„You better work – work it, girl. Sashay – Shanté!“ Das sind ein paar, zugegeben sehr einfache, aber schwungvoll geschmetterte Zeilen aus dem Song „Supermodel“. Gesungen und performed von einer der Ikonen meiner frühen Jugendtage: RuPaul. 1,93m groß. 2,20m in Plateau-Heels. Eine Vision in Blond. Und in Brünett. Und in Rot. Und in Schwarz. Mit Beinen, die in den Himmel ragen. Mit Kurven und Bewegungen, die die meisten Frauen so nicht drauf haben.
Wie viele andere Popstars auch, wurde RuPaul durch und über die New Yorker Club- und Ballroomszene international bekannt. Mit „Supermodel“ gelang ihm schliesslich Anfang der 90er Jahre der Durchbruch. Mit seinen eleganten Bewegungen und seinem hüftbetonten Gang, seiner überragenden Größe, stöckelte er sich direkt hinein in mein kleines, junges Teenie-Herz. Als meine große Schwester mich dann damals zum ersten Mal mit nach New York genommen hat, habe ich das spärliche Reisegeld für Einkäufe dann auch nicht in Unterwäsche von Calvin Klein oder in den üblichen Reise-Tinnef wie „I Love New York“-Tshirts gesteckt, sondern in ein Paar extrahoher Plateauschuhe in einem Store, der auch High Heels bis Größe 48 führte. Gut, etwas später habe ich verstanden, wer da hauptsächlich eingekauft hat. Aber mit der Erkenntnis habe ich mich geärgert, dass ich nur den Tunnelblick auf die Plateauheels hatte und nicht auf die abgefahrenen Glitzerfummel weiter hinten im Laden. Also kehrte ich heim aus New York mit abgefahrenen Skyscraper-Heels – und natürlich einer CD von RuPaul.
Mit den mörderisch hohen Plateaus und mit RuPauls CD dann also eine Woche später zurück im Rheinland. Und wurde von allen um diese abgedrehten hohen Teile beneidet. Freundinnen – wie auch Freunde – wollten sie anprobieren. Sich damit fotografieren. Sie ausleihen. Die Schuhe und die CD wurden so oft verliehen, getragen und überspielt, dass letztlich mein ganzer Freundeskreis angesteckt war vom RuPaul-Fieber.
Zu diesem Zeitpunkt wechselte sich mein Freundes- und Bekanntenkreis sukzessive aus; wie es manchmal ist im Leben, oben kommen neue rein, unten fallen einige raus. Nach etwa einem Jahr war ich komplett in der Schwulenszene des Rheinlands integriert. Mein Freundeskreis bestand zum größten Teil aus schwulen Barkeepern, Gogo-Tänzern, DragQueens, Parfum-Referenten, Partyveranstaltern, Fotografen, Models, Musikern.
Madonna – unsere globale Gleichstellungsbeauftragte
Und um es mit dem Vokabular von damals auszudrücken: Wir haben den gottverdammten Boden angebetet, auf dem Musiker wie Madonna und RuPaul gewandelt sind. Wie sie haben auch wir uns verkleidet, sehr oft mit selbstgenähten Kleidern. Wir haben uns mit Schminke zugekleistert und mit aufsehenerregenden Kopfbedeckungen à la Carmen Miranda oder turmhohen federbesetzen Konstruktionen brasilianischen Karnevalistas geschmückt. Wir haben uns inszeniert für große Auftritte. Wir haben uns gefeiert – und das Leben. Zusammen mit jedem anderen und jeder anderen, der oder die sich eine Madonna-CD gekauft hat. Unter Madonna-Fans finden sich keine so intoleranten Personen, die einer gleichgeschlechtlichen Ehe gegenüber negativ gegenüber stehen. Haben Sie mal gesehen, welche Hallen Madonna gefüllt hat – und füllt? Wenn ausschliesslich homosexuelle Menschen ihre CD’s gekauft und ihre Konzerte besucht hätten: denken Sie wirklich, die Frau wäre der Weltstar, der sie heute ist?
