Geben ist seliger denn nehmen. Diese Binsenweisheit, ihr einzigartiger durch nichts zu leugnender moralischer Imperativ, hat seit Menschengedenken Religionsstifter, Medizinstudenten und Dichter inspiriert. Aber die im großen Stil organisierte und finanzierte Hilfe für notleidende Mitmenschen ist noch sehr jung: erst mit dem Ende des zweiten Weltkrieges kam man auf die Idee, ganzen Völkern mit Sachleistungen oder Krediten über Engpässe bei der Versorgung oder Lücken in der Infrastruktur hinwegzuhelfen. Nach und nach, auch weil die Informationsflüsse immer besser und die Zeiten, besonders in der postkolonialen Ära, immer schlechter wurden, wuchs weltweit die Zahl der Hilfsbedürftigen. Eigene Ideologien des Helfens entwickelten sich, anhand derer man sich zu den Leiden der Welt passende Problemlösungen strickte, bzw. sich selbst Empfänger für das aussuchte, was man zu geben hatte (Kalter Krieg).
Es wurde beschlossen, dass man die armen Eingeborenen nicht in dem herzzerreissenden Zustand, in dem man sie vorgefunden hatte, belassen könne. Und so wendete der besser gebildete, besser gekleidete und vor allem besser bewaffnete Europäer seine eigenen Maßstäbe an, um jenseits der eigenen Grenzen dauerhaft Glück, Wohlstand und Gesundheit zu sichern. Zu Hause war ja alles in Ordnung, unmittelbarer Handlungsbedarf nicht gegeben …
Entwicklungshilfe, Bruder des Kolonialismus
Damit ist die Entwicklungshilfe nur der kleine neureiche Bruder des Kolonialismus und entspringt diesem fatalen und zutiefst selbstsüchtigen Glucken-Instinkt, Andere erziehen und maßregeln zu müssen. Nichts befriedigt offenbar das eigene Ego mehr, als den scheinbar Dümmeren, Ärmeren, Ungebildeteren endlich mal zu zeigen, wieviel toller man ist. Kann man da Parallelen zu den klassischen Pflegeberufen ziehen? Oder gar zum Gutmeiner und seinem ständigen Drang, die Welt zu verbessern? Es drängt sich der Begriff „Helfersyndrom“ auf, gepaart mit einem Schuss Selbstverliebtheit.
Entwicklungshilfe. Die griffige Vokabel hat im Neusprech eine rasante Transformation durchgemacht, über die „Entwicklungszusammenarbeit“ zur „Technischen Zusammenarbeit“. Jeglicher Verdacht, dass hier Irgendjemand, Irgendetwas von außen her „besser“ gemacht werden soll, wird damit offiziell entkräftet. Es hilft aber nichts, diese Art der Besserwisserei, der Kolonialpolitik mit anderen Mitteln und bloß scheinbar anderen Zielen hat sich im Kern nie geändert.
Die britische Presse ist da nicht zimperlich, sie redet meistens respektlos von „handouts“ und prangert teure Projekte an, die u.a. klimaschädliche Gasausstöße kolumbianischer Kühe verringern sollen.
Das Drehbuch ist noch älter als die vielen Hilfsorganisationen: smarte junge Männer in Tropenanzügen springen mit Elan aus Booten an Land (v.Humboldt/Orinoco) , begrüßen sich lächelnd im Eingeborenendorf (Livingstone/Stanley) oder steigen aus geländegängigen Luxusfahrzeugen ( Merkel jüngst in Afrika), um sich anschließend mit immer gleichem Erfolg unter der Überschrift „Das Leben der Anderen“ in allen Variationen dem Experiment am lebenden Subjekt zu widmen. Diese Besuche vom anderen Stern kennen mittlerweile die meisten der Adressaten so genau wie deren Ausgang: Der weiße Mann kommt, weiß alles besser, macht in einem Feuerwerk von hektischem Aktionismus und wortreichen Belehrungen selten weniger als alles falsch und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Immerhin sind diese Besuche heute durchweg friedlicher Natur, allenfalls werden Offensiven in neue Märkte gestartet. Ausnahmen wie die Opération Serval bestätigen die Regel.
Die Eliten in den Entwicklungsländern haben gelernt, dass diese Visiten aber doch für etwas gut sind: Die eigene Bevölkerung kann den Eindruck gewinnen, dass endlich etwas getan wird, der Besuch der reichen Fremden schmeichelt dem Gastgeber, und letztlich bleibt von dem vielen Geld, das herabgeworfen wurde, ein Batzen hängen (sog. trickle-down-effect“). Oft trickelt es allerdings nicht viel weiter als bis zur Führungsschicht. Der „foreign expert“ ist eine bestens etablierte und begehrte Ressource in der dritten Welt.
