Hans Herbert von Arnim präsentiert heute in Mainz eine neue Studie: „Macht außer Kontrolle – Der Diätencoup von Rheinland-Pfalz“. Einleitend erinnert er an eine der letzten Beilagen zur Wochenzeitung Das Parlament zum Thema Wahrheit und Lüge in der Politik. Dort sei klargestellt, „dass systematisches Lügen der Politik schadet, dass dem Parlament hierbei eine Kontrollfunktion zukommt und dass eine besonders schwere Form von Lügen – eine »Lüge zweiter Ordnung« – vorliegt, wenn die Instanz, die Lügen aufdecken soll, selbst lügt.“ Dann sei der Schaden für das Vertrauen in Parteien, Regierung und Parlament sowie für die Demokratie besonders groß.
„Einen derartigen Fall krasser Täuschung der Öffentlichkeit durch das Hohe Haus in Mainz“ gelte es anzuzeigen. Es ginge dabei „nicht um populistische Kräfte, die mit »postfaktischen« Argumenten die Bürger verführen, sondern – im Gegenteil – um höchst etablierte Parteien und ihre Abgeordneten, die es geradezu darauf anzulegen scheinen, den Lügen-Vorwurf von Populisten zu bestätigen.“
Von Arnim hat in seinem Buch vom Februar, „Die Hebel der Macht und wer sie bedient“, beschrieben, was kurz darauf auch in Baden-Württemberg stattfand, „dass nämlich die Abgeordneten in eigener Sache und zum eigenen Vorteil ein Blitzgesetz in kürzester Zeit durchs Parlament peitschen“. Eben das geschah im März 2017 auch in Rheinland-Pfalz. Das Ziel in beiden Fällen, so von Arnim: „die Öffentlichkeit zu überrumpeln, um durchgreifende Kritik möglichst im Keim zu ersticken und sich mit einem tiefen Griff in die öffentlichen Kassen selbst zu bedienen – und nicht genug damit: Die ganze Aktion in Rheinland-Pfalz sollte auch noch mit dreisten Lügen und willkürlich gegriffenen Zahlen gerechtfertigt werden. Ausgerechnet kurz vor dem Verfassungstag, dem 18. Mai 2017, an dem die rheinland-pfälzische Landesverfassung ihren 70. Geburtstag begeht, wird offenbar, dass das höchste Verfassungsorgan, der Landtag, die Öffentlichkeit zum eigenen Vorteil in krasser Weise getäuscht hat.“
Das Problem gehe weit über den Einzelfall hinaus. Solche Maßnahmen in eigener Sache und zum eigenen Vorteil seien „charakteristisch für die vielen hundert Schritte, mit denen die Parteien und ihre Berufspolitiker im Laufe der Zeit unsere Demokratie in einen exzessiven Parteienstaat umwandeln, in dem die Parteien an die Stelle der Bürger treten und über deren Köpfe hinweg entscheiden, so dass diese auch der Selbstbedienung der Parteien an den gewaltigen staatlichen Ressourcen an Geld und Posten nicht mehr entgegentreten können.“
Die (Schein-)Begründung für die Erhöhung
Für von Arnim liegt in Rheinland-Pfalz „ein richtiger Betrug vor“:
„Am 23. und 24. März 2017 beschloss der Landtag von Rheinland-Pfalz mitten in den Beratungen des Landeshaushalts und unter Außerachtlassung aller guten Regeln der Gesetzgebung ein neues Diätengesetz, das die sogenannte Entschädigung von Abgeordneten (die »Diät«) in vier Schritten um 1017 Euro im Monat erhöht: von 5.812 auf 6.829 Euro. Der Parlamentspräsident Hendrik Hering und die Vorsitzenden der fünf Fraktionen profitieren davon sogar doppelt: Ihre Entschädigung erhöht sich von 11.624 auf 13.658 Euro. Den stellvertretenden Präsidenten, die eineinhalb Entschädigungen beziehen, bringt die Erhöhung 1.526 Euro monatlich mehr.
