In wenigen Wochen wird der G 20 – Gipfel in Hamburg stattfinden. Wie ich lernte, kommen tatsächlich Vertreter nicht nur aus 20, sondern aus 35 Staaten, 15 sind dem Gipfel angegliedert. Die Saudis reisen sogar mit ihren Kamelen an, denn sie brauchen ihre täglich frische Kamelmilch. Der Gipfel wird in der Innenstadt stattfinden, denn anders als an anderen Städten ist das Messegelände sehr zentral gelegen.
Da gewaltbereite (zumeist „linke“) Gruppierungen zu „Demonstrationen“ aus aller Welt nach Hamburg anreisen, sind 20.000 Polizisten im Einsatz. Hinzu kommen noch vom BKA geführte Kräfte, deren Zahl nicht bekannt ist. Hamburg wird sozusagen zur Festung ausgebaut.
Eine Umfrage des Hamburger Abendblatts ergab, dass grundsätzlich die Hamburger Bürger Gipfeltreffen für sinnvoll halten, aber drei Viertel der Hamburger das Treffen nicht in Hamburg haben wollen. Ein Drittel (!) der Bürger will die Stadt während dieser Zeit daher verlassen. Da Hamburg über 1,8 Mio. Einwohner hat, sind das mehr als 600.000 Menschen. Die anderen zwei Drittel wollen versuchen, zumindest den Innenstadtbereich zu meiden. Die Mehrzahl meint, dass der Gipfel keine positiven Auswirkungen auf die Stadt haben wird. Die negativen Auswirkungen und die immensen Kosten sind demgegenüber sicher. Was „Linksautonome“ oder sonstige, gewaltbereite „linke“ Gruppen an Zerstörung, Personen- und Sachschäden verursachen, ist in Hamburg wohlbekannt. Wer dort zur falschen Zeit am falschen Ort war, hatte schon in der Vergangenheit manchmal das Gefühl, es herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände.
Natürlich wollen die Bürger das nicht, sie leben gerne zivilisiert und geordnet. Aber die Wünsche der Bürger sind offenbar nicht so wichtig.
Bemerkenswert aber ist, dass das Demonstrationsrecht selbst dann geschützt wird, wenn es zum Zwecke des Krawalls und der Gewalt missbraucht wird, koste es was es wolle. Mein Dank und Mitgefühl an dieser Stelle an die Polizei, die den Kopf für diesen Standpunkt hinhalten muss.
Den Bürgern und der Polizei wird also sehr viel zugemutet, inklusive Gewalt und Zerstörung. Ganz anders sieht es aus, wenn es um die Meinungsfreiheit geht.
Kommt einer Zensur gleich
Justizminister Maas setzt alles daran, mit seinem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) die Meinungsfreiheit erheblich einzuschränken. Der Opferschutz, dem das rigide Vorgehen dienen soll, wird als Deckmantel genutzt, denn tatsächlich dient er ihm zu wenig. Vielmehr führt er zu einer möglichst breitflächigen Vernichtung unliebsamer Äußerungen jedweder Provenienz, was einer Zensur gleich kommt. Mit seinem NetzDG verpflichtet Maas die Betreiber von sozialen Netzwerken zur unverzüglichen Löschung schon rechtswidriger (nicht nur strafbarer) Inhalte, wobei die Beurteilung der Rechtswidrigkeit dem Betreiber obliegt. Kommt er der Pflicht nicht nach, erwarten ihn äußerst drakonische Strafen. Als Folge wird voraussichtlich alles gelöscht, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.
Ginge es dem Minister um die Opfer von Hass und Hetze, dann wäre ein „Meinungsfreiheitsgesetz“, wie es Kollegen entwarfen, sinnvoll. Nötig wären auch Änderungen der Datenschutzgesetze, so dass Name und Anschrift des Täters übermittelt werden können. Zumeist scheitern nämlich sowohl potentielle Strafverfolgung wie auch die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche daran, dass Facebook und Co. aufgrund datenschutzrechtlicher Vorschriften den Namen des Übeltäters nicht nennen dürfen. Nicht zuletzt müssten die Staatsanwaltschaften der Länder besser ausgestattet und ehrverletzende Äußerungen nicht generell auf den Privatklageweg verwiesen werden. Staatsanwaltschaften sind zumeist personell dermaßen schlecht aufgestellt, dass schon „normale“ Kriminalität kaum noch verfolgt werden kann, derartige „Bagatellen“ aber schon lange nicht mehr. Das nämlich, was der Justizminister als Schrecken der Neuzeit ausgemacht hat, welcher eine derart drastische Beschneidung der Meinungsfreiheit rechtfertigt, wird ohnehin nur auf Antrag verfolgt, de facto aber regelhaft eingestellt: Den Opfern sagt man, es seien „Peanuts“. Zudem müssten natürlich mehr Richterstellen in den Ländern zur Verfügung gestellt werden.
Der Minister beschäftigt sich aber nicht mit diesen tatsächlichen Problemen, setzt sich auch nicht mit seinen Länderkollegen an einen Tisch. Sein Gesetzentwurf regelt außerdem nicht, welche Rechtsfolgen eine unrechtmäßige Löschung hat, denn wer (zunächst) gelöscht wird, dem wird netzweit erkennbar unterstellt, rechtswidrige Inhalte zu verbreiten, was ebenfalls ehrenrührig ist.
