Tichys Einblick
Die Parlamentswahlen sind der Test

Macron vor der Herausforderung: Vertrauen bilden

Macrons einsame Schritte zur Tribüne im Innenhof des Louvre-Palastes in Begleitung der Europa-Hymne hatten Symbolkraft. Die „Marseillaise“ ertönte erst am Ende seiner Rede. Solch ein Signal hat es noch nie gegeben: Frankreich ist Teil Europas.

French president-elect Emmanuel Macron reacts after he delivered a speech in front of the Pyramid at the Louvre Museum in Paris on May 7, 2017, after the second round of the French presidential election

© Thomas Samson/AFP/Getty Images)

Ein klarer Sieg für Emmanuel Macron. 66 % der Stimmen, das ist in Frankreich eher unüblich. Ein Sieg der Vernunft, nachdem im ersten Wahlgang am 27. April die Stimmzettel noch nach Vorlieben oder Ängsten bis Wut vergeben wurden. Liebe schlug bei der Stichwahl am 7. Mai dem „Neuling“ nicht entgegen, dafür war die Stunde zu ernst. Stattdessen Vernunft – und viel Hoffnung. Vielleicht schafft er es, Frankreich wieder mit sich selbst und der Welt zu versöhnen.

Und auch wenn“ links“- wie „rechtsextreme Populisten“ auf Europa als die Wurzel allen Übels verweisen und es am liebsten zerstören würden, die Franzosen möchten den Euro doch lieber behalten, denn er macht die Renten sicher. Und das Ersparte, das für die Kinder zurückgelegt wird, weil sie erst mit Dreißig einen sicheren Job finden und bis dahin unterstützt werden müssen. Das war das Ausschlag-Gebende bei der eindeutigen Abwahl von Marine Le Pen. Diesmal zumindest …

Für Macron stimmte vor allem sein junges Alter – nun hat auch Frankreich seinen Trudeau! Noch besser: Macron ist etwas jünger als der kanadische Ministerpräsident, also ist Frankreich zumindest in diesem einen Punkt Weltführer. Auch, dass er nicht einer der tradierten Parteien angehört, sprach für ihn. Zwar war er unter Hollande Wirtschaftsminister, aber im Frühjahr hatte er gekündigt und seine eigene Bewegung „En Marche !“ (auf dem Weg) gegründet. Zwar kommt auch er “aus gutem Hause“, zwar ist auch er ein Zögling Hollandes und anderer Häuptlinge der französischen Politik, doch zeigte er deutlich seine Eigenwilligkeit und seine Durchsetzungskraft. Das ist es, was die Hoffnung der Wähler nährt: das Erneuerungspotenzial, das er trägt.

Von seinem Programm sind eigentlich nur Kernlinien bekannt. Wie damals im März 2003, als in Deutschland Gerhard Schröder die Agenda 2010 vorstellte: Reformen als Oberbegriff. Frankreich braucht sie dringend. Die Sozialversicherung ist nicht mehr nachhaltig finanziert: Im Rentensystem müssen die vielfältigen Sonderfälle abgebaut, es muss gerechter gestaltet werden; die Arbeitslosenversicherung muss neu geordnet werden; in der Krankenversicherung das Zusammenspiel von Regel- und Zusatzversicherung vereinfacht werden.

Präsidentschaftswahlen
„Wir sind das Volk!“ - Lehren aus den Frankreich-Wahlen
Vorrang hat die Senkung der Abgabenlast für Unternehmen, nur so können sie wieder zum Einstellen animiert werden. Und gegen die Jugendarbeitslosigkeit hilft nur eine Qualifizierungsoffensive, was auf Französisch bedeutet, dass die Schule von Grund auf renoviert und gleichzeitig die Berufsbildung aufgewertet werden muss – sie gilt bisher als Abstellgleis für schlechte Schüler. Kernziel ist der Abbau der hohen Arbeitslosigkeit, die die Gesellschaft in Frankreich spaltet. Doch die wichtigsten Einstellungshürden , etwa die gesetzliche 35-Stunden-Woche oder den Mindestlohn, hat Macron in seinem Programm nur am Rande erwähnt. Mit gutem Grund, denn wer diese heiligen Kühe der Franzosen antastet, entfacht Sozialbrände. Der „Linkspopulist“ Mélenchon, die Trotskisten und selbst die Sozialisten (das, was von der Partei übrig bleibt) halten sich schon bereit.

Macron musste sich bisher bedeckt geben. Um möglichst viele Wähler zu versammeln und auch, weil er noch nicht weiß, über welche Mehrheit er in vier Wochen, nach den Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni verfügen kann. Er wird Koalitionen suchen müssen.

Nur in einem Punkt hat er sich deutlich ausgesprochen. Er steht zum europäischen Projekt, was in Deutschland Hoffnung weckt. Endlich ein „sicherer Kandidat“, mit dem sich die für notwendig gehaltene institutionelle Vertiefung gemeinsam gestalten lässt. So hatten denn auch Macrons einsame Schritte zur Tribüne im Innenhof des Louvre-Palastes in Begleitung der Europa-Hymne eine hohe Symbolkraft. Die „Marseillaise“ ertönte erst am Ende seiner Rede an die Franzosen. Solch ein Signal hat es noch nie gegeben: Frankreich ist Teil Europas. Macrons wichtigste Aufgabe wird darin bestehen, dies nicht nur der Öffentlichkeit verständlich zu machen, sondern vielmehr noch den Politikern.

