Deutschlands Wappenvogel ist eine Fehlbesetzung. Der Seeadler könnte ebenso gut Polen, die Türkei, Island oder den Iran repräsentieren. Denn überall dort und in etlichen weiteren Ländern kommt er vor. Dennoch prangt der als „fette Henne“ verspottete Greif über dem Plenarsaal des Bundestags, ziert das Staatswappen und amtliche Dokumente.
Es gibt einen heimlichen Wappenvogel. Der ist zwar ebenfalls Europäer, doch die meisten seiner Art leben tatsächlich in den Grenzen der Bundes republik. Man könnte den Rotmilan biologisch korrekt als den deutschen Greifvogel bezeichnen. Leider zählt er zu den seltensten Vogelarten der Welt und wird immer seltener. „Für den Rotmilan sieht es nicht gut aus“, sagt Oliver Krüger, einer der führenden Ornithologen Deutschlands. „Und gerade für den Rotmilan tragen wir eine besondere Verantwortung.“ Krüger führte für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die sogenannte PROGRESS-Studie durch, die bisher umfangreichste Forschung zum Konflikt zwischen Windwirtschaft und Vogelwelt. Die Ergebnisse wurden nur in aller Stille im Internet veröffentlicht, ohne Pressekonferenz oder Ministerwort.
Der Startschuss für den Sinkflug des Rotmilans fiel am 1. Januar 1991 und wurde vom CDU-Umweltminister Klaus Töpfer abgegeben. Damals trat das Energieeinspeisungsgesetz in Kraft, Vorläufer des späteren ErneuerbareEnergienGesetzes (EEG). Wer in Windkraft oder Biogasanlagen investierte, bekam für den Strom eine staatliche Abnahmegarantie für 20 Jahre zu hochsubventionierten Preisen.
Erst langsam, dann unübersehbar und immer rasanter begann damit die größte Landschaftsveränderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Circa 28.000 Windkraftanlagen prägen heutzutage das Gesicht Deutschlands: von Ostfriesland bis zur Pommerschen Bucht, vom Niederrhein bis zur Lausitz, vom Schwarzwald bis zum Harz. Etwa 1200 Anlagen wurden mittlerweile in Wäldern errichtet. Moderne Typen, wie die Enercon E126, sind 200 Meter hoch und haben einen Rotordurchmesser von 127 Metern. Um einen dieser Türme aufzustellen, müssen mehr als 5000 Quadratmeter Wald gerodet werden.
Ihr enormer Flächenbedarf ist der große ökologische Nachteil der alternativen Energien. Dies gilt besonders für Biogas, aber auch für Solarkraftwerke und Windindustrie. Als sich in den 80erJahren ein paar Windrädchen in den Gärten von Ökotüftlern drehten und allgemein bestaunt wurden, dachte niemand an den Landschaftsfraß, den diese Technologie mit sich bringen würde. Um beispielsweise das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg durch Windkraft zu ersetzen, müsste die gesamte Fläche des Stadtstaats mit Rotormasten zugebaut werden.
Während monumentale Windparks Landschaften zu Industriekulissen umformen, sorgen am Boden Maismonokulturen auf 2,5 Millionen Hektar für die grenzenlose Eintönigkeit des Panoramas. Eine Fläche so groß wie Sizilien. „In den vergangenen 30 Jahren hat es eine Versiebenundzwanzigfachung der Maisanbauflächen gegeben“, sagt Torsten Reinwald vom Deutschen Jagdverband. Das Einheitsgrün wird nicht allein für die Biogaserzeugung angepflanzt, auch viel Futtermais ist darunter. Doch allein die deutsche Energiepflanzenerzeugung frisst 1,5 Millionen Hektar Fläche. Weder Hase noch Feldhamster, weder Schmetterlinge noch Wildbienen können in der Maisödnis leben. Keine Lerche singt mehr und kein Kiebitz ruft. Grauammer, Wachtel und Schafstelze verschwinden.
