Tichys Einblick
"Zerstörer Ursula"

Was bleibt von der Bundeswehr nach Ursula von der Leyen?

Was treibt Verteidigungsministerin von der Leyen in diesen bizarren Kampf gegen ihre eigene Truppe? Eine Institution steht buchstäblich auf dem Spiel. Aber nicht die Truppe, die Ministerin hat ein Haltungsproblem, wie ihre platzenden Skandalblasen zeigen.

© Odd Andersen/AFP/Getty Images

AKTUELL: Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (Staatsschutzsenat) hat den Haftbefehl gegen einen Mitbeschuldigten des Oberleutnants der Bundeswehr Franco A. in dem sog. Bundeswehrskandal aufgehoben.

Nach dem Haftbefehl wird dem Beschuldigten zur Last gelegt, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben. Er soll gemeinsam mit Franco A. und einem weiteren Mittäter den Plan gefasst haben, einen Angriff auf das Leben hochrangiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens vorzunehmen.

Nach der Entscheidung des 3. Strafsenats lässt sich aus dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen der für den Erlass eines Haftbefehls erforderliche dringende Tatverdacht für eine Beteiligung des Beschuldigten an der Tat nicht herleiten.

Das ist die aktuelle Mitteilung des Bundesgerichtshofs.  Es offenbart einen veritablen Skandal:

Selten hat sich ein Minister oder eine Ministerin schlimmer blamiert als Ursula von der Leyen: Ihre „Skandale“ sind aufgebauscht Imaginationen.

In immer mehr Fällen wird dies aktenkundig: Denn vier Monate nach den „Enthüllungen“ über sexuell-sadistische Praktiken bei der Sanitäterausbildung am Bundeswehrstandort Pfullendorf hat die Staatsanwaltschaft Hechingen die Akte geschlossen. Die Staatsanwälte sehen nach umfangreicher Prüfung „keinen ausreichenden Anfangsverdacht“ für Sexualstraftaten, Vorwürfe der Nötigung und Beleidigung oder Wehrstraftaten am Ausbildungszentrum Pfullendorf.  Das Bundesverteidigungsministerium war zwei Wochen über die Einstellung informiert – aber reagierte nicht. Schnell reagiert Ursula von der Leyen wohl nur, wenn sich ein Verdacht gegen ihre Truppe konstruieren lässt: Laut „Bild“ deuteten die Anmerkungen der Staatsanwaltschaft Hechingen darauf hin, dass das Bundesverteidigungsministerium „wider besseres Wissen Vorwürfe gegen Soldaten aufbauschte“.

Ein Schlag ins Wasser war auch die von ihr angeordnete Durchsuchung von Kasernen, Stuben und Spinden nach Wehrmachtsmaterial. 400 Standorte, 250.000 Soldaten und Mitarbeiter, aber nur 41 Funde: Das Schlimmste ein eingeritztes Hakenkreuz, ein paar Münzen, die letzte Rotkreuzfahne des Zweiten Weltkriegs, die in der Nacht auf den 1. Mai 1945 in Berlin geborgen worden war, eine Fettpresse: Selten hat sich ein Regierungsmitglieder lächerlicher gemacht.  Dabei war Ursula von der Leyen genereralstabsmäßig geplant vorgegangen, als habe sie einen Nazi-Putsch zu vereiteln:

Der Angriff kam, als die Offiziere des größten Heeresstandorts in Munster die Schulbank drückten: Mannschaften und Feldwebel durchsuchten ohne Vorankündigung heimlich Zimmer und Spinde der auf Lehrgang befndlichen Offiziere. „Dieses Verhalten ist als besonders heimtückisch zu bewerten, da die Begehung weder angekündigt noch den Offzieren die Gelegenheit gegeben wurde, dabei anwesend zu sein“, empörte sich ein Betroffener in der lokalen Böhme-Zeitung. Eigentlich hätte dieser Eingriff in die Privatsphäre einer richterlichen Genehmigung bedurft. Doch seit Ursula von der Leyen einen „Säuberungsprozess“ in der Truppe angekündigt hat, gilt das Recht wohl nur noch eingeschränkt für die Staatsbürger in Uniform, die ihre Befehlshaberin generell des Rechtsradikalismus verdächtigt: „Da wird viel hochkommen“, wusste sie von Anfang an, und es kam viel hoch in Munster: „Über Nacht verschwanden Weltkriegspanzermodelle aus den Vitrinen in der Cafeteria, welche dort Jahrzehnte zuvor keinen General oder Besucher gestört hatten.“ Die gute Nachricht: Die Lehrsammlung von Waffenmodellen blieb unangetastet – vorerst.

