Tichys Einblick
Viel Hybris, wenig Intellekt

Theresa May im Weizenfeld

Warum hat Theresa May ihr Wahlziel verpaßt? Sie wirkt wie ein Kühlschrank, den der Elektriker auch noch falsch angeschlossen hat. Schon vor der Wahl spottete Rod Liddle über die Premierministerin, und in seinem Exklusivbeitrag hier erklärt er die Folgen der Wahl.

© Dan Kitwood/Getty Images

Am Freitagmorgen wurden wir ja alle von einem recht unangenehmen Geräusch aus Richtung Osten geweckt: Es war das schadenfrohe Gelächter der Europäer. Über ein Wahlergenis, das niemand, noch nicht einmal die Labour Party, jemals erwartet hätte. Ein Ergebnis, das Theresa May unter die Wasserlinie drückte und den Verhandlungsvorsprung der europäischen Partner in Bezug auf unseren geliebten Brexit ins Unermessliche steigerte. Natürlich treffen Politiker oft falsche Entscheidungen – aber dies war etwas anderes gewesen. Ein unnötiger Irrtum von enormer und an Lächerlichkeit nicht zu überbietender Größe. Die Analyse einer katastrophalen konservativen Wahlkampagne entblößte unsere Premierministerin nicht als sichere Führerin eines ’starken und stabilen Landes‘ – eine Phrase, die sie jedes Mal geradezu roboterhaft anstimmte, wenn sie irgendwo auftauchte – sondern als kalt, charakterlos, arrogant – und nicht besonders helle.Vor der Wahl beschrieb ich im Spectator ihren Witz, ihre Fähigkeiten als Rednerin und ihre persönliche Wärme als die eines Kühlschranks, den ein unfähiger Elektriker falsch angeschlossen hatte und der jetzt vollgestopft ist mit vor sich hin faulenden Tiefkühlpfannkuchen. Danach wurde es nur noch schlimmer. Ende Mai konnte man auch das Ende von May kommen sehen. Ausgehend von einer unumstößlichen Führung im April, einer komfortablen Mehrheit in den Umfragen und guten Beliebtheitswerten, konnte sie den Reißzähnen des Sieges nur eine chaotische Niederlage entwinden. Und was lachen da die Europäer!

Warum ist das passiert? Ich liste hier eine ganze Reihe von Gründen auf, die man vorher schon ausmachen konnte. Also zumindest ich. Und ich bin nicht Nostradamus. May sah keine davon, eine Konsequenz ihrer überbordenden Hybris – und ihres begrenzten Intellekts.

1.

Die Wahl war weder nötig noch erwünscht. Und außer Journalisten mag niemand Wahlen, wegen der Nervereien, der Zwietracht und der Langeweile, die damit verbunden sind. Vor allem dann nicht, wenn sie vollkommen unnötig sind und nur deshalb abgehalten werden, um das Selbstwertgefühl eines Politikers aufzubauen. Wenn das passiert, dann neigen die Leute dazu den inneren Stinkefinger bereitzuhalten und den zu bestrafen, der den Blödsinn anzettelt. Am Tag, als die Wahl angesetzt wurde, sagte eine Dame in einem Straßeninterview, man nannte sie ‚Brenda von Bristol‘, äußerst zutreffend: „Mein Gott! Warum tut sie das?‘ Und genau diese Frage stellten sich Millionen anderer Briten auch – warum tut sie das?

2.

Die Meinungsumfragen im April gaben Theresa May einen 20-prozentigen Vorsprung vor Jeremy Corbyn, Der jedem nur als Schwachkopf vorkam, der nicht in der Lage war, auch nur eine Würstchenbude führen zu können. Aber Meinungsumfragen sind heutzutage fast wertlos, weil das Publikum so wechselhaft ist – und ich habe sie von vorneherein nicht geglaubt. Auch habe ich das Bild nicht geteilt, das man in Westminster von Corbyn hat, auch wenn ich ihn weiß Gott für sein kindisches Agitprop-Linkssein verachte. Im Norden, da wo ich herkomme, war er weit besser angesehen und Labour schnitt in den Nachwahlen auch bei weitem nicht so schlecht ab, wie man hätte erwarten können. Es war genau in diesen Wahlkreisen, in denen Theresa May hätte Stimmen holen müssen. Mir war früh klar, dass das misslingen würde. Außerdem zeichnete sich ab, dass Labour in den südlichen, wohlhabenden Städten gewinnen würde, da dort die Menschen Schwierigkeiten mit dem Brexit haben. Und genau das ist passiert.

3.