Rebhühner waren einst die typischen Bewohner der Feldflur, die man auf Spaziergängen häufig sah. Ihre Bestände sanken seit den 80erJahren um 94 Prozent. Bei anderen typischen Vogelarten der Agrarlandschaft liegen die Rückgänge der vergangenen 20 Jahre zwischen 20 und 50 Prozent. „Insgesamt muss man das bittere Fazit ziehen, dass Auswirkungen des Klimawandels selbst auf die biologische Vielfalt bisher wenig nachweisbar, die Auswirkungen der Klima und Energiepolitik dagegen dramatisch sind“, sagt Martin Flade, Ornithologe und Herausgeber der Zeitschrift „Die Vogelwelt“.
„Das Hauptproblem im Natur und Artenschutz“, so Flade, „liegt in der Intensität der Landwirtschaft.“ Der Wegfall von Stilllegungsflächen, der vermehrte Maisanbau und der Ausbau der Windkraft multiplizierten sich gegenseitig zu einem großen Problem. Während es früher mehr Brachflächen als Maisfelder gab, habe sich das Verhältnis umgekehrt. „Das wirkt sich unmittelbar auf den Bestand von Brutvögeln aus“, sagt Flade. Mittlerweile liege das Verhältnis von Brache zu Mais bei 1 zu 20. Für den Vogelexperten ist das der „absolute Schlüsselfaktor“.
2013 erhielt Martin Flade für seine Arbeit den Preis der Deutschen OrnithologenGesellschaft. In der Begründung hieß es: „In der Folge des unüberlegten und übereilten Ausbaus erneuerbarer Energien aus landwirtschaftlicher Biomasse und Windkraft hätten die Bestände von fast 50 Prozent aller Vogelarten deutlich abgenommen.“
Grüne Wände aus Energiemais
Nicht nur die Tiere, auch die Landschaften selbst verschwinden. Ein Blick in die Weite ist nicht mehr möglich, wenn rechts und links der Landstraßen drei Meter hohe Wände aus Energiemais die Sicht verstellen. Johannes Bradtka ist Vorsitzender des Vereins für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern. Der Förster im Staatsdienst begrüßte die Energiewende, doch die Umsetzung entsetzt ihn: „Die Energie wende ist vollkommen aus dem Ruder gelaufen.“ Es handle sich um eine „schleichende und immer manifester werdende Zerstörung unseres über Jahrhunderte gewachsenen Landschaftsbilds“. Es nehme ihm das „Heimatgefühl und die Identität“.
Obendrein ist fraglich, ob der Anbau von Energiepflanzen überhaupt einen Nutzen für das Klima bringt. Josef H. Reichholf, Ökologe, Bestsellerautor und Botschafter der Deutschen Wildtier Stiftung, hält es für grundsätzlich falsch, mit Pflanzen Energie zu erzeugen. Der Aufwand an Energie sei viel größer als der Ertrag. „Um Mais für Biogas verwerten zu können, muss entsprechender Dünger eingesetzt werden.“ Andernfalls kann nicht binnen weniger Monate aus einem Korn eine drei Meter hohe Pflanze emporwachsen. Doch in die Gesamtbilanz zur Verstromung von Biomasse würden weder dieser Dünger noch die Regenwaldabholzungen in Übersee berücksichtigt. Denn von dort kommt das meiste Futter für die Tiere, die die Gülle liefern.
Paradoxerweise waren die Grünen die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung. Eine Partei, die in den 80erJahren angetreten war, um die Natur zu retten, wandelte sich zum Sachwalter großflächiger Naturzerstörung. Ohne den Druck der Grünen und der ihnen verbundenen Umweltverbände hätten weder Kohl noch Schröder oder Merkel den Ausbau von Windkraft, Bioenergie und Solarstromerzeugung so forciert, wie sie es getan haben.
