Tichys Einblick

USA: Täter-Opfer-Bild nicht schwarz-weiß

Nachrichten von rassistisch motivierter Polizeigewalt häufen sich, doch die Realität spricht oft eine andere Sprache. Ein Beitrag von Lukas Mihr.

© Spencer Platt/Getty Images

Die tödlichen Schüsse eines afroamerikanischen Irak-Veteranen auf drei Polizisten nahe der US-Stadt Baton Rouge am Sonntag sowie das Blutbad in Dallas vor einem Jahr sorgten in den USA und weltweit für Diskussionen. Bei letzterem hatte der schwarze Armeeveteran Micah Johnson fünf weiße Polizisten erschossen. Sein mutmaßliches Motiv war Rache für die beiden Schwarzen Arlton Sterling und Philando Castile, die bei Polizeieinsätzen erschossen worden waren. Immer wieder begegnen wir in den deutschen Medien der These, dass weiße Polizisten aus rassistischen Motiven schwarze Bürger erschießen. Aber ist es wirklich so einfach?

Sterling hatte mehrere Vorstrafen, unter anderem wegen Körperverletzung, Waffen- und Drogenbesitzes. Gegen ihn ging ein Notruf ein, weil er eine Person bedroht haben soll. Es folgte eine Rangelei mit den Polizeibeamten, die das Feuer eröffneten, als sie entdeckten, dass er eine Waffe bei sich trug. Zwar lag Sterling bereits auf dem Boden, als ihn die tödlichen Schüsse trafen, doch auch wenn der Waffeneinsatz unverhältnismäßig war, muss er kein Indiz für Rassismus sein.

Opfer sind zumeist keine unbeschriebenen Blätter

Castile war in eine Verkehrskontrolle geraten. Nicht zum ersten Mal. In über 50 Fällen hatte er gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Darunter Falschparken, Raserei, Fahren ohne Sicherheitsgurt. Auch wenn Castile kein Krimineller im engeren Sinne war, ist doch anzunehmen, dass er zumindest eine Laissez-faire-Haltung gegenüber den Behörden hatte und sich bei der Verkehrskontrolle womöglich uneinsichtig zeigte. Dass er zudem eine Waffe bei sich führte, dürfte den Polizisten weiter verunsichert haben. Schon ein kleines Missverständnis kann in diesem Fall zur tödlichen Eskalation geführt haben. Zudem war der Todesschütze kein Weißer, sondern ein Hispanic. Diese Information und Sterlings Vorstrafenregister verschwieg der Spiegel seinen Lesern jedoch. Dass die Polizisten in beiden Fällen wahllos das Feuer auf einen beliebigen Schwarzen eröffneten, läßt sich ebenfalls nicht sagen. Oft verschweigen deutsche Medien Fälle, die dem Narrativ „Weißer Täter – schwarzes Opfer“ widersprechen, oder enthalten ihren Lesern Begleitumstände vor:

Am 17. Juli 2014 starb Eric Garner bei einem Polizeieinsatz in New York. Der Schwarze war bereits in der Vergangenheit wegen Diebstahls und Drogenvergehen festgenommen worden. Polizisten verdächtigten ihn, illegal Zigaretten zu verkaufen und nahmen ihn fest. Da Garner sich wehrte, wurde er für circa 15 Sekunden in den Schwitzkasten genommen, was aufgrund seiner asthmatischen Erkrankung zum Erstickungstod führte. Der Vorfall wurde von einem Passanten auf Video festgehalten und erreichte einen hohen Bekanntheitsgrad.

Die deutschen Medien präsentierten auf ihren Webseiten meist nur eine geschnittene Version des Vorgangs. Das Video beginnt, als die Polizisten Garner die Handschellen anlegen und endet, nachdem sie ihn zu Boden gestoßen haben und auf ihm knien. Im vollständigen Video ist jedoch gut zu erkennen, dass die Beamten mehrere Minuten lang mit Garner sprechen, der sich jedoch nicht einsichtig zeigt. Kurz nachdem er zu Boden gedrückt wurde, lassen die Polizisten von ihm ab, da sie mittlerweile bemerkt hatten, dass er nicht mehr atmen konnte. Auch dass bald darauf ein Krankenwagen eintraf, wurde nicht gezeigt. Durch den Schnitt entsteht der Eindruck, die Beamten wären ohne lange Diskussion auf Garner losgegangen und hätten ihn in voller Absicht ersticken lassen. 2015 starb der Weiße Joseph Sheldon Hutcheson unter ähnlichen Umständen.

