Die Verheißungen von Werbung und PR scheinen in Zeiten der Haltlosigkeit die letzte Bastion großer Wertvorstellungen zu sein. Das kann traurig machen … oder glücklich. Ein tiefer, kurzer Blick lohnt, um dann – ganz beruhigt – in die Kleinheit unser aller Leben zurückzusinken.
Die wahre Populärkultur findet schon längst nicht mehr in den Museen kreisfreier Städte, den Bühnen privater Theater oder den Kunstvereinen bürgerlich engagierter Metropolen statt. Das Völkchen, welches sich dort tapfer zusammenfindet, wäre von parteipolitischer Relevanz wahrscheinlich eine Splittergruppe. Populärkultur als wahrnehmbarer Sachverhalt ist Domäne der Werbung geworden. Kein Wunder, dass jeder halbwegs ambitionierte Kreative seine verkäuferische Lyrik oder seine bildenden Künstleien nicht mehr in der Galerie, sondern im Dienste des Kapitals auf Megaprints gut positionierter und hintergrundbeleuchteter Plakatsäulen zeigen lässt: „Schau mal Schatz, die Aromafahne dort auf dem Plakat habe ich entworfen …“ Das Leben war bei halbwegs genauer Betrachtung immer profan. Wer einmal in einer Werbeagentur seinen Kaffee trank, weiß, dass die Dichte an welt- und wortgewandten und meist sehr gut anzuschauenden Menschen nirgendwo so hoch ist wie in den „Offices“ der Netz- und Kreativwirtschaft.
Kunst definiert seinem Idealtypus nach die Abwesenheit eines Zweckes. Kunst bedeutet, dass ihr Dasein sich selbst Grund genug ist. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass die 3.000 Werbebotschaften die Tag für Tag auf einen Europäer einrieseln, ihre Bewandtnis nur in sich selbst zu suchen scheinen. Statt über ein Produkt oder eine Dienstleistung zu informieren, verbreitet die moderne, die prämierte Werbung „ästhetische Impulse“ oder schlichtweg in einer gefühlserkalteten Welt smartphone-wischender Zombies Instant-Emotionen. Das hat einen Preis. Nur noch 16% der Deutschen vertrauen der Werbung. Eingedenk dieser Situation scheint die Werbung jegliche ethische Selbstverpflichtung zu verlieren und tendiert zunehmend zur dreisten Lüge. Neueste Ausprägung ist der Werbeslogan der „Tabakfabrik“ Philip Morris und ihres Glimmstengels unter dem Markennamen „L&M“. Dort steht: People are boring unless you know them.
Nun muss nicht jeder Werbetexter Philosoph oder lebenserfahren sein, aber zumindest sein Direktor mag ihn auf die schwierigen Implikationen dieser These aufmerksam machen. Schon der gestrenge Herr Adorno ließ uns vor einer kurzen Ewigkeit wissen, dass es eine Anmaßung der allermeisten Menschen sei, wenn sie das Wort „Ich“ nutzen würden. Und sauertöpfisch fügte Erich Fromm vor einer noch kürzeren Ewigkeit in der Semantik des Piet-Cong hinzu, dass der Mensch erst durch den Menschen zum Menschen würde.
Seien wir also einmal ernst: Es ist mitnichten so, dass sich hinter der Fassade der Anonymität ein Feuerwerk der Vielfältigkeit verbergen würde. Viel eher erweist sich bei näherer Betrachtung von Mitmenschen die verheerende und bisweilen aufs Gemüt drückende Erkenntnis, wie gleich wir doch alle sind. Das von denen ca. 100 Milliarden, die bisher auf diesem Planeten gelebt haben, die wenigsten wirklich bahnbrechend „anders“, d. h. wirklich interessant gewesen wären. Machen wir uns nichts vor: Zum Schluss geht es darum ein Haus am See zu bauen, gut einzukaufen, das Gewicht einigermaßen zu kontrollieren und (vielleicht) irgendwann Kinder zu bekommen. Die Füllzeit dazwischen reichern wir mit allerlei exotischen Reisen zunächst mit und dann ohne Rucksäcke, Tandemflüge und Kreisligafußballspielen an – gut versichert natürlich … das ist nichts ehrenrühriges, sondern im Gegenteil etwas äußerst beruhigendes. Nun mag die Werbung keine Wahrheitslehre sein und die Postmoderne unbedingt Gemeinschaft postulieren müssen, gerade weil es keine mehr gibt, aber dies befreit sie nicht davon, Leute nicht willentlich zum Narren zu halten. Und daher gilt, dem Werbetexter die Ohren langzuziehen, ihn dann freundlich auf das fluffige Haar zu tätscheln, seine fehlende Lebenserfahrung zu konstatieren und dann vollkommen freudig auszurufen: People become boring as soon as you know them!