Als Landwirtschaftsministerin gab Renate Künast einst den verheeren Schlachtruf aus: „Bauern werden die Ölscheichs von morgen!“ Jürgen Trittin verkündete als Umweltminister die fahrlässige Prognose, dass die Subventionierung von Windkraft nur eine Kugel Eis im Monat pro Haushalt kosten werde. Fatale Irrtümer. Die Naturzerstörung durch die flächenfressende Wind und Biogasindustrie ist „genau das Gegenteil von dem, was die Umweltbewegung einst forderte“, sagt der Ökologe Patrick Moore, der 1971 mit seinen Freunden Greenpeace gründete.
Da der Landschaftsfraß, anders als eine Ölpest oder ein Chemiefabrikunfall, nicht plötzlich passiert, sondern sich über Jahre hinzieht, wird er von vielen Menschen nicht sofort wahrgenommen. Seine Auswirkungen sind jedoch viel heftiger als solche punktuellen Umweltkatastrophen, denn der Wandel findet fast überall und auf breiter Fläche statt. Es gibt immer weniger Rückzugsräume für die wilde Natur.
Gemeinsame Sache mit der Lobby
Zwei Prozent ihrer Landesflächen wollen die meisten Bundesländer für die Windkraft reservieren. Das klingt wenig, doch es gibt nur die von den Rotoren überstrichene Fläche wieder, der wahre Einwirkungsbereich auf die Vogelwelt liegt um ein Vielfaches höher. Sechs Kilometer soll der Abstand zu einem Schreiadlernest nach Ansicht der staatlichen Vogelschutzwarten betragen. Damit dürfte im gesamten Vorpommern kein einziges Windkraftwerk mehr aufgestellt werden.
„Zwei Prozent der Fläche können 100 Prozent unserer Landschaften zerstören“, sagt Harry Neumann. Bis 2014 war er Landesvorsitzender des BUND Rheinland-Pfalz. In diesem Bundesland wurden bisher über 300 Windenergieanlagen in Wäldern aufgestellt. Naturschützer wie Neumann mussten machtlos zusehen. Weil die nationale Führungsspitze des BUND jedoch den Ausbau der Windkraft unterstützt, trat Neumann von seinem Amt zurück.
BUND-Chef Hubert Weiger verkündet dagegen: „Wir sind zum Schluss gekommen, dass es aktuell keine Daten gibt, die in Deutschland eine Gefährdung von Populationen von Tier- und Pflanzenarten nahelegen oder belegen.“ Eine Einschätzung, über die Neumann und viele andere BUND-Mitglieder nur den Kopf schütteln können, unter ihnen Enoch zu Guttenberg, Mitgründer des Naturschutzverbands.
Auch Klaus Richarz, der 22 Jahre lang die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland leitete, ist erschüttert, dass einige grüne Verbände den Naturschutz beiseite schieben und gemeinsame Sache mit der Lobby der erneuerbaren Energien machen. Seine Studie „Windenergie im Lebensraum Wald“ belegt eindrucksvoll die Dringlichkeit des Problems: Allein 12.000 Greifvögel fallen den Windkraftanlagen alljährlich zum Opfer. Mit einem Tempo von 300 Stundenkilometern kreisen die Spitzen der Rotorblätter, ihr Radius ist dabei so groß wie ein Fußballfeld. Gegen diese riesigen Pro pellerwände haben Rotmilane und an dere Gefiederte keine Chance.
Nach Schätzungen von Hermann Hötker vom Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund Deutschland liegt die Zahl der Vogelopfer insgesamt bei einem bis fünf Tieren pro Anlage und Jahr, folglich zwischen 28.000 und 140.000. Genaues ist schwer zu ermitteln, da Ratten, Marder, Füchse, Wildschweine und andere Aasfresser die Kadaver nachts beseitigen.