Das kindische Vorgehen auf Befehl des Generalinspekteurs General Volker Wieker traf keinen Kindergarten: Die betroffenen Offziere sind meist Mitte 30, haben eine Dienstzeit von fünf bis 15 Jahren hinter sich, Führungserfahrung und bittere Einsätze – in Mali, im Kosovo, Irak oder Afghanistan. Doch der Einsatz des Lebens im Dienst des Vaterlands zählt nicht mehr, wenn ein Revell-Panzer der Wehrmacht auf der Stube steht oder ein Wehrmachtshelm im Spind liegt: Dann ist es ein Nazi, den die Faust der Verteidigungsministerin und ihrer Helfer trifft.

Die IBuK gibt die Bilderstürmerin

Was treibt die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) dazu? „Wahrscheinlich fehlt es ihr an dem, was sie markig von ihren Soldaten einfordert: an historischer und politischer Bildung und am Wissen um die Grundlagen der Inneren Führung“, schreibt dazu Josef Kraus – immerhin ein Dutzend Jahre lang im Beirat für Innere Führung tätig. Anders, so schreibt der langjährige Lehrerverband-Präsident, „ist es nicht zu erklären, wenn ‚vdL‘ historisch, ja stalinistisch belastete Begriffe wie ‚Säuberung‘ in den Mund nimmt; wenn sie implizit vielen ihrer Einheitsführer ein ‚Haltungsproblem‘ vorhält.“

Wenn sie die Bilderstürmerin gibt und damit ein Klima schafft, aus dem heraus ein Bild von Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform von der Wand der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg und eine Rot-Kreuz-Fahne aus dem Zweiten Weltkrieg aus einem Bundeswehrkrankenhaus entfernt wird; wenn Kasernennamen wie die des Wehrmachtsgenerals und Widerstandskämpfers Henning von Tresckow infrage gestellt werden oder wenn sie hundert Generälen vor einer Dienstbesprechung mit der Ministerin die Mobiltelefone abnehmen lässt.

Selbst Autoren, die der Bundes­wehr kritisch gegenüberstehen, wun­dern sich – etwa Jan Fleischhauer in „Spiegel online“: „Mein Kollege Kon­stantin von Hammerstein war vor Kur­zem zu Besuch bei einer Panzerbrigade in Munster. Hammerstein schreibt für den ,Spiegel‘ über Verteidigungspolitik, ein entfernter Onkel von ihm ist Kurt von Hammerstein-Equord, ein erklärter Gegner der Nationalsozialisten. Hans Magnus Enzensberger hat vor Jahren ein sehr schönes Buch über diesen Aus­nahmesoldaten mit dem Titel ,Ham­merstein oder Der Eigensinn‘ geschrie­ben. Als der Journalist Hammerstein in Munster eintraf, fragte der Presseoffizier, ob er mit dem berühmten General verwandt sei. Im Offzierskasino hänge ein Bild, das würde er ihm gern zeigen. Leider war an der Wand nur noch ein heller Fleck, wo das Foto gehangen hat­te. Jemand hatte es im Zuge der Durch­suchung deutscher Kasernen auf Wehrmachts-­Memorabilia abgehängt.“

So turbulent und kindisch geht es bei der Bundeswehr zu, dass sich drei Fra­gen aufdrängen:

Köpenickiade oder Webfehler?