Der erste Erhöhungsschritt erfolgt rückwirkend zum 1. Januar 2017, der vierte zum 1. Januar 2020,7 also gerade noch vor dem Inkrafttreten der sogenannten Schuldenbremse im Jahr 2020. Begründet wurde diese Aufstockung um 17,5 Prozent mit einer Zahlenreihe, die von 1995 bis 2016 reicht und die belegen soll, dass die Entschädigung früher höher gewesen sei als die Höchstbesoldung von Bürgermeistern der Besoldungsgruppe A 16, inzwischen aber weit hinter diese zurückgefallen sei. Da die Entschädigung sich an der A 16-Besoldung zu orientieren habe, und sie im Jahre 1995 jedenfalls nicht unter diesem Niveau gelegen habe, bestehe jetzt Nachholbedarf.“
Kein Nachholbedarf für die Abgeordnetenentschädigung
Der Grund für das angebliche Zurückfallen der Entschädigung ist ein ganz anderer, legt von Arnim dar, und war in den wenigen Tagen vor der Verabschiedung des Gesetzes nicht zu durchschauen. In Wahrheit seien die Abgeordnetenentschädigung und die Beamtenbesoldung weitgehend parallel verlaufen sind und das behauptete Zurückbleiben der Entschädigung hinter der Besoldung um rund 1.000 Euro stelle eine grobe Täuschung dar: „Vergleicht man nämlich nicht nur das monatliche Grundgehalt von A 16-Bürgermeistern mit der Entschädigung von Abgeordneten, wie dies die im Gesetzentwurf präsentierten Zahlenreihen tun, sondern bezieht richtigerweise von Anfang an den Ortszuschlag und die Jahressonderzahlung (13. Gehalt plus Urlaubsgeld) mit ein, die Beamte damals zusätzlich erhielten, Abgeordnete aber nicht, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. Dann wird offenbar, dass die Bezüge der betreffenden Beamten schon 1995 nicht 4.244 Euro betrugen, wie die Tabelle ausweist, sondern 5.165 Euro, also nicht um 244 Euro unter der Entschädigung lagen, wie die vier Fraktionen in der Tabelle und in der Plenardebatte behaupten, sondern um 677 Euro darüber.“
Dann fielen auch die hohen Steigerungsraten der Beamtenbesoldung für 1997 und 2009 in sich zusammen „und erweisen sich als raffinierte Fakes.“
Im Windschatten außerdem
„Auch die öffentlichen Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter und für die Landtagsfraktionen wurden erheblich aufgestockt. Für Mitarbeiter können Abgeordnete jetzt rückwirkend zum 1. Januar 2017 aus öffentlichen Mitteln 19 Prozent mehr ausgeben.47 Begründet wird dies mit einem behaupteten »Erfordernis wissenschaftlicher Zuarbeit«, eine Vorgehensweise, die typisch ist für ein Gremium, das seinen Bedarf selbst bestimmen kann. Die Festlegung ist willkürlich gegriffen. Warum 3.691 und nicht 1.028 Euro wie in Schleswig- Holstein? Welches finanzielle Gewicht die Aufstockung der Mittel für Mitarbeiter hat, zeigen die dadurch hervorgerufenen Mehrkosten von etwa 950.000 Euro jährlich.“
Von Arnims Zusammenfassung
„Das Diätengesetz von April 2017, mit dem die Mitglieder des rheinland- pfälzischen Landtags ihre monatliche Entschädigung in vier Schritten um über 1.000 Euro erhöhen, insgesamt um 17,5 %, und sich für ihre Mitarbeiter 19 % mehr bewilligten, ist ein abschreckendes Beispiel parlamentarischer Selbstbedienung. Das Gesetz wurde im Blitzverfahren durch den Landtag gepeitscht. Die erste Beratung erfolgte am 23. März, die Beschlussfassung folgte bereits am Tag darauf. Das Gesetz wurde am Gründonnerstag im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht und trat am 13. April in Kraft.
In demselben Verfahren wurde auch das Fraktionsgesetz geändert. Im publizistischen Windschatten der Entschädigungserhöhung war die Erhöhung der öffentlichen Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter und für die Landtagsfraktionen, die mit willkürlich gegriffenen Angaben erfolgten, kaum bemerkt worden. Das Mehr für Mitarbeiter und die ersten Erhöhungsstufen der Entschädigung und der Fraktionsmittel wurden sogar rückwirkend zum 1. Januar 2017 gezahlt.