Das sei nicht viel, sagt die Windkraftlobby, im Vergleich zu Millionen Vögeln, die mit Glasscheiben, fahren den Autos, Strommasten und anderen Hindernissen kollidieren. Ein Trugschluss. Denn es kommt darauf an, welche Arten betroffen sind. Ob zehn Stadttauben gegen Autos fliegen, hat keine Auswirkung auf die Population der Vögel. Doch wenn ein brütendes Rotmilanweibchen von einem Rotorblatt erschlagen wird, ist dies ein spür barer Verlust für die Art.
Alle 2,7 Kilometer ein Windrad
Wenn nur alle acht Jahre ein Rotmilan von einem Windpropeller erwischt wird, sind dies bei der jetzigen Zahl von 28.000 Anlagen 3.500 Vögel weniger. Bei einer Gesamtpopulation von nur 15.000 Brutpaaren in Deutsch land ein relevanter Verlust. Wenn nach dem Klimaschutzplan der Bundesregierung die Zahl der Windmasten verdoppelt wird, könnte es bald vorbei sein mit dem heimlichen Wappenvogel. Denn das würde bedeuten, dass durchschnittlich alle 2,7 Kilometer eine 200 Meter hohe Windenergieanlage aufgestellt wird, quer durch das Land, ohne Rücksicht auf Landschaft, Seen, Berge, Wälder, Städte. Nur werden die Anlagen nicht in den Städten stehen. Der Traum der städtischen Elite von der Energiewende wird auf Kosten der ländlichen Bevölkerung verwirklicht.
Große Vögel wie Störche, Greifvögel und Enten werden besonders häufig von den Rotoren erwischt. „Greifvögel“, sagt Oliver Krüger, „sind relativ selten, brauchen große Flächen, aber sie kollidieren überproportional häufig. Das ist eindeutig.“ Die PROGRESS-Studie ergab, dass sogar der häufige Mäusebussard bei weiterem Ausbau der Windenergie bedroht wäre. Es trifft nicht alle gleichmäßig, doch die Empfindlichsten ganz besonders heftig. Und leider sind unter diesen Verlierern die Juwelen des Naturschutzes.
Einer dieser Windkraftflüchtlinge ist der scheue Schwarzstorch, der versteckt in Wäldern nistet. Als in der hessischen Vogelsbergregion 170 Windkraftanlagen errichtet wurden, verschwanden neun von 14 Schwarzstorchpaaren.
Völlig unzutreffend ist der Einwand, auch Glasscheiben und andere Hindernisse würden Opfer kosten, wenn es etwa um Fledermäuse geht. Durch ihre Ultraschallortung kollidieren die fliegenden Säugetiere fast nie mit solchen Barrieren. Sie schaffen es sogar, durch die sich drehenden Rotoren zu fliegen. Dennoch fallen sie tot vom Himmel. Ursache ist ein Barotrauma: Ihre Lunge platzt durch den Druckabfall hinter den Rotoren. Dies widerfährt circa 240.000 Fledermäusen pro Jahr. Die Dunkelziffer ist vermutlich wesentlich höher, weil die Tiere meist noch ein wenig weiter flattern. Seltsam: Bei Bauvorhaben wie Autobahnen, Flughäfen, Gewerbeparks oder Brücken löste das Vorhandensein einer Fledermauskolonie jahrelangen Streit aus oder verhinderte sogar das Projekt. Der Massentod der Tiere durch die Windindustrie rief bisher noch kei ne vergleichbare Empörung hervor.
Wunschdenken Weltrettung
Tote Fledermäuse und andere öko logische Kollateralschäden schieben die Anhänger der Energiewende mit der Begründung beiseite, eine globale Klimakatastrophe müsse verhindert werden. So etwa die ehemalige grüne rheinlandpfälzische Ministerin Eveline Lemke zur Zerstörung des Soonwal des im RheinHunsrück-Kreis durch Windkraftanlagen: „Ohne das Klima zu schützen, wird’s hier keine Artenviel falt mehr geben.“ Die Rettung der Welt sei wichtiger als die heimische Natur. Mittels Windkraft, Solaranlagen und Biogas soll Deutschland seine Kohlendioxidemissionen senken und dadurch die globale Erwärmung bremsen.