Nicht ein rechter oder linker Wirrkopf ge­rät ins Zentrum des Geschehens, sondern die Ministerin. Zu durchgeknallt wirkt ihr Vorgehen, seit bekannt wurde, dass der Oberleutnant in der deutsch­fran­zösischen Brigade Franco A. ein Dop­pelleben führte: Er ließ sich als syri­scher Flüchtling registrieren, kassierte Flüchtlingsgehalt und wurde mit einer Pistole von der österreichischen Polizei am Flughafen Wien erwischt.
Wäre da nicht der Verdacht (mehr ist es aber auch noch nicht) auf eine Anschlagsabsicht, könnte es als moderne Köpenickiade durchgehen – am 16. Oktober 1906 in Cöpenick bei Berlin gab sich der arbeitslose Schuster Wilhelm Voigt als Hauptmann aus und besetzte mit einem Trupp (gutgläubiger) Solda­ten das Rathaus der Stadt, verhaftete den Bürgermeister und ließ sich die Stadtkasse übergeben. Seither gilt die Köpenickiade als Bild für deutschen Kadavergehorsam vor Uniformen.

Statt den Fall als kriminellen Einzel­fall zu behandeln und die Verurteilung abzuwarten, ging die Verteidigungs­ministerin zur Vorwärtsverteidigung über. Sie bescheinigte der Bundeswehr ein „Haltungsproblem“ auf allen Füh­rungsebenen, äußerte den Verdacht, dass sich die Truppe in die Tradition der Wehrmacht stelle, und weil das nicht genug war, kündigte sie wenige Tage später „Säuberungsprozesse“ an. Seither werden die Spinde gefilzt, Bilder von Männern mit untadeligem Ruf, aber falscher Uniform wie Helmut Schmidt abgehängt.

Ihre Motivation ist klar, das Verhalten eingeübt: UvdL ist Meisterin der Selbstverteidigung. Kritik am Standardgewehr? Zwar sind alle Soldaten damit hochzufrieden, Fachleute bestätigen die Qualität – aber die Waffe wird ausgetauscht. Nicht Fakten zählen, sondern der Anschein einer durchsetzungsfähigen Ministerin. „Mehr sein als scheinen – viel leisten und wenig hervortreten“, diesen Wahlspruch von Helmuth James Graf von Moltke, Widerstandskämpfer und 1945 in Plötzensee am Fleischerhaken aufgehängt, hat Ursula von der Leyen gerade umgedreht. Sie will immer mehr scheinen, als sie ist.

Dabei kommt ihr der derzeitige Furor im Kampf gegen rechts gerade recht,
denn dabei ist alles erlaubt. Nach diesem Rezept handelt jetzt auch UvdL – mit weitreichenden Folgen.

„Die Kampagne gegen den ,Rechtspopulismus‘ wendet sich nun gegen die Institutionen der Republik“, formuliert Gerd Held. Nicht mehr um die Karriere einer überehrgeizigen Politikerin geht es, der Konflikt trifft die Bundeswehr ins Mark. „Diese Kampagne führt dazu, dass eine zentrale Institution für die Sicherheit des Landes moralisch infrage gestellt wird“.

Demoralisiert und demobilisiert

Materiell ist die Bundeswehr ohnehin weitgehend demobilisiert. Über 24 Brigaden, also selbstständig operierende Einheiten unter Führung eines Generals, verfügte die Bundeswehr vor der Wiedervereinigung. Derzeit sind es noch zwei, die uneingeschränkt einsatzfähig seien, so Quellen aus dem Verteidigungsministerium angesichts des Mangels an Material, Munition und Männern. An die 3.000 Kampfpanzer sind auf gut 100 noch einsatzbereite abgebaut worden. Die Aussagen über die Einsatzverfügbarkeit schwanken je nach Quelle. Es können auch 120 oder 150 sein, die betankt, aufmunitoniert und repariert nebst Mannschaften und Begleitkommandos aufgerufen werden können. Und so geht es weiter mit Hubschraubern, Jets, Schiffen, Lastwagen und Artillerie, von der nur noch zwei Einheiten zur Verfügung stehen.

Gern wird vom weltweiten Einsatz der Bundeswehr von Mali bis Afghanistan gefaselt. Mehr als 10.000 Mann stehen mangels Material und Kompetenz nicht zur Verfügung, und auch das nur, wenn Amerikaner beim Transport und Franzosen bei der Logistik einspringen.

Das ist nicht UvdLs Fehler, das kann man ihr nicht in die High Heels schieben. Das Aufessen der „Friedensdividende“ begann schon unter Bundeskanzler Helmut Kohl, beschleunigte sich unter Gerhard Schröder trotz der ersten Auslandseinsätze im Kosovo und Afghanistan und wurde zur Staatsräson, seit Angela Merkel regiert.