Die Tories hatten ein Auge auf die 4 Millionen Menschen geworfen, die 2015 UKIP gewählt hatten; die Experten schlugen sie ausnahmslos den Tories zu. Wieder ein Fehler. Die UKIP-Wähler aus dem Norden kamen fast ausnahmslos aus dem Labour-Lager. Und in diesen Hafen kehrten sie zurück. Die Tories werden im Norden weitgehend gehasst. Ich war selbst an zwei Meinungsumfragen beteiligt, eine im Norden und eine im Süden, in denen UKIP-Wähler befragt worden waren, wen sie denn jetzt zu wählen beabsichtigten. Wie erwartet tendierten die Wähler aus dem Süden in Richtung Tories – das hatten sie ohnehin immer schon getan- und die aus dem Norden nicht.

4.

Und dann die Wahlkampagne! Theresa Mays Wahlkampagne war die schlechteste, die jemals von einem amtierenden Premierminister geführt wurde. Eine Panne jagt die andere! Sie erschreckte die Älteren, indem sie ihnen androhte, ihre Häuser zur Finanzierung ihrer Pflege heranzuziehen, nach dem Motto: dement werden – Haus verlieren! Warum sollte man so etwas seiner Kernwählerschaft antun? Und dann kündigte sie auch noch eine erneute Abstimmung über das Verbot der Fuchsjagd an. Geht es noch dümmer? 84% der Briten, mich eingeschlossen, hassen die Fuchsjagd. Alle, die sie lieben, wählen sowieso konservativ. Eine wirklich unbegreiflich dumme Aktion – und sie machte den Wahlkampf an den Haustüren nicht leichter. Und die ganze Zeit über trottete Theresa May von einer nichtssagenden Pressekonferenz zur nächsten und plapperte etwas von ’stark und stabil‘, wie eine überdrehte Sprechpuppe, ohne den Menschen die Fragen zu beantworten, die sie wirklich interessierten.

5.

Corbyn hingegen konnte glänzen. Er war plötzlich ein populistischer Anti-Establishment-Politiker im Stile von Syriza oder Beppe Grillo. Und wir neigen ja zu dieser Sorte von Populismus genau so wie der Rest Europas. Er war entspannt und charmant. Er versprach den Leuten das Blaue vom Himmel. Er amüsiert sich! Er regte die Fantasie der Wählerschaft an,

6.

Zwei islamistische Anschläge ereigneten sich, einer in der Manchester-Arena und einer an der London Bridge. Beide hätten Theresa May in die Hände spielen können, erschien doch Corbyn als Terroristenversteher, als jemand, der die islamistischen Irren der Hamas und der Hisbollah seine Freunde genannt hatte. Es half ihr aber nicht, die Anschläge hatten sich ja unter ihrer Verantwortung ereignet und sie konnte nichts weiter tun als ‚genug ist genug“ sagen. Aber ist es das? Die Dschihadisten denken nicht, und jeder weiß, dass sie wiederkommen werden. Es war auch nicht gerade günstig, dass es ausgerechnet Theresa May war, die als Innenministerin die Zahl der Polizisten drastisch reduziert – und als solche ja auch in Sachen Immigration kläglich versagt hatte.

7.

Und zu guter Letzt: die jungen Leute kamen aus ihrem Lotterbetten und wählten – zahlreich. Und so gewann Labour einige wohlhabende Universitätsstädte, Allen voran Canterbury, das immer fest in konservativer Hand gewesen war. Corbyn hatte den Studenten kurzerhand die Abschaffung der Studiengebühren versprochen.

Und so können wir uns nun anhören, wie sich Donald Tusk oder der sich selbst überschätzende, aufgeblasene Jean-Claude Juncker vor Lachen wegschmeißen. Über eine Regierung, die abhängig ist von einer kleinen Gruppe nordirischer Politiker, die selbst im Gegensatz zu May einen ’soft“ Brexit wollen. Glauben Sie mir: May wird das nicht lange durchhalten. Aber es gibt keine überzeugenden Talente unter ihren Rivalen – in einer Wahl würde Corbyn den nächstliegenden Kandidaten Boris Johnson locker schlagen. Theresa May kann also nur sich selbst Asche aufs Haupt streuen für das, was passiert ist. Während der Kampagne gab sie – wohl in der Absicht ihre menschliche Seite zu zeigen – eines dieser gefühligen Interviews über Ihr persönliches Leben. Das war an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Auf die Frage, was denn das Schlimmste gewesen sei, was sie jemals getan hätte, antwortete sie, sie sei als Jugendliche einmal durch ein Weizenfeld gelaufen, obwohl man es ihr verboten hatte. Das war offen gesagt jenseits aller Satire. In der Wahlnacht konnte man dann im Fernsehstudio den ehemaligen konservativen Finanzminister George Osborne beobachten – mit einem befriedigten Grinsen im Gesicht. Er meinte dann ja auch: Jetzt kann man wohl mit Fug und Recht sagen, dass Rennen durch ein Weizenfeld jetzt nicht mehr das Schlimmste ist, was Theresa May jemals getan hat.

Rod Liddle ist britischer TV-Moderator, Buchautor und Kolumnist, unter anderem für die „Sunday Times“ und den Spectator.

Die mobile Version verlassen