Am Samstag wollen sie marschieren. Für die Wissenschaft, sagen sie und gegen die Leugnung oder Relativierung wissenschaftlich fundierter Tatsachen. Aber die Initiatoren legen den „March for Science“ ausgerechnet auf den sogenannten „Earth Day“, mit dem sie sich durch ihr Logo und in ihren Verlautbarungen verbinden. Das entwertet die gesamte Veranstaltung. Denn wer behauptet, mit Schlagworten wie Ressourcenknappheit, Artensterben, Überbevölkerung und „Klimakatastrophe“ umschriebene Zukunftsängste seien wissenschaftlich gerechtfertigt, dem geht es nicht um Aufklärung, sondern um die Instrumentalisierung der Forschung für die Dogmen des Ökologismus.
Am Beispiel der „Klimakatastrophe“ als momentan dominanter apokalyptischer Phantasie lässt sich dies besonders gut verdeutlichen. Schließlich ist der „March for Science“ vor allem eine Idee des „linken“ amerikanischen Wissenschaftsbetriebs, mit dem gegen die durch die Trump-Administration initiierte Rückkehr des politischen Primats in die Klimadebatte mobil gemacht werden soll. Natürlich verwendet man, sich an diesen Impuls anschließend, auch bei den deutschen Aktivisten den diffamierenden Begriff von den „Klimaleugnern“, womit eigentlich „Klimakatastrophenskeptiker“ gemeint sind, und wirft diese mit Kreationisten und allerlei Verschwörungstheoretikern in einen Topf. Dabei sind doch gerade die Alarmisten diejenigen, die sich einer kritischen Betrachtung der gegenwärtigen Klimapolitik verweigern.
Zur Klarstellung: Ja, ein Klimawandel existiert. Die Entwicklung der mittleren globalen Temperaturanomalie belegt diesen. Ja, es ist wärmer geworden auf diesem Planeten. Nicht überall, nicht gleichmäßig, aber im weltweiten Mittel eben doch signifikant. Und ja, die Klimaforscher haben gegenwärtig keine andere Erklärung für diesen Vorgang als die Wirkung der durch menschliche Aktivitäten ausgestoßenen Treibhausgase. Parallel dazu gab es in den vergangenen Jahrzehnten in einigen Weltregionen (nicht in allen) mehr Hitze- und weniger Kältewellen. Das aber ist eine hinsichtlich der Lebenserwartung positive Entwicklung. Denn an Kälte sterben mehr Menschen als an Hitze. Weitere signifikante Trends existieren nicht. Weder bei Stürmen, noch bei Überflutungen oder bei Dürren kann eine Entwicklung gemessen werden, die außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite dieser Ereignisse liegt. Es sind noch immer keine Südseeinseln versunken und bisher auch keine Arten nachweislich wegen klimatischer Veränderungen ausgestorben.
Nein, die „Klimakatastrophe“ ist noch nicht eingetreten. Und die Zukunft komplexer, rückgekoppelter Systeme ist nicht vorhersehbar. Nicht mit Tarotkarten, nicht mit Horoskopen und auch nicht mit Klimamodellen.
Gegenüber vielen anderen umweltbezogenen Dystopien zeichnet sich die „Klimakatastrophe“ dadurch aus, nicht widerlegbar zu sein. Man kann nicht beweisen, dass etwas, das im Rahmen der Naturgesetze möglich ist, in der Zukunft nicht geschieht. Schon hier sollten eigentlich bei vielen Forschern die Alarmglocken läuten. Eine nicht falsifizierbare These entzieht sich ihrer wissenschaftlichen Überprüfbarkeit und kann nur außerhalb der wissenschaftlichen Domäne bewertet werden. Aber genau dort wollen manche Klimaforscher ja auch hin. Als Menschen mit politischen Ansichten trachteten und trachten sie, ihre Forschungstätigkeit in den Dienst der von ihnen als unterstützenswert angesehenen linken, kollektivistischen gesellschaftlichen Utopien zu stellen.