UvdL hat dagegen den Verteidigungsetat erhöht – bis 2020 soll er von 34,3 auf 39,2 Milliarden Euro steigen. Im Mai gingen mit einem 260-köpfigen Kommando erstmals Cybersoldaten an den Start; bis zum Sommer sollen bereits bestehende Einheiten mit insgesamt 13.500 Mann dort konzentriert werden. Die neue Truppe soll die Netze und Computersysteme gegen Cyberattacken sichern. Erste Besucher zeigten sich beeindruckt. Nicht alles ist Blech, was UvdL anpackt.

Aber nur am Bildschirm und um Etats wird kein Krieg geführt. Am Ende geht es um die Bereitschaft der Männer und der wenigen Frauen, an der Front zu sterben. „Es sind zwei Komplexe, die bei von der Leyens Wendeprogramm eine Schlüsselrolle spielen. Zum einen die Härte, die die besondere Realität von Kriegseinsätzen und die dafür erforderliche Ausbildung mit sich bringt. Zum anderen die Tradition, ohne die diese besonderen Fähigkeiten nicht motiviert, eingeordnet und verstetigt werden können. Die Ministerin erzeugt in der Öffentlichkeit das Bild, dass es nur Problemkomplexe sind – und nicht grundlegende Ressourcen der Wehrhaftigkeit“, so Gerd Held.

„Es gilt aber, sich bewusst zu machen, dass der Grat zwischen Realitätsnähe und Schikane gerade am scharfen Ende des Berufes, dort, wo es um Leben und Tod geht, äußerst schmal sein kann“, schrieb der Major Marcel Bohnert in einem Gastbeitrag für die FAZ (29. April). Er erinnerte dabei an die Grundsätze der Inneren Führung, die auf Initiative von Wolf Graf von Baudissin schon in den Anfangsjahren der Bundeswehr entwickelt wurden und die auch die Unentbehrlichkeit harter und fordernder Ausbildung betonten.

Tradition, keine Nazi-Verehrung

Während die Verteidigungsministerin beim Thema „Härte“ bisher nur Fragezeichen geliefert hat, scheint sie sich beim Thema „Tradition“ sehr stark zu fühlen. Die Traditionsfrage verkürzt sich dabei auf die „Wehrmachtsfrage“: Von der Leyen hat erklärt, sie werde gegen jegliche Bezugnahme auf die Wehrmacht vorgehen, einschließlich aller Ausrüstungsgegenstände, Embleme, Bilder, Liedgut, militärischer Praktiken. Hier verspricht die Säuberung medienwirksame Aktionen und „Fundstücke“. Geschickt wurde inzwischen der Begriff „Devotionalie“ lanciert, der den Eindruck erweckt, dass jedes Bild in einer Kaserne Gegenstand unterwürfiger Anbetung ist. Der uninformierte Zuschauer im In- und Ausland muss den Eindruck bekommen, die Bundeswehr hätte keinerlei kritische Distanz zur NS-Wehrmacht und verneige sich täglich vor NS-Größen. Das ist eine Tatsachenverdrehung der übelsten Sorte.

Der geltende Traditionserlass der Bundeswehr, der 1982 unter dem Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) beschlossen wurde, schließt jegliche Fortführung und Übertragung von Organisationselementen der NS-Wehrmacht auf die Bundeswehr aus. In Punkt 22 des Erlasses werden ausdrücklich für nationalsozialistische Kennzeichen, Übertragungen von Standarten früherer deutscher Truppenteile auf Bundeswehrtruppenteile und Kontakte mit Nachfolgeorganisationen der Waffen-SS untersagt.

Zudem heißt es im Punkt 25 des Traditionserlasses: „Das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen ist erlaubt. Es dient der Kenntnis und dem Interesse an der Geschichte und belegt, was gewesen ist. Die Art und Weise, in der wehrkundliche Exponate gezeigt werden, muss die Einordnung in einen geschichtlichen Zusammenhang erkennen lassen. Die äußere Aufmachung muss diesen Richtlinien entsprechen.“

Der Traditionserlass ist also weder ein „Verehrungserlass“ noch ein „Säu- berungserlass“. Er versucht zu differenzieren. Es wird ein klarer Trennstrich zur Wehrmacht als Teil des NS-Unrechtsstaats gezogen, aber es wird auch ein Mindestmaß an militärisch-historischer Kontinuität gewahrt. UvdL nun versucht, diese Trennlinie zu verwischen, in der sie „unerlaubte“ Tradition unterstellt und kriminalisiert.