Herrn Maas ist das anscheinend egal, er will löschen lassen, seiner Ansicht nach wird sogar bei weitem zu wenig gelöscht. Dass es darauf ankommt, nicht mit einem Rundumschlag viel, sondern das Richtige zu löschen – geschenkt.
Bestenfalls kann man ihm vorwerfen, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Oder aber er handelt vorsätzlich (was man eigentlich einem Minister unterstellen sollte) und möchte genau das: Jedwede kritische Äußerung schon im Ansatz ersticken. Dann aber handelte es sich um nichts anderes als politische Zensur unter dem Deckmantel des fürsorglichen Staats. Dieser Verdacht gilt umso mehr, als er ebenso wie seine SPD-Kollegin Schwesig in einen erbitterten „Kampf gegen rechts“ verstrickt ist, wobei offen bleibt, was sie genau unter „rechts“ verstehen. Dass die von der Regierung in Auftrag gegebene Studie über Rechtsextremismus äußerst zweifelhaft sein soll, überrascht mich wenig.
Was der G 20-Gipfel und Hamburg und das NetzDG gemeinsam haben, ist, dass sich in beiden Fällen viele Bürger nicht verstanden oder sogar unterdrückt fühlen. In einem Fall, weil man Krawallwütige in die Stadt lässt, im anderen Fall, weil auch normale Bürger nun fürchten müssen, sich nicht mehr frei in sozialen Netzwerken unterhalten zu dürfen. Die Bürger können nichts tun, sie müssen es hinnehmen.
Eigentlich sollte das Bundesverfassungsgerichts als Hüter des Grundgesetzes ein Garant dafür sein, dass die Regierung sich nicht von rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernt und ihre Macht mit Maß nutzt. Aber weit gefehlt:
Beim BVerfG werden gut 98% aller Beschwerden abgelehnt. Viele der Beschwerden werden von Anwälten erhoben und wären wirklich auch nur annähernd so viele unzulässig oder unbegründet, sollten wir unseren Staat morgen dicht machen, denn unser Rechtssystem wäre noch unzulänglicher als in jedem unterentwickelten Land. De facto trifft weitgehend der sogenannte 3. Senat eine Vorentscheidung, d. h. ein unsichtbares „Schattenkabinett“ aus Zuarbeitern. Für gewöhnlich kommen vor allem Fälle durch, die durch besondere öffentliche Aufmerksamkeit und/oder Parteieninvolvierung gekennzeichnet sind. Otto Normalbürger hat schlechtere Chancen, immerhin doch noch etwas größer als auf einen Lottogewinn. Allerdings nicht darauf, dass er gewinnt, nur dass der Fall zur Entscheidung überhaupt angenommen wird. Schon vor diesem Hintergrund sieht man, dass die Chancen schlecht stehen.
Nicht auf das Bundesverfassungsgericht setzen
Da die Richter außerdem von der Politik gewählt werden, ist das Gericht zwangsläufig – ohne jede böse Absicht – ein Spiegelbild der dort herrschenden Ansichten. Zudem hat die Politik kein Interesse an einer ernsthaften Beschränkung ihrer Macht, daher ist es unwahrscheinlich, dass Juristen mit einem etwas regierungskritischeren Profil überhaupt zum Verfassungsrichter ernannt werden.
Daher war es prognostizierbar, dass z. B. selbst der Bruch der Maastricht-Verträge und die eigentlich verbotene Finanzierung fremder Staaten keine Konsequenzen haben würden. Auch die Enteignungen der Energiekonzerne im Rahmen der Energiewende „erweisen sich weitgehend als eine zumutbare und auch die Anforderungen des Vertrauensschutzes und des Gleichbehandlungsgebots wahrende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums.“
In allen entscheidenden Fragen lässt das BVerfG den Regierungen also freie Hand. Damit hat der Unmut der Bürger kein Ventil, welches das Entstehen eines Überdrucks verhindert, so dass Maß und Mitte erhalten bleiben. Das liegt an der grundsätzlichen Einstellung, dass Freiheitsrechte des Bürgers „weiche“ Rechte sind. Diese gehören sozusagen dem Staat, der sie prinzipiell nach seinem Gusto einschränken kann. Es gibt zwar einige äußere Grenzen und das BVerfG könnte durchaus im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Gesetzes einen schärferen Maßstab anlegen. Allein – das tut es nicht.
Was wäre, würde gegen das NetzDG Verfassungsbeschwerde erhoben? Ich weiß es nicht. Sicherlich ist diese Frage rechtlich nicht ganz so einfach, wie sie vielen scheint. Ein eleganter Ausweg für das BVerfG wäre es, wenn das Gesetz schon formell verfassungswidrig wäre, weil es sich eventuell als Kultusangelegenheit um eine Ländersache und nicht um eine Bundesangelegenheit handelt. Dann könnte es die ganzen problematischen Fragen umgehen und das Gesetz aufheben mit der Begründung, der Bund sei unzuständig gewesen. Aber das hätte eben die Aufhebung des Gesetzes zur Folge und ob das passiert, ist angesichts des bisherigen Verhaltens mehr als zweifelhaft. Als ernsthaftes Korrektiv der Macht in entscheidenden Fragen hat das BVerfG zumindest in den letzten Jahren nicht gewirkt.
Eine Bemerkung noch am Schluss zum Thema „hatespeech“:
„Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (§ 189 StGB)
Grüße an Fr. v. d. Leyen!
Annette Heinisch studierte Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank – und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht.
Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.