Es wurde gevogued, was die Gelenke hergeben:
Echte Akzeptanz erreichen Musiker durch Songs – Schauspieler durch Filme – sie wird nicht durch politische + mediale Diktate erreicht
Wenn Sie neben Schwulen gelebt und gelacht, mit ihnen getanzt und gefeiert haben, stehen Sie ihnen auf dem Weg zur Erfüllung ihres persönlichen Lebensglücks dann irgendwie im Weg? Fällt irgendwie ziemlich schwer. Es würde Ihnen im Traum nicht einfallen, dass da andere Rechte gelten sollen als für Heteros. Selbst, wenn man nicht mit dieser Musik und der Szene aufgewachsen ist: Ich kenne persönlich niemanden, der etwas gegen die Homo-Ehe oder Ehe für alle einzuwenden hat. Nein. Wirklich niemanden.
Warum also wird den Menschen immer wieder so dringlich verkauft, dass Homosexuellen hierzulande gegenüber zuwenig Toleranz an den Tag gelegt wird? Warum wächst der politische und mediale Druck auf die Menschen, die beinahe zur Akzeptanz dressiert werden sollen, deren Welt das nun aber einmal schlicht und ergreifend nicht ist und nicht werden wird, die aber nichts dagegen haben, dass andere Menschen nach ihrer Fasson glücklich werden. Ehrlich: Da braucht es keine selbsternannten Sittenwächter oder politischen Vorkämpfer, die uns die Welt erklären wollen. Wir sind bereits da gewesen. Geht ihr erstmal anständig feiern!
Schön, dass da etwas aufgebrochen werden soll – aber jetzt mal ganz im ernst: Um und für den Abbau und die stete Diskussion haben sich Künstler gekümmert, denen dann die Menschen in Massen gefolgt sind. Die Impulse wurden von ihnen gesetzt. Die Politik hat damals verboten, Medien haben zensiert, wenn Madonna auf der Bühne im Spitztüten-BH Masturbation vorgetäuscht oder in Like a Prayer einen schwarzen Jesus geküsst hat. Schnell die Videos verbieten. Und alles was verboten wurde, war umso begehrenswerter.
Wir hatten bereits damals eine große, sehr große, übergroße Community, bevor Politiker sich auf die Fahnen geschrieben haben, nun für die Interessen der Homosexuellen einzusetzen. Für das Gelaber von denen interessieren sich in Wirklichkeit: Die wenigsten.
Jeder schafft sich so ein Feld, das er oder sie bearbeitet. Aber bei den Menschen, die aufmerksam ARDZDF schauen und Heribert Prantl, die ZEIT oder was auch immer an Tageszeitungen lesen: in dem Bereich muss keine Mehrheit mehr davon überzeugt werden, dass Homo-Ehe oder Ehe für alle ok ist. Das Feld ist abgegrast. Der Zug hat den Bahnhof verlassen und das Schiff hat schon vor langer Zeit abgelegt. Warum? Weil Musik und Künstler, Filme und Schauspieler unser Gesellschaftsbild bereits tiefer und gründlicher geprägt hat, als Politik und Tageszeitungen es je werden. Was wichtige persönliche Lebensentscheidungen der Menschen angeht, da sind die Politiker meist die letzten, die es begreifen und hinterher zotteln.
Die hysterische politische und mediale Debatte darum ist ebenso inszeniert wie unsere falschen Wimpern und die künstlichen Fingernägel damals.
Künstler wie RuPaul und wie Madonna, George Michael, Boy George, Lady Gaga oder Conchita Wurst und und und haben mehr für den Abbau von jeglicher Form der Homo- und Xenophobie durch Begeisterung und Bewunderung für ihre Musik geschaffen, als ein Politiker und ein Journalist es per aufgepresstem Denkgebot je können wird.
Persönlich habe ich immer den Nackedei eingangs auf dem Trampolin bevorzugt. Aber hey. Was mir gefällt, gefällt auch anderen. So ist es halt, das Leben.
‚Cause we were never being boring!