Das ist für eine auf liberalen Grundwerten basierende Gesellschaft gefährlich. Naturwissenschaft und Politik sind zwei völlig getrennte Sphären. Die Naturwissenschaft sucht nach Wahrheiten, nach Erklärungen für natürliche Phänomene auf einer rein rationalen, wertefreien Basis. Politik hingegen ist die Kunst des wertegetriebenen Ausgleichs zwischen divergierenden Interessen. Der eine mag seine hohen Energiekosten gerne bezahlen, weil er denkt, damit für eine bessere Welt zu sorgen. Der andere wird wütend beim Blick auf die Stromrechnung, weil man ihm Geld wegnimmt, ohne daß er davon profitiert. Der eine erfreut sich am Anblick eines Windrades als Symbol einer sauberen Stromerzeugung. Der andere sieht Naturzerstörung und tote Vögel. Keine dieser Haltungen ist richtig oder falsch, keine dieser Ansichten ist einer Bewertung mit den Werkzeugen der Naturwissenschaft zugänglich. Eine solche dennoch anzustreben hieße, individuelle Freiheiten auf dem Altar abstrakter, lebensferner Theorien zu opfern.
Eine Naturwissenschaft, die anstrebt, auf Basis ihres gesammelten Wissens eine bessere, weil „faktenbasierte“ Politik formulieren zu können, stellt aber nicht nur ein Risiko für die betroffenen Bürger, sondern auch für sich selbst dar. Denn nichts können Politiker, die weitreichende Entscheidungen mit dem gegenwärtigen Stand der Klimaforschung begründen und als alternativlos durchsetzen wollen, weniger gebrauchen, als neue Erkenntnisse. Sie werden daher danach streben, diese auf direkte und indirekte Weise zu verhindern. Hochschulpolitische Maßnahmen und eine gezielte Steuerung der Forschungsförderung bieten hierzulande entsprechende Möglichkeiten. Es ist nicht erforderlich, so weit zu gehen, wie einst Josef Stalin.
Jener Diktator glaubte den Ansichten eines Biologen namens Trofim Denissowitsch Lyssenko, nach denen Erbeigenschaften durch Umweltbedingungen – und nicht etwa durch Gene – bestimmt seien. Lyssenko versprach, durch die praktische Anwendung seiner Erkenntnisse neue, ertragreichere Nutzpflanzen zur Bekämpfung des Hungers in der damaligen Sowjetunion zu züchten. Stalin erhob diesen Ansatz zur alleinigen Wahrheit – und war dadurch natürlich gezwungen, alle Gegenmeinungen zum Schweigen zu bringen und zu marginalisieren. Auf der einen Seite nutzte er die staatlich kontrollierte Presse als Propaganda-Kanal, auf der anderen Seite wurden zahlreiche Molekularbiologen zwangsweise in den Ruhestand versetzt, inhaftiert oder gar gleich ermordet. Ein Vierteljahrhundert, noch bis in Chruschtschows Regierungszeit hinein, konnte Lyssenko unbehelligt wirken, ohne natürlich mit seinen esoterischen Irrlehren Erfolg zu haben. Die gentechnische Forschung hingegen, die Lyssenkos Thesen hätte widerlegen und einen funktionierenden Weg zu robusten und ertragreichen Sorten hätte bahnen können, wurde in dieser Zeit komplett abgewickelt und vernichtet. Ein Schritt, von dem sich die russische Molekularbiologie bis heute nicht erholt hat. Der Begriff „Lyssenkoismus“ steht seitdem für die Beschneidung der Wissenschaftsfreiheit durch die Politik zugunsten einer als politisch nützlich angesehenen Denkschule.
Nein, über Sinn und Nutzen einer „Klimaschutzpolitik“ entscheidet nicht die Klimaforschung. So wenig, wie Reaktortechniker die Energiepolitik festlegen, Evolutionsbiologen die Bevölkerungspolitik oder Gentechniker die Agrarpolitik. Über all diese Fragen entscheiden die betroffenen Menschen selbst, unabhängig von ihrer Profession, ihren Vorkenntnissen und ihren Kompetenzen. Sie bilden sich eine eigene Meinung, vor allem auf Grundlage ihrer individuellen Einschätzung darüber, was eine vorgeschlagene Maßnahme konkret für sie bedeutet. Dies kann und sollte ihnen niemand abnehmen, dies können und sollten sie nicht delegieren. Der „March for Science“ suggeriert das Gegenteil und ist daher eine zutiefst törichte Inszenierung.