Genau diesen Eindruck haben viele, wenn sie auf das poltische Führungspersonal schauen. Das Unwohlsein wächst, denn wir scheinen mit zunehmenden Tempo auf den Abgrund zuzurasen und ängstlich fragen wir uns: Sieht unser Fahrer wirklich aus wie James Dean? Ist es nur ein dummes Gefühl oder ist da etwas dran?
Nimmt man sich einmal die Forschung zu diesem Thema vor, so gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist: Ja, mit unserem Gefühl stimmt alles. Die schlechte: Hilfe ist fern, denn wir können es auch nicht besser.
Sehr amüsant hat 1985 der gebürtige Österreicher Paul Watzlawick, Philosoph und Psychotherapeut, u. a. an der Stanford University lehrend und Forschungsbeauftragter am Mental Research Institut in Palo Alto, in seiner “Anleitung zum Unglücklichsein” die charakteristischen Fehler beschrieben, die Menschen generell bei Problemlösungen machen.
Prof. Dietrich Dörner, (em.) Professor für Psychologie an der Universität Bamberg, veröffentlichte 1989 seine Forschungsergebnisse unter dem Titel “Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen”. Als Quintessenz kann man die Sätze des Buchrückens zitieren: “In komplexen und dynamischen Handlungssituationen macht unser Gehirn Fehler: Wir beschäftigen uns mit dem ärgerlichen Knoten und sehen nicht das Netz. Wir berücksichtigen nicht, dass man in einem System nicht eine Größe allein modifizieren kann, ohne damit gleichzeitig alle anderen zu beeinflussen”.
Dörner hat unterschiedliche Experimente mit computersimulierten Realitäten durchgeführt, um die Hintergründe in Prozessen von Planung, Entscheidung und Urteilen sichtbar zu machen. Die Ergebnisse sind ebenso eindeutig wie aufschlussreich: In Situationen, bei denen es auf ständig wechselnde Mustererkennung und schnelle, adäquate Anpassung des eigenen Verhaltens an die veränderte Lage ankommt, machen wir typische Fehler. Unsere Bemühungen, die Komplexität zu reduzieren, leiten uns ebenso fehl wie unsere Anstrengungen, in unsicheren Situationen einen Schein von Sicherheit zu generieren.
Zur Veranschaulichung wählte er drei Beispiele, davon ein reales: Die Tschernobyl-Katastrophe. Dieser größte anzunehmende Unfall war kein technisches Versagen, er wurde von Menschen herbei geführt, wobei es weder böse Absicht noch menschliches Versagen in dem Sinn war, dass jemand geschlafen oder ein Signal nicht gehört hatte. Wie Dörner schreibt: ”Alles, was geschah, haben die Operateure bewusst gemacht und offenbar aus der vollen Überzeugung heraus, richtig zu handeln.”
Die zwei anderen von ihm zur Illustration gewählten Beispiele sind die mittlerweile legendären Tanaland und Lohhausen Experimente. Sie zeigen konkret im Kontext politischen Handelns die Begrenztheit unserer kognitiven Fähigkeiten – die fatale Folgen hat.
Tanaland war der Sahel-Zone nachempfunden, Lohhausen einer Kleinstadt. Die Versuchspersonen waren zur Vereinfachung mit quasi – diktatorischen Fähigkeiten ausgestattet und sollten innerhalb einer Zeitperiode (10 Jahre im Zeitraffer) die Geschicke des Landes/der Kommune lenken. Die Ergebnisse waren katastrophal, besonders in Tanaland, wo nach dem sprunghaften Anstieg der Lebensqualität fatale Hungersnöte und andere Katastrophen ausbrachen. Am Ende stand Tanaland schlechter da als zuvor, die Bevölkerung war dezimiert. Stellt man die Ergebnisse graphisch dar, so ähneln sie dem steilen Anstieg einer Aktie oder eines Index mit anschließendem Crash.
In diesen Simuationen und weiteren Experimenten zeigte sich, dass die Versuchspersonen selbst naheliegende Folgen und Nebenwirkungen ihres Handelns übersahen. Wenn sie meinten, einmal eine gute Methode gefunden zu haben, so wandten sie diese auf alles andere an, ohne sorgfältige Analyse. Sie hinterfagten ihre Vorgehensweise zumeist auch nicht, der (Anfangs)Erfolg schien ihnen recht zu geben. Völlig außerhalb ihrer Vorstellung lagen exponentielle Entwicklungen.
Wie bei Watzlawick waren es stets dieselbe Art Fehler, die wir bei der Entscheidungsfindung machen. Dabei ist es prinzipiell gleichgültig, ob es sich um den Umgang mit komplexen Maschinen/Anlagen handelt oder um den Umgang mit komplexen wirtschaftlichen/politischen Systemen.
Damit wird eines klar: Die unserer politischem Ordnung zu Grunde liegende Annahme, Politik “könne” jeder, er benötige dafür nur die nötigen Informationen und ein gewisses Maß an Allgemeinbildung, ist widerlegt.
Besonders evident wurde das bei einem Versuch, in welchem ein Physiker und ein Diplom-Volkswirt dem simulierten Stamm der Moros Entwicklungshilfe angedeihen lassen sollten. Beide Herren waren in führenden Positionen in der Wirtschaft tätig und fühlten sich in keiner Weise von der Aufgabe überfordert. Im Gegenteil, sie mokierten sich vor dem Experiment über die häufig anzutreffende Unfähigkeit anderer und waren sehr engagiert dabei, den Moros effektiv zu helfen. Sie scheiterten kläglich.