Positionsbestimmung
Ein Offizier der Bundeswehr beschreibt den eigenen Standort
Denn ob die Ministerin es glaubt oder nicht: Die Bundeswehr ist nicht vom Himmel gefallen und auch nicht mit Klosterschülerinnen aufgestellt worden. Dabei sind die als „Wehrmacht“ bezeichneten deutschen Streitkräfte durch personelle Kontinuitäten, aber auch militärfachliche Themen eng mit der Bundeswehr verbunden. Die inzwischen stärkste Truppengattung der Kampftruppen im Heer der Bundeswehr ist mit dem Namen und den Einsatzgrundsätzen ein „Kind“ der Wehrmacht. „Es sind die Panzergrenadiere, die am 5. Juli 1942 das erste Mal aufgestellt wurden“, schreibt Jan Hoffmann, der 1988 als Wehrpflichtiger in die Panzergrenadiertruppe der Bundeswehr eingetreten ist und als Historiker zurzeit als Oberstleutnant im Generalstabsdienst in Münster Verantwortung trägt.

Der israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld schreibt im Jahr 2005 dazu in seinem Buch „Kampfkraft – militärische Organisation und Leistung der deutschen und amerikanischen Armee 1939–1945“: „Das deutsche Heer war eine vorzügliche Kampforganisation. Im Hinblick auf Moral, Elan, Truppenzusammenhalt und Elastizität war ihm wahrscheinlich unter den Armeen des 20. Jahrhunderts keines ebenbürtig.“ Er begründet das unter anderem mit der von den deutschen Armeen entwickelten Auftragstaktik, einer Führungstechnik, die dem Entscheidungsträger vor Ort möglichst viel Freiraum belässt. Auftragstaktik kann man abstrakt erläutern. Beibringen lässt sie sich nur in der Praxis und anhand historischer Beispiele. Will man Soldaten am Beispiel ausbilden, wird man um die Erfahrungen der Wehrmacht nicht gänzlich herumkommen, auch zukünftig nicht.

Das alles sollte und könnte Ursula von der Leyen wissen, wenn sie jetzt jeglichen Rückgriff auf Wehrmachtsoffziere und Wehrmachtskönnen ins Reich des Bösen verweist und nach Bildern von Soldaten in Wehrmachtsuniform und Spielzeugpanzern fahnden lässt. Was treibt sie in diese geistige Selbstisolation, die sie in ihrem Amt gefährdet und, schlimmer noch, die Bundeswehr zu zerreißen droht?

Ihr Verhalten ist nicht ohne Familiengeschichte zu verstehen. Sie hat dieses Knopfdrucklächeln von ihrem Vater, dem früheren CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht. Wie auf Bestellung leuchtet es auf. Es ist keine Grimasse, die Augen strahlen augenblicklich mit – oder verfallen. Sie war Papis Liebling. Aber man ahnt das Drama in der Familie, wenn Ernst dem geliebten „Röschen“ erklärte, warum sie mal wieder hintanstehen muss. Auf Bestellung ein Strahlen zur beständig bitteren Nachricht, dass es die Jungs sind, die was werden sollen und gefördert wurden. Die Mädchen heiraten ja doch. Mutter Heidi Adele ist da keine große Hilfe. Röschen ist ein netter Pummel – zu dick, befindet die Mutter. Essverbote sind häufig das Mittel der Wahl in Familien, in denen gertenschlanke Mütter mit dicken Mädchen geplagt sind. Röschens Weg ist nicht einfach, und sie ist ehrgeizig, strebsam und gehorsam zugleich, alles immer etwas zu viel.