Doch bisher ist das Wunschdenken. Denn trotz des rasanten Ausbaus und fast 30 Milliarden Euro ausgeschütteter EEG-Vergütung pro Jahr hat die alternative Stromerzeugung nach deutschem Rezept bisher keine Senkung des CO2-Ausstoßes erbracht. Im Gegenteil: Er stieg sogar leicht an, weil abgasfreie Atomkraftwerke abgeschaltet wurden.
Immer wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint („Dunkelflaute“), müssen in Reserve befindliche Kohlekraftwerke hochgefahren werden, damit es nicht zum Blackout kommt. Und da nützt in der Flaute auch eine Verdopplung oder Verdreifachung der Windkraftkapazität nichts. Dreimal null ist null. Das ist Mathematik und nicht Politik.
Und keiner glaubt mehr das Märchen, dass es immer irgendwo ein bisschen Wind gäbe. Wenn die Großwetterlage Windstille anzeigt, reicht diese von Holland bis Polen, von Dänemark bis Österreich, und das kommt nicht selten vor. Dann retten nur noch alte österreichische Ölkraftwerke, polnische Steinkohlekraftwerke oder französische und tschechische Kernkraftwerke die deutsche Stromversorgung. Wie Mitte Januar, als Deutschland kurz vor dem Blackout stand.
Neues Thema der „Rechtspopulisten“
Und wenn es dann bei Starkwind zu einem Überangebot von Strom kommt, schalten wir in Deutschland die Windkraftwerke ab und zahlen trotzdem die Einspeisevergütung. Oder exportieren diesen nicht zu gebrauchenden Strom an unsere Nachbarländer und zahlen noch drauf, damit sie uns diesen Überschussstrom abnehmen. Nahezu die Hälfte des Windstroms wird auf diese Weise ins Ausland verschleudert. Die Betreiber bekommen trotzdem ihren zugesicherten Profit. Und die Differenz bezahlen die deutschen Stromkunden.
Ob Deutschland überhaupt in der Lage ist, das Weltklima zu beeinflussen, ist fraglich. Bei circa fünf Prozent liegt der Anteil des von Menschen verursachten CO2Ausstoßes am Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre (95 Prozent sind natürlichen Ursprungs). Von diesen fünf Prozent gehen gerade ein mal 2,2 Prozent auf das Konto des Industrielands Deutschland. Verglichen mit China (28,2 Prozent) ist die Bundesrepublik ein CO2-Zwerg.
Was die meisten Politiker nur hinter vorgehaltener Hand zugeben, ist die Tatsache, dass durch den Zubau durch Windkraft in Deutschland null CO2 vermieden wird. Das europäische Handelssystem von CO2-Zertikaten führt dazu, dass durch den Bau von Windkraftanlagen Zertikate freigesetzt werden, die in ganz Europa Verwendung finden. Mit anderen Worten: CO2 wird in gleichem Maße, wie es hier eingespart wird, anderswo in Europa zusätzlich ausgestoßen. Ein Nullsummenspiel.
Langsam, aber sicher spricht sich das herum. Und je fragwürdiger die Energiewende wird, desto mehr naturlieben de Menschen engagieren sich gegen Landschaftszerstörung und Vogeltod. 800 Bürgerinitiativen gegen Windkraft
wurden in jüngster Vergangenheit gegründet. Nicht allen geht es um die Natur. Manche fürchten in erster Linie den Wertverlust ihrer Häuser, wenn sie von Rotoren umstellt werden. Doch vielen geht es wie dem Förster Johannes Bradtka, der die Zerstörung von Kulturlandschaften nicht mehr hinnehmen will. Da alle im Bundestag vertretenen Parteien dies ignorieren, gelingt es inzwischen den Rechtspopulisten, sich mit diesem Thema in der Bevölkerung beliebt zu machen. Von den traditionellen Parteien engagiert sich nur die FDP als außerparlamentarische Opposition gegen Landschaftsfraß und Subventionsirrsinn.