Michael Brown wurde am 9. August 2014 in Missouri erschossen. Zuvor hatte er in einem Spirituosenladen eine Stange Zigaretten gestohlen. Den Verkäufer, der ihn aufhalten wollte, stieß Brown beim Verlassen des Geschäfts zur Seite. Als er kurz nach der Tat von einer Streife gestoppt wurde, geriet er in Streit mit dem Polizisten und versuchte, ihm die Waffe zu entwenden. Auch ein Weißer, der sich so wie Brown verhalten hätte, wäre in dieser Situation erschossen worden.

Medienbild contra Wirklichkeit
USA: Die Mär vom amerikanischen Rassismus
Wohl kein Fall erregte so viel Aufsehen, wie der Tod des 12jährigen Tamir Rice am 23. November 2014. Der Junge hatte eine Spielzeugpistole auf Passanten gerichtet und damit einen Notruf ausgelöst. Ein Polizist eröffnete sofort nach seiner Ankunft das Feuer auf Rice, der an den Verletzungen starb. Auch hier ist Rassismus keine zwingende Erklärung. Was die Medien verharmlosend als „Spielzeugpistole“ beschrieben, war in Wirklichkeit eine (ungefährliche) Softairwaffe, die aber leicht mit einer tatsächlichen Waffe verwechselt werden kann. Die Beamten hatten also Grund zur Annahme, dass von Rice eine Bedrohung ausging – schließlich kommt es in den USA immer wieder vor, dass Kinder mit einer Waffe spielen und sich selbst oder andere erschießen. Gegen eine Mordabsicht spricht zudem, dass die beteiligten Polizisten einen Krankenwagen herbeiriefen, der Rice jedoch nicht mehr retten konnte. Die wahrscheinlichste Erklärung ist Inkompetenz. Der Todesschütze galt intern als schlechter Polizist, der weder am Schreibtisch noch am Schießstand überzeugen konnte.

In nahezu identischen Fällen wurden 2014 der 17-jährige Weiße Christopher Roupe wegen eines Nintendo-Controllers von einer weißen Polizistin und der 14-jährige Schwarze Cameron Tillmann von einem schwarzen Polizisten erschossen.

Ähnliche Tatumstände – unterschiedliche Wertungen

Am 4. April 2015 wurde der Schwarze Walter Scott von der Polizei erschossen. Er war wegen mehrerer Vergehen, darunter Drogendelikten, vorbestraft und wurde wegen eines defekten Bremslichts aus dem Verkehr gewunken. Scott, der zu diesem Zeitpunkt unter dem Einfluss von Kokain stand, flüchtete und wurde daraufhin erschossen. Der Weiße David Kassick wurde unter ähnlichen Umständen von einer weißen Polizistin erschossen.

Am 12. April 2015 starb der Schwarze Freddie Gray in Baltimore. Er war bei einem Polizeieinsatz schwer misshandelt worden. Zwar lässt sich den Polizisten unverhältnismäßige Gewalt vorwerfen, nicht jedoch Rassismus. Drei der Beamten, die sich wegen des Vorfalls vor Gericht verantworten müssen, waren weiß, drei waren schwarz. 2012 war jedoch eine weiße Frau auf ähnliche Weise wie Gray von der Polizei misshandelt worden.

Bei einem Polizeieinsatz gegen einen 19-jährigen schwarzen Gewalttäter war im Dezember 2015 auch eine unbeteiligte Nachbarin erschossen worden. Allerdings erschossen im Vormonat zwei schwarze Polizisten einen weißen Jungen, als sie einen Haftbefehl gegen dessen Vater vollstrecken wollten. Im Januar 2016 wurde ein weißes Mädchen von einem weißen Polizisten erschossen, weil ihr Vater bei einer Zwangsräumung eine Waffe auf die Polizei richtete.

Ein weiteres Indiz für Manipulation: Im Januar 2016 berichtete Spiegel Online über den Polizisten Daniel Holtzclaw, der wegen sexueller Belästigung und Vergewaltigung schwarzer Frauen zu 263 Jahren Haft verurteilt wurde. Das Artikelfoto zeigt, wie er den Kopf voll Scham (oder Selbstmitleid?) senkt. Dadurch ist nicht zu erkennen, dass Holtzclaw Halbasiate ist. Im darauffolgenden Februar berichtete Spiegel Online über den Schwarzen Dontrell Stephens, der durch Schüsse des Polizeibeamten Adams Lin schwer verletzt wurde und seitdem im Rollstuhl sitzt. Der Artikel zeigt aber kein Foto Lins und kürzt seinen Nachnamen mit L. ab, so dass er für den Leser nicht als Asiate zu erkennen ist.

Wie aber steht es um die Behauptung, die amerikanische Polizei würde Schwarze weit häufiger als Weiße erschießen? Die Washington Post hat in einer Datenbank alle erschossenen Opfer der Polizei in den Jahren 2015 und 2016 erfasst.