Ihre Facharztausbildung bricht sie ab; es sind bereits drei Kinder da, und die Zwillinge zwingen sie, noch ganz klassisch, dem Karriereweg des Ehemanns nach Stanford zu folgen. Später soll daraus der in der Sache ungerechtfertigte Vorwurf konstruiert werden, ihre eigene Wissenschaftskarriere sei bloß angeheiratet gewesen, sogar ihre Doktorarbeit ein Plagiat, der USA-Aufenthalt nicht der Wissenschaft verpflichtet, sondern lediglich der Familienzusammenführung.

Supermutterpowertochter

Das ist eine der Verletzungen, die UvdL Zeit ihres Lebens begleiten: dass sie Frau ist und nicht so darf, wie sie eigentlich könnte, wenn sie ein Kerl wäre, und sie daher nicht kann, wie sie möchte. Sogar ihre eigene Dissertation, die später so peinlich genau nach Plagiaten durchforstet wurde wie jetzt ein Leutnantsspind nach Wehrmachtsdevotionalien, wobei auch eine Menge Pfusch hochkommt: Ihre Arbeit genüge nicht den Ansprüchen, „die sie an sich selbst richtet“, gesteht sie ein. Den Titel darf sie behalten.

Dabei besitzt sie Härte. Christian Wulff, einer der Nachfolger ihres Vaters im Amt des Ministerpräsidenten, be­ruft sie in sein Landeskabinett als So­zialministerin. Es ist der Beginn ihrer politischen Karriere, in der sie nie ge­wählt, aber immer berufen wird. Wäh­ler bleiben ihr fremd. Dafür streicht sie strebsam unter wütenden und weinen­den Protesten das Landesblindengeld. Es geht um wenig Geld für den Staat, aber viel Geld für die Betroffenen, und noch mehr um deren Selbstachtung: Ist es klug, ausgerechnet am sichtbaren Leiden einzusparen? UvdL aber ist eif­rig dabei, oft genug selbst mit Tränen, mit schneidender Schärfe in der Argu­mentation und schriller Stimme – die dunkler und beherrschter klingen zu lassen sie erst später lernt.

Unter ihrer Nachfolgerin wird das Landesblindengeld teilweise wieder eingeführt; es war den Einsatz nicht wert. Vielleicht ist das der Punkt, an dem sie beschließt, nicht mehr für ab­strakte politische Ziele zu kämpfen, sondern nur noch für sich und ihre Sa­che, der Politik nicht blindlings zu die­nen, sondern die Politik in ihre Dienste zu nehmen wie einen Hausburschen. Endlich ist UvdL da, wo sie es ihrem übermächtigen Vater zeigen kann – Mi­nisterin, nicht Ehefrau, wenn sie auch mit sieben Kindern diese Rolle er­füllt, sogar übererfüllt hat.

Ihre wahre Rolle findet sie erst als Frauenministerin ab 2005. Jetzt will sie das Land für Frauen umbauen. Keiner Frau soll es mehr so gehen – gebremst von der eigenen Mutter und vom Vater, gehänselt wegen des Aussehens, ge­quält für nächtliche Fressattacken am Kühlschrank. Seither macht UvdL nur noch Politik für sich und Frauen. Und wie. Sie wird zur Superfrauenministe­rin; egal was immer sonst noch an Kom­petenzen in ihrem Haus angesiedelt ist oder welchem Ministerium sie vorsteht: Es ist Frauenpolitik.

Bei der Bundeswehr eröffnet die „Supermutterpowertochter“ (taz) ihr Amt mit der Einrichtung von Kitas. Die McKinsey-­Beraterin Katrin Suder mit Schwerpunkt Diversity-­Management und Beratungsthema an der Schnitt­ stelle von Staat und Wirtschaft wird als Verteidigungsstaatssekretärin das neue Role­-Modell: Suder radelt in den Bendler­-Block, den Dienstsitz, und mit ihrer eingetragenen Lebenspartnerin hat sie drei Kinder im Amt. So geht das heute, demonstriert sie dem Macho­haufen Bundeswehr, der nicht so will, wie die Ministerin nie durfte.

Den Männern macht sie Beine. En­de Januar 2017 findet im Verteidigungsministerium ein Workshop zum Thema „Umgang mit sexueller Identität und Orientierung in der Bundeswehr“ statt. Die Bundeswehr wolle sich als „wettbewerbsfähiger, flexibler und moderner Arbeitgeber“ präsentieren – immerhin gebe es in der Bundeswehr rund 17.000 Schwule, Bisexuelle, Transgender et cetera, denen sie ihre Fürsorge widmet, ganz Zeitgeist.