Selbst wenn unser Bildungssystem also bestmöglich funktioniert (als Annahme eine höchst gewagte These), wäre dies nicht hilfreich. Nicht einmal dann, wenn Kern des Berufsbilds der Umgang mit äußerst komplexen Systemen ist, wie bei diesen beiden Versuchspersonen, hilft diese Bildung bei der Bewältigung politischer Probleme. Leider fehlt aber völlig die Kenntnis der eigenen Inkompetenz.
Dörner schreibt in einem Vorwort dazu:
Meines Erachtens ist die Frage offen, ob “gute Absichten + Dummheit” oder “schlechte Absichten + Intelligenz” mehr Unheil in die Welt gebracht haben. Denn Leute mit guten Absichten haben gewöhnlich nur geringe Hemmungen, die Realisierung ihrer Ziele in Angriff zu nehmen. Auf diese Weise wird Unvermögen, welches sonst verborgen bliebe, gefährlich, und am Ende steht dann der erstaunt – verzweifelte Ausruf: ”Das haben wir nicht gewollt”.
Ist es nicht oft gerade das Bewusstsein der “guten Absichten”, welches noch die fragwürdigsten Mittel heiligt? Den Leuten mit den “guten Absichten” fehlt auf jeden Fall das schlechte Gewissen, welches ihre Mitmenschen mit den schlechten Absichten vielleicht doch manchmal ein wenig am Handeln hindert. Es ist oft gesagt, aber selten gehört worden, dass der abstrakte Wunsch, allen Menschen das Paradies zu bereiten, der beste Weg zur Erzeugung einer konkreten Hölle ist. Das hängt mit den “guten Absichten”, die auch ohne jede Kompetenz zum Handeln antreiben, eng zusammen.
Dörner untersuchte expermimentell auch, ob die Gruppe, also die “Weisheit der Masse,” positiven Einfluss auf die Qualität der Entscheidungen hat. Dem war allerdings nicht so, vielmehr ergaben sich negative Gruppendynamiken, z. B. das sogenannten Gruppendenken, welche die Gruppe am Erfolg hinderten.
So lange wir also meinen, kluge Entscheidungsfindung sei uns Menschen in die Wiege gelegt und die auf dem Erlernen von Buchwissen beruhende schulische Allgemeinbildung würde uns hinreichende Handlungskompetenz vermitteln, werden wir kein besseres Führungspersonal erhalten. Dies gilt nicht nur in der Politik, man sollte diese aber angesichts der oben gezeigten Experimente als “Königsdisziplin” ansehen.
Wie sich bei den Versuchen zeigte, sind die nötigen Fähigkeiten erlernbar. Dabei hilft das Vermitteln von theoretischem Wissen nichts, es stärkt lediglich die Verbalintelligenz (man kann “schlau schwätzen”) und verstärkt somit sogar den irrigen Eindruck von eigenen Fähigkeiten. Ausgehend von o. g. grundlegenden Ergebnissen wurde in den letzten Jahrzehnten weiter geforscht, so zeigte sich, dass Führung besser funktioniert, wenn dem “Macher” ein “Denker” zur Seite gestellt wird. Die Erkenntnisse werden in vielen Bereichen umgesetzt, nicht nur bei der Schnittstelle Mensch/Maschine (z. B. Pilotenausbildung) sondern auch in Bereichen, bei denen schnelle Entscheidungen in komplexen und intransparenten Situationen gefragt sind (z. B. Bundeswehr, Polizei, Katastrophenstäben).
An der Politik allgemein sowie an der Bildungspoltik sind diese Erkenntnisse spurlos vorüber gegangen. Insoweit haben sich unsere Systeme als nicht lernfähig herausgestellt, was zu einer eindeutig negative Zukunftsprognose führt.
Die alles entscheidende “Ware” Bildung steht unter strikter staatlicher Hoheit, ist mithin objektiv „kommunistisch“ verwaltet mit entsprechenden Qualitätsmängeln. Länder, die vergleichbar Grundnahrungsmittel zwangsverwalten, haben ebenso große Versorgungsprobleme wie wir bei der Bildung. Es ist ein Beispiel für die Wirkung von guten Absichten.
Nötig wäre zudem eine grundlegende politische Reform, wonach Kompetenz zum Maßstab des Erlangens verantwortlicher Positionen wird und die Risiken fehlgeleiteten staatlichen Handelns für die Bürger und die Existenz des Gemeinwesens z. B. durch Entkoppelung minimiert werden. Sinnvoll wäre auch, Redundanzen und fail-safes einzubauen..
Die Zukunft wird das Land gewinnen, das als erstes die oben geschilderten Erkenntnisse im Bereich Bildung/Ausbildung und in der Politik in die Tat umsetzt.
Ein interessanter Ansatz ist die Idee der “Free Private Cities”, wonach der Staat zum Dienstleister “geschrumpft” wird. Da die Bürger frei über den Rest entscheiden, schlagen Fehlentscheidungen oder Fehlentwicklungen nicht so stark auf das gesamte Gemeinwesen durch, damit ist ein solches System resilienter. Angesichts der Verschuldungsrate der Staaten hat zudem die Idee der Gewinnorientierung enormen Charme.
Annette Heinisch studierte Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank – und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht.
Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.