Insgesamt wurden genau 1.954 Personen von Polizisten erschossen. Darunter 960 Weiße, 491 Schwarze und 332 Hispanics. Tatsächlich erschießt die Polizei also mehr Weiße als Schwarze. Gemessen am Bevölkerungsanteil (63 Prozent Weiße, 12 Prozent Schwarze) sieht das Bild anders aus: Schwarze werden 2,4mal und Hispanics 1,2mal häufiger getötet als Weiße. Weiße wiederum werden 2,2mal häufiger getötet als Asiaten. Wäre Rassismus die Erklärung für die Vielzahl der schwarzen Toten, müssten analog weit mehr Hispanics und Asiaten getötet werden.

Die geschilderten Einzelfälle von unbewaffneten Schwarzen, die erschossen werden, sind alles andere als repräsentativ, wie die Statistik zeigt. Von den 1.954 Todesopfern waren 1.462 bewaffnet, 120 flüchteten in ihrem Auto vor der Polizei, 87 trugen eine täuschend echte Waffenattrappe bei sich, 142 waren unbewaffnet und 91 Fälle nicht eindeutig zuzuordnen.

Dass es so große Unterschiede zwischen schwarz und weiß gibt, liegt daran, daß Schwarze weit häufiger kriminell werden. Ihre Armutsrate beträgt 27%, während nur zehn Prozent der Weißen in Armut leben. Eine höhere Kriminalitätsrate bedingt häufigere Konfrontationen mit der Polizei und damit ein höheres Risiko, getötet zu werden.

Durch die freie Verfügbarkeit von Waffen sind Kriminelle häufiger als beispielsweise in Europa bewaffnet und zögern nicht, zu schießen. In den meisten Fällen ist tödliche Polizeigewalt also gerechtfertigt. Eine Studie des FBI kam zu dem Ergebnis, dass von 1980 bis 2013 2.269 Polizisten getötet wurden. Die Täter waren zu 52 Prozent weiß und zu 41 Prozent schwarz.

Natürlich werden auch unbewaffnete Personen von der Polizei erschossen. Doch unbewaffnet bedeutet nicht automatisch unschuldig oder ungefährlich. Zwischen 2000 und 2014 wurden 57 Polizisten von „unbewaffneten“ Kriminellen erschossen,  die deswegen als unbewaffnet galten, weil sie selbst keine Waffe bei sich führten, sondern die Dienstwaffe des Polizisten entrissen hatten.

Weiße Polizisten sind nicht schießwütiger

Die übrigen Personen waren zumeist Kriminelle, die bei ihrer Festnahme Widerstand leisteten, oder Personen, die durch Drogeneinfluß oder psychische Störungen als Gefährdung wahrgenommen wurden. Ein Polizist, der sich des Risikos, im Einsatz erschossen zu werden, bewusst ist, kann nicht immer die richtige Entscheidung treffen. Eine plötzliche Bewegung des Verdächtigen, der sich weigert, die Hände zu heben, könnte auch der Griff  zu einer Waffe sein. Lediglich drei erschossene Schwarze waren unbescholtene Bürger – sie wurden versehentlich getötet, weil sie sich durch einen unglücklichen Zufall am Ort eines Polizeieinsatzes aufhielten. In keinem einzigen Todesfall war eine zweifelsfrei rassistische Motivation festzustellen.

Die Frage, ob Schwarze mit höherer Wahrscheinlichkeit als Weiße erschossen werden, ist kein guter Test, um Rassismus nachzuweisen. Besser wäre es zu untersuchen, ob weiße Polizisten häufiger als schwarze Polizisten schwarze Bürger erschießen. Die Antwort erstaunt: 78 Prozent aller von schwarzen Polizisten getöteten Bürger sind selbst schwarz.

Sind letztere also rassistisch gegenüber ihrer eigenen Rasse? Nein. Ein schwarzer Polizist lebt mit höherer Wahrscheinlichkeit in einem Staat mit höherem schwarzen Bevölkerungsanteil und trifft daher mit höherer Wahrscheinlichkeit im Dienst auf schwarze Bürger. Eine Untersuchung in der Stadt Philadelphia, in der auffallend viele Schwarze von der Polizei erschossen werden, konnte nicht feststellen, dass weiße Polizisten schießwütiger waren als ihre schwarzen Kollegen.

Würde die amerikanische Polizei Bürger nur wegen ihrer schwarzen Hautfarbe erschießen, würden Kinder so oft sterben wie Greise, Männer so häufig wie Frauen und Anwälte so häufig wie Crackdealer. Die Statistik zeigt aber, dass die meisten schwarzen Opfer von Polizeigewalt kriminelle Männer sind, die nicht mit den Beamten kooperierten. Valide Beweise für die These, dass amerikanische Polizisten aus rassistischen Motiven schwarze Bürger erschießen, gibt es nicht.

Lukas Mihr ist Historiker und freier Journalist.

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