Wenn es das Böse nicht gäbe, müsste es erfunden werden. Das bewahrheitete sich einmal mehr ausgerechnet im beschaulichen Braunschweig. So beschaulich aber doch wieder nicht, wenn es um das Nachtleben geht: Denn rund um den architektonisch schönsten Puff Deutschlands, eine historische Fachwerkstraße, gepflastert und gesäumt von zweistöckigen Häuschen noch aus dem Mittelalter, hat sich eine veritable Clubszene etabliert. Eine, die durchaus mit vergleichbaren Quartieren in Hamburg oder Berlin mithalten kann.
Erste furchtlose Gastronomen hatten hier in den 1980ern und 90ern dem Rotlicht ihr Alleinstellungsmerkmal abgetrotzt: Alternative Bars und trendige Musikclubs ersetzten schwiemelige Schlägerkneipen. Und mit dem Verschwinden des klassischen Irma-la-Douce-Zuhälters erodierte dieses vermauerte Dunkelmilieu.
Das machte wiederum die Immobilienhändler neugierig. Sie begannen sich für die innerstädtischen Filetstücke zu interessierten: Eine große örtliche Versicherung preschte vor und baute ein mehrstöckiges modernes Hochhaus mit Blick auf den Puff, wo früher ein einstöckiges Striplokal und später ein angesagter Musikclub Gäste und DJs wie Sven Väth angelockt hatte. Soziologen nennen diese Entwicklung Gentrifizierung.
Heute zählt man rund um die Bruchstraße – so heißt die Rotlichtgasse auf der 50 bis 80 Damen ihre Dienste anbieten – über ein dutzend Szeneclubs und Bars, die mit ihrem Ambiente und Unterhaltungsangebot Gäste noch von weit her nach Braunschweig locken. Ganz in der Nähe wurde die Volkwagen-Halle für bis zu 8.000 Personen gebaut und ein Hotel der Steigenberger Gruppe, wo jahrzehntelang ein städtisch subventioniertes „linkes“ Freizeit- und Bildungszentrum aktiv war.
Der damalige Oberbürgermeister schrieb sogar das Grußwort in die Broschüre zu einer Veranstaltungsreihe der Clubbesitzer: Die Stadt profitierte also vom Engagement der Privatunternehmer, ohne dass man dafür Subkultur hätte subventionieren müssen. Der Focus schrieb über die Szene: „(W)er in Braunschweig abends unterwegs ist, kommt in den Clubs, Bars & Kneipen ganz auf seine Kosten.“
Alle die unterwegs sind? Offensichtlich doch nicht. Jedenfalls sah sich die Stadtverwaltung veranlasst, hier investigativ vorzugehen: In einer offiziellen Stellungnahme heißt es später dazu: „In der Nacht zum 1. April 2017 hat die Verwaltung sechs Betriebe getestet. Dabei haben jeweils zwei Personen mit Migrationshintergrund und zwei Vergleichspersonen nacheinander versucht, Einlass in die Diskotheken zu erhalten.“ Die Türsteher hatten die Migranten oder als solche verkleideten Probanden nicht eingelassen. Also war der Anfangsverdacht gegeben, dass hier Ordnungsstrafen zu verhängen seien.
So was können sich nur Beamte ausdenken: Man engagiert für die Hauptstoßzeit der Clubs Statisten für den Lackmustest des Bösen.
Wie man nun allerdings jemand erkennbar nach Migrationshintergrund auswählt, welchem Stereotyp die Beamten da folgten? Reichte schon die natürliche Hautfarbe der engagierten Schauspieler, murmelte einer der Probanden Suren aus dem Koran, um auch die religiöse Diskriminierung nachzuweisen? All das erzählt uns die Pressemitteilung nicht.
Wie sahen die Vergleichspersonen aus? Stereotyp blond und blauäugig? Und wie passt das damit zusammen, dass in den Clubs tatsächlich überproportional Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten? Ordentlich angemeldet übrigens und natürlich nicht städtisch oder staatlich subventioniert. Der Braunschweiger Clubbesitzer braucht im Gegensatz zur Industrie in Deutschland keine finanziellen Anreize. Er stellt ein, wen er benötigt und wer sich dafür eignet. Unabhängig von Hautfarbe oder gar religiösem Hintergrund.
Aber was will die Stadt hier erreichen, außer das niedersächsische Gaststättengesetz auf Zuruf durchzusetzen? Soll hier nun der private Clubbetreiber seine Türpolitik aussetzen/einstellen und als letztes Glied der Kette die Mammutaufgabe der Integrationsarbeit erledigen, wo sich seit fast zwei Jahren die Landes- und das Bundesparlament und die vielen hier bei TE hinreichend dokumentierten Talkshows die Köpfe heiß diskutieren, ohne je zu sinnvollen Ergebnissen zu kommen?
