Die Verheißungen von Werbung und PR scheinen in Zeiten der Haltlosigkeit die letzte Bastion großer Wertvorstellungen zu sein. Das kann traurig machen … oder glücklich. Ein tiefer, kurzer Blick lohnt, um dann – ganz beruhigt – in die Kleinheit unser aller Leben zurückzusinken.
Der Schlaf ist eine eigenartige Sache. Freud verstand ihn als Zugang zum Unterbewussten, indem in dieser Phase unser sanktionierendes „Über-Ich“ zurücktritt und Platz macht für das unkontrollierbare, triebhafte und primitive „ES“. Die Verarbeitung der täglichen Sinnes- und Gefühleindrücke schlägt sich in Träumen nieder, die uns erlauben, eigene Handlungen und Gefühle besser zu verstehen … Freud selbst spielt in der klassischen deutschen Psychologie-Ausbildung keine Rolle mehr – außer als possierlich-historische Fußnote mit bunten Teppichen und kuscheligen Chaiselongues.
Genau wie Freud hat sich der Schlaf als Lebensphase überholt. Tempi passati. Der Schlaf passt nicht mehr in eine Zeit, die von sich selbst behauptet „always on“ zu sein, in der schriftliche Anfragen nicht mehr in Tagen, sondern in Sekunden beantwortet werden und eine kurzzeitige „Nichterreichbarkeit“ zu Unverständnis und leichten Unwillen im Bekannten- und Kollegenkreis führt. Schlaf ist nicht nur altmodisch, sondern nahezu eine gemeinschaftliche Beleidigung, ein ignoranter Wesenszug, weshalb die erste Tätigkeit des Tages darin besteht, husch, husch, auf sein Smartphone zu starren, um die verpassten Momente sofort nachzuholen.
Eingedenk dieser Tatsache ist klar, warum alle Formen sogenannter Energydrinks seit der Beschleunigung der Globalisierung zu Beginn der 1990er Jahre ihren Siegeszug antraten: „Stark belebend bei erhöhtem Leistungsbedarf für Körper und Geist“ ist der wortreich formulierte exemplarische Daseinsgrund dieser Produkte. Sie ermöglichen im Sinne eines hochtechnologischen Gestaltungswillens, wie sagt man auf der Leistungsebene, „zu performen“ – um mit dem Leistungsstandards des High-Tech-Zeitalters mithalten zu können.
Die komplexe Mythologie der heutigen koffein- oder sonstwie angereicherten Getränke findet sich bereits in den „Zaubergetränken“ von der griechischen Heldensagen bis hin zu Asterix und LC1 und nutzt tiefenverwurzelte kulturelle Resonanzfelder. Indem der moderne Zaubertrank einen zu geringen Pegel an Transmittersubstanzen zwischen den Ganglien steigert, wird unser träger Körper endlich unserem viel leistungsfähigeren Geist angepasst. Unter diesen Voraussetzungen spielt der eigentliche Geschmack des Getränkes keine Rolle, wenn überhaupt nur als Verdeutlichung einer feinstofflichen Wirksamkeit: Medizin muss schließlich auch irgendwie nach Medizin schmecken, damit wir glauben, dass sie wirkt.
Nun ist fritz kola juristisch betrachtet (auch dafür gibt es Regelungen) kein Energy-Drink, sondern ein Erfrischungsgetränk „mit viel, viel Koffein“ (Slogan), aber es rekurriert in seiner colahaltigen Variante auf die angedeuteten mythologisch angereicherten Themenfelder. Im Zuge des G20-Treffens in Hamburg plakatiert das Unternehmen zur Zeit die Stadt mit den ermüdeten Gesichtern globaler „Bösewichter“ : Putin, Erdogan und Trump dramatisch in schwarz weiß in sich zusammengesunken. Darunter der Slogan „mensch, wach auf“. Ziel der Kampagne: Die Hamburger sollen ihren Unmut darüber kundtun, dass einige Regierungschefs den Einwohnern ihre Stadt wegnehmen. Dazu gibt es sogar Videos, wortreiche Erklärungen und caritative Aktionen.
Die Verwendung zeitgenössischer und/oder politischer Themen gilt in der Werbetheorie mehr als heikel. Der Markentechniker Hans Domizlaff riet bereits vor mehr als 80 Jahren davon ab, Moden und Aufreger für Werbung zu nutzen. Er schrieb sinngemäß: „Wenn die Menschen die Werbung erinnern, dann war die Werbung schlecht, wenn sie allerdings nach der Betrachtung der Werbung das Produkt kaufen wollen, dann war die Werbung gut.“ Argumente für den Genuss des Getränkes stellt die jetzige Kampagne wirklich nicht bereit …
Soziologisch viel interessanter ist allerdings, dass die Motive ausschließlich die Bösen dieser Welt umfassen. Halten wir also fest: Macron, Trudeau, Merkel – also die „helle Seite der Macht“ schlafen nicht. Das ist nicht neu: So findet sich in (fast) jedem Märchen von Pipi Langstrumpf über den „Bösen Wolf“, in jedem Kinder- oder Science Fiction-Film der Moment, zu dem der Bösewicht in einen tiefen Schlaf fällt – der Augenblick bei der die „Guten“ wieder die Kontrolle ergreifen. Wir lernen, dass Bösartigkeit „müde“ macht, Kraft kostet. Es scheint, als wehre sich der lebenswillige Körper gegen die abstrakte Zerstörungswut des Geistes. Trauen Sie also keinem, der schläft: Er wird böse sein.
Was bedeutet das für fritz kola – schließlich macht ihr Inhalt die müden Geister wieder munter!? Die Antwort ist eindeutig: fritz kola ist ein willfähriges Werkzeug der Bösartigkeit, schließlich könnte noch viel Schlimmeres geschehen, sofern die genannten Geister auch noch „round the clock“ ihre Machwerke verrichten könnten – „viel, viel Koffein“ sei Dank.
So lasst uns denn sämtliche Vorräte in den nächsten Tagen aufkaufen, damit die bösen Herren nix in die Finger bekommen. Das ist die eigentliche Drohkulisse der Werbung…