Helds Ausblick 12-2017
Der Generalverdacht gegen alles Militärische
Das Eiserne Kreuz präsentiert sich nicht mehr Schwarz auf Weiß – sondern in den bunten Bonbonfarben eines Logos vom Christopher Street Day: Das düstere Schwarz des Eisernen Kreuzes changiert ins Rosa. Längst geht es nicht mehr um die Bundeswehr – sondern um Gesellschaftspolitik und Verarbeitung der persönlichen Geschichte. Da ähnelt sie der Bundeskanzlerin, wie die Merkel-Kritikerin Gertrud Höhler herausarbeitet: Deren dominanter, sozialismusgläubiger Pastorenvater hat die Familie zum Umzug vom freien und westlichen Hamburg in das triste Mecklenburg-Vorpommern auf der falschen Seite der Mauer gezwungen. „Ihr privates Tochterschicksal begann mit der autoritären Anmaßung des Vaters, seinen Kindern ein Leben in einem autoritären Unrechtsstaat zu verordnen.“ Höhler leitet als Lebensmotiv ab, „diese Väterwelt zu erledigen“. Ähnlich mag es bei UvdL sein. Sie erledigt mit der Bundeswehr ihre Väterwelt.
Die Wuttränen der Generäle

Auf den vielen Fotos, die UvdL mit Soldaten zeigt, fällt auf: Neckisch schlägt sie die Zeltbahn zurück, um zu gucken, wie es sich so liegt im Zweimannzelt auf dem Boden. Immer ist sie im Mittelpunkt – und meistens starren die Mannschaften mit unbewegter Miene an ihr vorbei. Sie sind Playmobil-Männchen, wenn die Ministerin durch ihren ganz privaten Spielzeugladen tobt und Flugzeuge gucken geht.

Das treibt den Generälen die Tränen der Wut in die Augen – aber sie schweigen. Sie sind Beamte. Und UvdL greift durch. So ermittelt der Militärische Abschirmdienst (MAD) seit Mitte Mai gegen den Stabsoffzier am Bundeswehrstandort Euskirchen (der hat inzwischen Anzeige erstattet). Verdächtig machte den Soldaten seine Aussage: „Ich habe es so satt, dass 200.000 Soldaten unter Generalverdacht gestellt werden wegen zwei Verrückten. Die Ministerin ist bei mir unten durch, das muss man ansprechen oder putschen.“

„Die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung rechtfertigen die operative Bearbeitung“, zitiert das Blatt den Geheimdienst.

Wer widerspricht, fliegt. Ursula von der Leyen führt nach dem Prinzip Kadavergehorsam. Gerade diese Sklavenmoral steht im Gegensatz zum Leitbild vom Bürger in Uniform, der Widerspruch formuliert und sich nicht für alles und jedes Ziel willenlos einsetzen läßt.

Aber längst ist die Bundeswehr der Abenteuerspielplatz für UvdLs Fantasien, mit denen sie die Vergangenheit bearbeitet. Das Private wird höchst politisch, die Verteidigung ist nicht mehr Aufgabe, sondern Austragungsort unverarbeiteter innerer Konflikte und ihrer Karriereverteidigung.

Immerhin soll es nach einem Tweet der Bundeswehr verpflegungsmäßig gut gehen: „Truppenverpflegung 2018: ausgewogen, gesund und transparent.“ Schließlich ist „gesunde Ernährung als Teil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements ein Baustein für gesunde und leistungsfähige Streitkräfte“. Den Soldaten wird nicht gesundes Essen vorgesetzt, sie sollen mit „Nudging- Maßnahmen“ im Rahmen der „Agenda Attraktivität“ zu deren Konsum verführt werden: durch „besseres Handling am Salatbuffet; vielfältigeres Angebot von Obstdesserts; zusätzliches Angebot von Mineralwasser in auffälligen grünen Behältnissen“.

Helm ab zum Gemüse fassen.


Dieser Beitrag ist umfangreicher in der Ausgabe 07/2017 von Tichys Einblick erschienen – die ganze Ausgabe können Sie auch hier als PDF lesen.

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