Die Franzosen selbst stehen diffus zu Europa. Auch wenn viele glauben, wie es ihnen Le Pen oder andere weismachen, dass der Euro ein „Teuro“ sei und „Merkels Austeritätskurs“ der Grund allen Übels. Aber der gesunde Menschenverstand lehrt sie, dass die Währung für Stabilität sorgt, und auch, dass Frankreich endlich anfangen muss, sein Haushaltsdefizit abzubauen. Sie haben auch – trotz aller gezielt gestreuten Negativmeldungen über Deutschland („sozialer Kahlschlag“ oder „Hegemonial-Bestrebungen“ und immer wieder Hitler) – ein grundlegend positives Bild von Deutschland. Mit viel Achtung und auch unverhohlener Bewunderung. Sie spüren aber auch, dass Frankreich nur als gleichrangiger Partner mitspielen wird, wenn es sich endlich an die Verträge hält, insbesondere an die Maastrichter.

Das hat sich Macron vorgenommen. Und bringt auch gleich Vorschläge zur künftigen Gestaltung Europas mit, was kein französischer Politiker in den letzten 20 Jahren je getan hat. Für Deutschland bahnen sich unbequeme Zeiten an: Macron fordert mehr Vergemeinschaftung. Gleichzeitig spricht er aber auch ein Kernthema an: die Bildung von eigenen Institutionen für die Eurozone. Immerhin eine ernst zu nehmende Diskussionsgrundlage.

In Frankreich klaffen bei der Einstellung zu Europa Volk und politische Elite auseinander. Für viele Politiker gilt die Zugehörigkeit zu Europa und die damit verbundene Disziplin als Störenfried. Vor allem, weil sie sie nicht verstehen (wollen). Liberté, ja, immer. Aber die untrennbar damit verbundene andere Seite – nämlich Verantwortung – gilt als fremdbestimmt. Frankreich ist keine Kompromissgesellschaft, in der auf die Meinung oder die Belange anderer Rücksicht genommen wird. Vertrauen als Grundlage für Selbstverantwortung und das Miteinander fehlen in diesem System – auf politischer Ebene, in der Wirtschaft, im Recht und entsprechend auch in der Gesellschaft.

So lautet die Kernherausforderung nun für den Président Macron (Amtsübergabe ist am 14. Mai) Vertrauen zu bilden. Einen kleinen symbolträchtigen Anfang hat er in seiner Rede am Wahlabend im Louvre-Palast gemacht: Zum ersten Mal in der Geschichte Frankreichs hatte ein Präsident öfter das Wort „wir“ als „ich“ im Munde.

Dieses „Wir“ wird er nun dringend brauchen. Seine Regierungsbildung muss beweisen, dass er Wort hält und tatsächlich nicht nur neue Gesichter aus der Politik ernennt, sondern auch aus der Zivilgesellschaft. Auf das Establishment kann er nicht verzichten, aber er braucht auch mehr oder minder unabhängige Experten. Damit betritt er Neuland.

In Westeuropa nichts Neues
Macron und Merkel
Für Neuland werden auch die Parlamentswahlen sorgen. Das etablierte französische Parteiensystem ist implodiert. Den Anfang machten die „Primärwahlen“ im Herbst, den einzigen Weg einen Kandidaten zu küren, die die intern völlig zerstrittenen Parteien Les Républicains (konservativ) und Parti socialiste gefunden hatten. Nur ist solch ein Procedere systemfremd. Sei es drum, ein Ziel hat es erreicht: Sarkozy wurde abgewählt, Hollande stellte sich nicht zur Wahl. Für die Medien war es eine Gelegenheit zur Selbstbehauptung, Quoten- und Verkaufs-fördernd obendrein, aber den Wählern bot es eine Illusion von Demokratie mit vernichtenden Auswirkungen auf ihr Vertrauen in das eigene politische System. Die Affäre um Fillon und die Scheinbeschäftigung seiner Frau bestätigten dann diesen Trend nur.

Im ersten Wahlgang trat dann die tiefe Spaltung der französischen Gesellschaft offen zu Tage. Die Grundlagen für einen neuen Zusammenhalt zu schaffen, ist denn auch oberstes Gebot für Macron. Die Parlamentswahlen sind in dieser Hinsicht der entscheidende Test für den neuen Président. Er braucht eine Mehrheit, die ihn regierungsfähig macht. Über einen Parteiapparat verfügt er aber nicht. Also wird er in den kurzen kommenden Wochen die Wähler von seinem Programm überzeugen müssen, angefangen mit dem Aufstellen neuer, „unverbrauchter“ Kandidaten in möglichst vielen Wahlkreisen.

Ob er damit die Mehrheit der 577 Sitze bekommt, bleibt fraglich. Dann bleibt ihm nur noch eine Möglichkeit: die der politischen Innovation. Das Bilden von Koalitionen ist in Frankreich nur schwer vorstellbar – das politische System lässt sie nicht zu. Also wird es vielleicht zu wechselnden Koalitionen in der Nationalversammlung kommen, die sich je nach Bedarf und Tagesordnung bilden. Das wäre Neuland.

Seine größte Herausforderung erwähnte Emmanuel Macron denn auch in seiner Ansprache nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse. „Demokratische Irrwege“ zurückbauen, „Schwachstellen der Demokratie“ angehen. Wie das zu bewältigen ist, sagte er nicht. Es ist auch zu früh. Das, worauf es ankommt ist, erst einmal die Grundlagen dafür zu schaffen. „Ich wende mich an Sie“, sagte er in der gleichen Ansprache, und fügte hinzu „an Sie alle, alle zusammen“. Noch aber muss die französische Gesellschaft wieder zusammenfinden …


Isabelle Bourgeois studierte an der Ecole Normale supérieure (Fontenay-aux-Roses) und an der Université Paris IV-Sorbonne. Seit 1988 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre d’Information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC). Dort seit 2000 Chefredakteurin der wiss. Zeitschrift „Regards sur l’économie allemande – Bulletin économique du CIRAC“. 

Die mobile Version verlassen