Niemals aber hatten die Entwicklungshelfer so viele Fans und Geld wie heute. In absoluten Zahlen gibt Deutschland fast am meisten. Kein Jahr vergeht, in dem über die westlichen Kanäle nicht der bekannte Ruf nach einer Aufstockung des lächerlich niedrigen Entwicklungshilfe-Etats, einem kompletten Schuldenerlass oder aber rundweg der Beendigung der Ausbeutung und Unterdrückung der dritten Welt erschallt. Die Bürger der reichsten Länder quittieren diese Rufe immer öfter mit gelangweiltem Überdruss, denn die ständigen Litaneien von der weltweiten Armut nerven wie das Gebettel einer Schar Slumkinder. Das ist keine Atmosphäre, in der sich irgendetwas in den Ländern der Dritten Welt zum Besseren ändern wird. Misswirtschaft, schlechtes Regierungshandeln und Korruption werden sich mit den stumpfen Instrumenten der klassischen Entwicklungszusammenarbeit nie bekämpfen lassen.
Trotzdem tuckert der Entwicklungshilfedampfer munter weiter und stößt ab und zu nebulöse Formeln wie Klimawandel, Teilhabe und Nachhaltigkeit aus. Das alle vor allem in Afrika immer nur das Armenhaus sehen, nützt der Aid-Industry bei der Aquise, wie Fritz Goergen hier zeigt. In Deutschland wird der Löwenanteil der Arbeit im „Felde“ durch die GmbH GiZ (privatisierte Verschmelzung der früheren Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, des Deutschen Entwicklungsdienstes DED und des InWEnT, Internationale Weiterbildung und Entwicklung gemeinnützige GmbH,), der führenden der über 100 in Deutschland ansässigen Nichtregierungsorganisationen übernommen. Die GtZ hatte in den Neunzigern noch das Credo, wirkliche Hilfe zur Selbsthilfe leisten zu wollen. Durch hunderte gescheiterte Projekte schlauer geworden „zoppte“ (zielorientierte Projektplanung) man teils monatelang mit großem Tross, nur um das Begehren der Zielgruppe wirklich zweifelsfrei zu klären und die technischen Fallstricke zu erkennen, erst dann wurde ein Projekt eingeleitet. Bei der täglichen Arbeit, zB. In der ehemaligen Sowjetunion, bedeutete das dann, den lokalen Partnern nicht teure Technik zu schenken, für die später noch teurere Ersatzteile in Deutschland gekauft werden mussten, sondern die Organisation bezahlte auch mal leicht vor Ort reparierbare sowjetische Steinzeittechnik. Nicht alle Hilfsorganisationen handeln heute noch so selbstlos. Vielfach entsteht der Eindruck, dass hier Geld verpulvert wird, um der eigenen Industrie Aufträge zu verschaffen oder Ladenhüter los zu werden. Nirgendwo wird das so gnadenlos offenbar wie beim „Verschenken“ von Waffen.
Noch Cecil Rhodes hatte seine eigene Auffassung, wie die eingeborenen Subjekte in seinem Staat zu behandeln seien : „… wie die Kinder“. Das würde denen, die am Liebsten nur gebrauchte Volkswagen o.ä. auf den Schwarzen Kontinent exportieren (jährlich Zehntausende), in die Hände spielen. Nichts ist wohlfeiler, als gefährliches westliches Spielzeug ohne die erforderlichen Kontrollen (TÜV usw.) in Ländern zu verkaufen, in denen weder die Spielfelder noch die Straßen ausreichend eben sind.
Die afrikanische Landschaft, aber auch Gegenden in Asien und der arabischen Halbinsel werden weiter mit den zerfallenden Überbleibseln westlichen Übereifers verunstaltet. Ganze Fabriken, Strassen, Pumpstationen, Druckereien rotten nie wirklich geliebt, aber stets vernachlässigt vor sich hin.
Dass die große Weltpolitik Hilfe vielfach nur als Mittel zum Zweck und nach Sympathie verteilt, hilft nicht. Freilich gilt die ganz radikale Lösung, die zu Entwickelnden direkt nach Europa mitzunehmen, damit sie endlich ordentlich versorgt sind, seit der Flüchtlingskrise als zu gewagt.
Keine noch so gute gemachte Kampagne kann aber darüber hinwegtäuschen, dass Afrika und andere Entwicklungsländer sich vor allem selbst helfen müssen. Die Europäer haben eben außer bunt bedruckten Zettelchen, die sie „Geld“ nennen und der einen oder anderen Beschäftigungstherapie für Ruheständler (Senior Expert Service aus Bonn) und teenage“volontourists“ nichts wirklich Neues anzubieten.
Heute überfrachtet man Zahlungen oder Kredite an die Dritte Welt gerne mit zusätzlichen Hoffnungen: Nicht nur, dass die Elenden sich selber helfen mögen, sondern dass sie auch da bleiben sollen, wo sie sind.
Die Mär von der „Beseitigung der Fluchtgründe“ macht die Runde. Aber irgendwie will das garstige, lästige weltweite Elend einfach nicht aus den immer wieder über die Mattscheibe flimmernden Bildern verschwinden.
Emil Kohleofen ist freier Publizist.