Die Eile im Gesetzgebungsverfahren hatte System. Denn in Wahrheit fehlt jegliche Rechtfertigung für die Erhöhung der Entschädigung, für die daran gekoppelte Erhöhung der Altersversorgung sowie für die Erhöhung der öffentlichen Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter und Fraktionen. Auch der in Zukunft vorgesehene Erhöhungsautomatismus für die Entschädigung begründet ein nicht zu rechtfertigendes Privileg und ist ebenso verfassungswidrig wie das Abschieben der Fraktionsmittel in den Haushaltsplan. Beides gehört von Anfang an aufgehoben.
Anders ausgedrückt: Der Rückstand wurde dadurch vorgespiegelt, dass man nicht die Gesamtbezüge des A 16-Beamten heranzog, die von 1995 bis 2016 um 28 Prozent stiegen, sondern lediglich sein Grundgehalt, das im selben Zeitraum um 56 Prozent zunahm, also doppelt so schnell anstieg …
Zieht man die korrekten Vergleichszahlen heran, zeigt sich, dass die Abgeordnetenentschädigung und die Beamtenbesoldung parallel verliefen und die Entschädigung von Anfang an nicht einmal das Niveau einer A 15-Besoldung erreichte, und daran hat sich in den letzten 20 Jahren nichts geändert. Die Anhebung der Entschädigung auf A 16-Niveau hat sich der Landtag durch manipulierte Angaben erschwindelt.
Das Gesetz entbehrt also jeder Begründung und muss ersatzlos aufgehoben werden.
Mit der Erhöhung der Entschädigung steigt automatisch auch die daran gekoppelte staatliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung um 17,5 %. Damit wird die Altersversorgung eines Abgeordneten nach 10 Jahren fast achtmal so hoch wie die eines durchschnittlichen Rentners. Der Gesamtwert der Versorgunganwartschaft kann dann über eine Million Euro betragen.
Dabei war die Versorgung schon vor der Gesetzesänderung besonders üppig. Die prozentualen Steigerungssätze sind pro Mandatsjahr um 32 und 40 Prozent höher als im Bund. Auch die Versorgungsregelung, die der Landtag von Baden-Württemberg kürzlich eingeführt hatte, nach öffentlichen Protesten aber gleich wieder aufheben musste, sah sehr viel niedrigere Steigerungsraten vor.
Bei der Beurteilung der Diätenerhöhung hätte auch die Alters- und Hinterbliebenenversorgung rheinland-pfälzischer Abgeordneter mit einbezogen werden müssen. Dann hätte sich nämlich herausgestellt: Angesichts des unerhörten wirtschaftlichen Werts, den die Versorgung besitzt, bestand erst recht keine Rechtfertigung für die vorgenommene Aufstockung der Entschädigung und der Versorgung.
Die Erhöhung der Entschädigung und der Versorgung verschafft auch ehemaligen Abgeordneten, ehemaligen Regierungsmitgliedern und einer bestimmten Gruppe ehemaliger Beamter ein beträchtliches Mehr an Versorgung. Alles in allem profitiert fast die gesamte politische Klasse des Landes Rheinland-Pfalz von dem Diätencoup.
Das Täuschen der Öffentlichkeit und das Vorspiegeln gefakter Gründe für die Erhöhung der Entschädigung und der Versorgung sind das Gegenteil eines transparenten Gesetzgebungsverfahrens, welches das Bundesverfassungsgericht bei Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache verlangt. Die falschen Angaben und die willkürliche Aufstockung der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter und Fraktionen widersprechen auch dem Erfordernis, derartige Entscheidungen tragfähig zu begründen, wie es das Gericht verlangt. Diese beiden schweren Verfahrensmängel machen das Gesetz insgesamt verfassungswidrig.
Die ersatzlose Aufhebung des politisch unhaltbaren und verfassungswidrigen Gesetzes enthebt nicht der Notwendigkeit, aufzuklären, wer für den dreisten Betrug die Hauptverantwortung trägt.“