Nein, die Attraktivität so eines Clubs entsteht nun mal in erster Linie durch Selektion an der Tür und nicht durch die Auswahl eines bestimmten Kerzenleuchters im Innern. Die Auswahl einer speziellen Zielgruppe muss daher erster und letzter Gedanke des Clubbesitzers sein.
Das Staatstheater Braunschweig macht es über die Eintrittspreise. Migranten und Flüchtlinge nun artig aufgereiht im dritten Rang? Fehlanzeige. Denn gekommen sind vorwiegend junge agile Männer. Und die wollen keine klassischen Opern hören, nicht Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana, die in Braunschweig gerade aufgeführt wird, sondern zumeist junge nette Frauen kennenlernen. Wer will es ihnen zunächst verdenken?
Aber diese Frauen und Mädchen, das weiß der Clubbesitzer aus Erfahrung, bleiben solchen Clubs fern, in denen man Verhaltensweisen wie in Köln in der Silvesternacht befürchten muss, wie beispielsweise die FAZ unter der Überschrift: „Das ist keine Diskriminierung, sondern Notwehr“ berichtete. Dort heißt es über einen Clubbesitzer: „Er selbst könne seinen Club nur noch mit einer ganzen Phalanx von Türstehern sichern, weil die Flüchtlinge stets in Gruppen kämen, es gebe häufig Messerstechereien am Eingang (…) Dann verrät er noch, dass die Polizei ihm gegenüber geäußert habe, im Bahnhofsviertel gehe es zu ‚wie in Sodom und Gomorrha‘.“
Alles Quatsch? Alles friedlich? Frauen müssten sich nicht sorgen? Vielleicht doch, denn wenn man Aufklärungsbroschüren in arabischer Sprache trauen darf, die den männlichen Flüchtlingen in etwa erklären, dass in Deutschland beispielsweise eine freie Frauenschulter noch nicht als Aufforderung zu mehr verstanden werden darf, um ihnen dann mit niedlichen Comiczeichnungen zu erklären, was im Bett mit den einheimischen Frauen alles geht von Oral- bis Analverkehr. Nein, hier eilt das eine dem anderen allzu deutlich voraus.
Die Stadtverwaltung selektiert also nach den persönlichen Stereotypen der Beamten vor und der ahnungslose Clubbesitzer soll’s negativ bestätigen. Nun orientiert sich allerdings auch die Polizeiarbeit aus Prinzip an solchen Äußerlichkeiten, wie man sie Türstehern nun nach Niedersächsischem Gaststättengesetz als Diskriminierung auslegen will. Was bitte soll der Clubbesitzer also tun?
Eingeklemmter zwischen zwei Stühlen kann man ja kaum stecken: Er muss seinen Club voll bekommen, weil er nun einmal rein privatwirtschaftlich und nicht städtisch oder staatlich subventioniert unterwegs ist. Dafür wünscht er sich Frauen, die gerne kommen und nicht belästigt werden. Zum anderen muss er private Polizeiarbeit leisten, muss Dealer fern halten, Schlägereien unterdrücken, Streit schlichten, weil er nun mal per Gesetz auch das Hausrecht konsequent durchzusetzen hat und natürlich geschäftsschädigende Razzien vermeiden will.
Der Clubbesitzer aber weiß sehr wohl, wie im Kleinen seine fein justierte Leitkultur auszusehen hat. Diese Fähigkeit hat ihn sogar erst erfolgreich gemacht. Davon lebt sein Geschäft. Und er sorgt mit seiner Arbeit dafür, dass beispielsweise in Braunschweig eine über die Stadtgrenzen hinaus attraktive Szenegastronomie und Clubveranstaltungen Menschen unterhält. Die Stadt profitiert davon, ohne einen Cent dazuzubezahlen, wenn hunderttausende Gäste nach Braunschweig kommen und wissen, dass sie am Abend und in der Nacht in den Clubs der Stadt gut aufgehoben sind und unterhalten werden – dank einer besonders filigranen, eine privaten und keiner staatlich verordneten Leitkultur made by Clubbesitzer.
Nein, so ein Clubbesuch ist kein Menschenrecht. Und der Club keine Ersatzinstitution, um gescheiterte Integration unter Androhung von Bußgeldern durchzusetzen. Ja, Anpassung ist das Stichwort. Denn welcher geschäftstüchtige Clubbesitzer würde freundliche Menschen, die wissen, wie sie sich zu benehmen haben, an seiner Tür abweisen? Das gilt heute in Braunschweig ebenso, wie schon etwas länger in Hamburg, New York oder London. Dort, wo die Clubszene erfunden wurde.