Je mehr der Widerstand wächst, desto rüder die Methoden der Windkraftinvestoren. Immer häufiger werden gezielt Bäume gefällt, auf denen geschützte Vögel wie Rotmilan oder Schreiadler nisten. Denn in der Nähe solcher Brutplätze dürfen keine neuen Anlagen errichtet werden.
Wer Regionalzeitungen durchblättert, findet zahlreiche Fälle solcher Zerstörungen über die ganze Republik verteilt. Laut NDR wurden allein 2016 im Landkreis Vorpommern-Greifswald 16 zerstörte Greifvogelhorste registriert. „Für uns“, sagt Kreissprecher Achim Foitzheim, „zeichnet sich eine Struktur ab, ein Tatmuster. Dem liegt ein gewisses Maß an krimineller Energie zugrunde.“ Der Deutschen Wildtier Stiftung wurden innerhalb nur eines Jahres 80 solcher Fälle gemeldet. Immer wieder steht neben Seeadler und Schreiadler der Rotmilan im Fadenkreuz der Zerstörer.
Es geht dabei um viel Geld. Die Pachtzahlung für eine Windkraftanlage, die ja über die Stromrechnung aller Bürger bezahlt wird, beträgt mittlerweile bis zu 80.000 Euro. Jährlich, 20 Jahre lang. Hat man also eine Fläche für ein Windfeld von zehn Anlagen anzubieten, lockt ein Ertrag von 16 Millionen Euro für den Grundeigentümer. Das weckt auch kriminelle Energie.
Daher fordert die Deutsche Wildtier Stiftung von der Politik, dass in Plangebieten, in denen ein Horst zerstört wor den ist, zehn Jahre keine Windkraftanlage mehr gebaut werden darf. Eine solche Regelung hat in Sizilien gut gewirkt. Dort hat die Mafia aufgehört, Wälder anzuzünden, nachdem eine zehnjährige Landnutzungssperre nach Waldbränden gesetzlich eingeführt worden war.
Am Beginn der Umweltschutzbewegung stand 1962 ein Buch, in dem es viel um Greifvögel ging: „Der stumme Frühling“, verfasst von der amerikanischen Biologin Rachel Carson. Sie deckte auf, dass der übermäßige Gebrauch bestimmter Pestizide den Weißkopfseeadler, Wappenvogel der USA, an den Rand des Aussterbens gebracht hatte. Im heutigen Deutschland wird der Rotmilan von einer Industrie vernichtet, die mit der Rettung des Weltklimas für ihre Interessen wirbt. Viele, die sich für Umweltschützer halten, applaudieren dazu – und die im Bundestag vertretenen Parteien schauen weg.
Prof. Dr. Fritz Vahrenholt ist Alleinvorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. Er schrieb eines der wirkmächtigsten Bücher der aufkommenden Umweltbewegung („Seveso ist überall“), war später Umweltsenator in Hamburg, Gründer des Windkraftunternehmens REpower und mit der Firma Innogy einer der größten Windkraftinvestoren. Seine dort gesammelten Erfahrungen brachten ihn dazu, an dieser Form der Stromerzeugung zu zweifeln.
Michael Miersch ist Geschäftsführer für Bildung und Kommunikation bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Als Autor und Redakteur großer Zeitschriften und Sender schrieb er über Umweltthemen und drehte Naturfilme. Viele seiner Bücher und Artikel erhielten Preise für Wissenschaftsjournalismus.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 05/2017 von ‚Tichys Einblick‘ Print erschienen: