Frau als Sakrament und als heiligen Bund vor Gott, der grundsätzlich fürs Leben geschlossen wird.

Bei uns scheint die monogame Beziehung zwischen Mann und Frau recht alt zu sein, weil bereits Tacitus die Germanen als Völker bezeichnet haben soll, welche die Vielweiberei nicht betrieben.

Die gleichzeitige Heirat mehrerer Ehepartner (Polygamie) ist bei uns nach wie vor unzulässig, im muslimischen Rechts- und Kulturkreis ist sie möglich.

Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind als „Lustbarkeit“ auch sehr alt und werden mit den homoerotischen Knabenliebschaften der antiken Griechen schnell verbunden. Im Bereich von Herrschaftsdynastien sind auch Geschwisterehen bekannt.

Das Zusammenkommen und ggf. auch -bleiben von Mann und Frau nebst deren Sexualität und Reproduktion ist viel älter als alle uns bekannten Kulturen, sonst gäbe es uns einfach nicht. Da sich gleichgeschlechtliche Freunde/Paare/Liebende ohne Hilfe der modernen Medizin nicht fortpflanzen können, bzw. konnten, existieren auch keine Nachkommen aus solchen Beziehungen. Auch heute und mit Hilfe der modernen Medizin, benötigen Frauenpaare dennoch den Samen eines Mannes, wenn sie Kinder wollen. Bei Männern “unter sich“ ist es natürlich noch viel komplizierter, weil die gesamte biologische Ausstattung der weiblichen Reproduktionsorgane nicht vorhanden ist. In dieser Kombination wird realistisch nur die Adoption verbleiben, wenn nicht bereits in vorherigen Heterobeziehungen Kinder gezeugt wurden und diese in die neue Ehe mitgebracht werden.
Blick auf Heute, auch nicht im Zorn

Die Zivilehe der Neuzeit betrifft also nur den staatlichen Trauschein als Zertifikat der legalen und wirksamen Verbindung eines Paares. Die Ehe ist ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft der Selbstverpflichtung, ähnlich einem Vertragsschluß. Schopenhauer wird zum Thema Ehe das Bonmot „Rechte halbieren, Pflichten verdoppeln“ nachgesagt, er war ein kluger Mann.

Laut destatis.de leben in Deutschland ca. 20 Millionen Paare, von denen knapp 86 % verheiratet sind. Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften stellen 0,5 % der Paare dar, also ungefähr 100.000.

Die Monogamie ist das Leitbild der Ehe oder Lebensgemeinschaft ohne Trauschein. Die Ehe als formelle Bindung des Paares ist grundsätzlich für immer gedacht, hält aber oft, wie bei der wilden Ehe nur noch für gewisse Lebensabschnitte, bis es zur Scheidung kommt.

2014 und 2015 haben in Deutschland jeweils ungefähr 400.000 Heteropaare geheiratet und ca. 7.000 Homopaare. Das Verhältnis von gut 98% zu knapp 2% zeigt unschwer auf, dass gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften ein zahlenmäßig sehr kleines Minderheitenphänomen darstellen.

Allgemein sind die Zahlen der (Hetero)Eheschließungen stark rückläufig. Die erste Zahl die dastatis liefert, ist aus 1950 mit über 750.000 Eheschließungen (BRD). Über die Jahrzehnte haben die Zahlen kontinuierlich abgenommen und sind heute annährend halbiert, trotz deutlichem Bevölkerungszuwachs durch die deutsche Vereinigung.

Ähnlich sieht es bei der Beendigung der Ehe aus.Von 1950 bis 1974 lagen die Scheidungen immer unter 100.000 pro Jahr. 1981 wurde diese Zahl dauerhaft überschritten und ab 2002 mit über 200.000 Scheidungen pro Jahr mehr als verdoppelt. Von 2006 bis heute gehen die Scheidungen leicht zurück, 2015 lagen sie bei ca. 163.000.

Bei den Lebenspartnerschaften zeigt sich eine leichte Zunahme der Heirat von ca. 7.100 im Jahr 2014 auf 7.400 im darauffolgenden 2015. Aufgehoben, also geschieden wurden 2014 1.120 und 2015 1.136 Lebenspartnerschaften.

Die Scheidungsquoten haben sich über die Jahre auf hohem Niveau bei ca. 40%, derzeit ca. 33% eingependelt. Im gleichgeschlechtlichen Bereich liegt die Scheidungsquote bei ca. 20%, also derzeit deutlich niedriger als im Heterobereich.

Woran der stetige und deutliche Rückgang der Institution Ehe liegt, mag die Soziologie oder Politik ergründen. Jedenfalls ist die Institution “Ehe“ für ein Zusammenleben von Paaren (egal welchem Geschlechts) bei uns überflüssig geworden.

In Deutschland und Europa der Gegenwart gibt es keinen Bedarf für eine formelle Ehe, als Voraussetzung, z.B. als Paar eine Wohnung gemeinsam mieten und beziehen zu dürfen.

Paare können ihre Sexualität frei ausleben, solange alles einvernehmlich bleibt und gewisse Alterschranken nach unten nicht durchbrochen werden. Auch zur Zeugung von Kindern braucht es keiner “Erlaubnis“ durch eine Ehe mehr. Uneheliche Kinder sind in der weit überwiegenden Breite unserer Gesellschaft kein Skandal wie früher und den ehelichen Kindern rechtlich gleichgestellt.

Dass innerhalb von Minderheiten/Parallelgesellschaften doch noch frei gelebte Sexualität und Zeugung von Kindern ohne Ehe als Skandal oder als verwerflich aufgefasst werden, mag sein und wäre eine denkbare künftige Konfliktlinie für weitere Antidiskriminisierungsanstrengungen.

Damit reduziert sich die Zivilehe faktisch auf ein formalisiertes Versorgungsversprechen – gerade für die Zeit nach ihrem Scheitern. Dann zeigt sich der Wert der gesetzlich geregelten Versorgungsversprechen auch recht schnell. In vielen Fällen erweisen sich der Schwur “ in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet“ als doppelt falsch, weil Scheidungen jederzeit zu Lebzeiten passieren können und Unterhalt oft mühsam erstritten werden muss, wenn überhaupt irgendwas zu holen ist.

Weder Treue, noch Zusammenbleiben, noch Sexualität ist einforderbar, nur weil man als Paar verheiratet ist. Nichts davon ist gerichtlich oder durch Gerichtsvollzieher durchsetzbar, also rechtlich erzwingbar. Jedes denkbare oder echte „Fehlverhalten“ kann die Trennung auslösen, muss es aber nicht. Schuldaspekte sind heute bei Trennungen weitestgehend bedeutungslos.

Blick nach vorne, im Zorn oder optimistisch?

„Ehe für alle“ scheint zu kommen und wird wohl auch vom Verfassungsgericht akzeptiert werden. Wurden am Freitag dem 29. Juni 2017 technische Fehler gemacht, was gut möglich ist, folgt mit hoher Wahrscheinlichkeit der übliche Reparaturbetrieb über Novellen, Überarbeitungen etc.

Selbst wenn das BVerfG eine Grundgesetzänderung verlangen und sich ab September 2017 die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag spürbar ändern sollten, wäre eine Mehrheit für eine Verfassungsänderung zu erwarten, würde die CDU wieder “mitmachen“.

Der Erfolg der Kämpfer für die rechtliche Gleichstellung aller geschlechtlichen Formen von Ehe, ändert nach meiner Auffassung nichts an der grundsätzlichen Sinnkrise, in der sich das Institut der Zivilehe insgesamt befindet.

Eine Öffnung der Ehe-Sakramente, also die “kirchliche Ehe für alle“ mag die Kampfzone von morgen oder übermorgen werden. Die evangelische Kirche dürfte damit weniger Schwierigkeiten haben, wie aus ihren Reihen bereits wahrnehmbare Äußerungen vermuten lassen. Die katholische Kirche wird wesentlich zurückhaltender sein und bleiben, weil sie im Gegensatz zur evangelischen Kirche global denkt und denken muss.

Die moderne Zivilehe als formalisierte Monogamie (auf Zeit), scheint durch die recht hohe Quote von derzeit ca. 35% ihres festgestellten Scheiterns zu Lebzeiten keine stabile, erfolgreiche Institution mehr zu sein.

Die EfA als wichtiges Projekt der Grünen und Linken ist rein zahlenmäßig ziemlich bis völlig bedeutungslos. Der mediale Hype um dieses „Projekt“ ist nicht nachvollziehbar, es sei denn, es geht um ganz anderes.

Solange sich die Katholische Kirche diesem Projekt verschließt, wird sie sicherlich ideologischer Gegner der Regenbogen-Kämpfer bleiben, Ausgang offen. Ob der Staat die Kirchen jemals zwingen wird, sich gleichgeschlechtlichen Ehen zu öffnen, darf bezweifelt werden. Wenn die Kirchen sich aufgrund ihrer eigenen kirchenrechtlichen Autonomie für gleichgeschlechtliche Eheleute öffnen, mag die sehr kleine Gruppe der gleichgeschlechtlichen Paare sich darüber freuen.

Da ein Zusammensein und Zusammenleben von Paaren bei uns keiner staatlichen Legitimation mehr bedarf, ebensowenig die Zeugung und Erziehung von Kindern, reduzieren sich verbleibende Aspekte Pro-Ehe auf sehr wenige Details.

Alle Versorgungsfragen zwischen den Ehe-Partnern, auch in Bezug auf Ihre Nachkommen, lassen sich auch in „Wilder Ehe“ per Vertrag verbindlich regeln, wenn man es denn regeln möchte.

Der (zivile)Trauschein als staatliches Zertifikat der Partnerschaft zweier Erwachsener reduziert sich damit auf ein (vom reellen Wert fragliches) Versorgungsversprechen untereinander, welches vom Staat mit dem Steuerprivileg des Splittingtarifs subventioniert wird, solange die Ehe besteht.

Marcel Börger stammt aus Dortmund, Studium und Referendariat in Bayern, seit 1996 Anwalt und seit 1997 in Sachsen niedergelassen.

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