Ich war die letzten Wochen still, zumindest hier. Nicht, weil ich nichts zu sagen gehabt hätte. Nicht, weil ich nicht erbost gewesen wäre. Nicht, weil ich keine Themen gehabt hätte, die mich beschäftigten.
Der Grund ist ein anderer: Es langweilt mich, zu sagen, was ich doch schon früher gesagt habe.
Was soll man kommentieren? Welche politische Narretei in scharfen Worten zum Gespött machen?
Soll man die Verdummung politischen Dialogs beklagen? Um Hilfe schreien, weil ‚1984‘ unseren Herrschern als Anleitung zu gelten scheint? Den Demokratieanalphabetismus der SPD anprangern? Soll man jammern über den Untergang des Westens, befördert von „Gutmenschen“ und beklatscht von „linkem“ Selbsthass? Alles schon erledigt.
Selbst wenn Deutschland die Regierung Merkel im Wahljahr 2017 abschüttelte, was Menschen guten Willens diesem wunderbaren Land doch wünschen müssten, was wäre derzeit die Alternative? Der Herr mit dem sehnenden Blick und den feuchten Lippen? Ich bitte Sie! Das Amt des Bundeskanzlers muss doch mehr sein als nur Anschlussverwendung für gescheiterte Brüsseler Linksrechtspopulisten. Es könnte geschehen, nur besser würde es nicht. Egal, was und wer kommt, der von der Regierung Merkel-Maas angerichtete Schaden wird noch Jahre und Jahrzehnte nachwirken.
Ich werde mit Kommentaren und Analysen wenig daran ändern. Die Merkel in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Das Wort mag stärker sein als das Schwert, aber nicht als die 8-Milliarden-Wahlkampfmaschine des Kanzleramts. (Die derartige Einordnung von ARD & ZDF ist natürlich meine private, der Namensgeber dieser Publikation sieht das gewiss ausgewogener.)
Ich durfte in den letzten Monaten viele Male hören, dass ich Menschen »aus der Seele spreche«. Es habe etwas Kathartisches, sagt man mir, wenn ich den allgemeinen Frust in griffige Worte fasse. Man dankt mir, dass ich die Hilflosigkeit und die Wut, die andere nur fühlen, in grammatikalisch meist korrekten Sätzen ausspreche. Fast täglich höre ich: Ja, Herr Wegner, so sehe ich das auch! Danke, dass Sie es sagen!
Ich will das nicht. Ich will nicht Sprachrohr des Frustes sein, auch wenn ich diesen Frust teile. Ich will nicht nach immer neuen Worten für unsere Angst suchen, auch wenn ich diese Angst teile. Ich bin kein Politiker. Ich spreche nicht für Sie.
Ich will etwas anderes.
Ich will gemeinsam mit Ihnen lernen.
In der Philosophie konstruiert man »Gedanken-Experimente«, um etwas über die eigenen Begriffe und Moralvorstellungen herauszufinden. Etwa: Darf man lügen, wenn die Gestapo vor der Tür steht und fragt, ob man jemanden versteckt habe? Oder: Ist ein Tisch, der nichts tragen kann und keine vier Beine hat, immer noch ein Tisch? Einige begriffliche »Experimente« sind bis heute ganz real der Gegenstand heftigen Streites, etwa: Ab wann ist ein Mensch eben ein Mensch? Ab Befruchtung? Ab Geburt? Wenn es irgendwas dazwischen ist, dann ab welchem Monat?
Ich selbst möchte meine Zähne an wieder anderen Experimenten ausbeißen. Ich frage zunächst: Wie reagiere ich als Teil der Erregungsgesellschaft auf eben diese? Wie bleibe ich dabei seelisch intakt. Bin ich es denn noch? Will ich überhaupt etwas verändern, und wenn ja, was? Wo gebe ich mich dem Verändertwerden hin? Und dann auch: Welche Wege gibt es, schnell und schrankenarm mit Lesern und Publikum zu kommunizieren? Wie kann ich Inhalte transportieren, die gesagt werden müssen, deren Aussprechen aber mich in Bedrängnis bringen kann? Weiter bloggen? Kurzgeschichten im Self-Publishing? Kommen die »kleinen« Apps wieder? Was davon macht Spaß, meinen Lesern und mir? Was befriedigt, meine Leser und mich?
Es gibt so Vieles, was Sie und ich noch lernen können. Niemand sollte sich damit zufrieden geben, klüger als Claudia, Renate oder Katrin zu sein. Das wäre ein trauriges Maß. Ich will mehr Geschichte lernen. Vielleicht den Klavierunterricht meiner Jugend wieder auffrischen. Ich will mich bei der »Künstlichen Intelligenz« auf dem Laufenden halten. Ich will nicht nur über »Social Justice Warriors« schimpfen, ich will auch die Psychologie dahinter verstehen. Wenn wir schon den Westen verlieren, lassen Sie uns den Abschied extra bittersüß machen! Wenn die letzte unzüchtige Statue gesprengt und das letzte unkeusche Buch verboten sind, bleibt niemand als Sie und ich, unseren Kindern davon zu erzählen. Kahane, Maas und die Mullahs würden gern kontrollieren, was wir in unserem Kopf tragen. Noch können sie es nicht. Wir müssen es aber pflegen. Mehr von den guten Dingen hinein – weniger uns von eigenem Frust und dem Kampf gegen Windmühlen blockieren lassen.
Zwei solche Experimente habe ich in letzter Zeit durchgeführt.
Ich habe eine »Fabel« geschrieben. Eine Geschichte, zu lang für einen Artikel, zu kurz für ein Buch. Eine unbequeme Wahrheit, mit Füchsen und Hasen vorgespielt. Diese Geschichte habe ich in Form eines eBooks bei Amazon & Co veröffentlicht, sie heißt »Der Fuchs will Frieden«.
Als leicht ironischen Kommentar habe ich ein schnelles Online-JavaScript geschrieben, mit dem sich die nach Terror-Anschlägen üblichen Trauer-Tweets automatisch generieren lassen. Ich bin etwas erschüttert vom »Erfolg« dieses Scripts. Nun überlege ich: Wäre es nicht interessant, dies »in echt« zu machen? Also eine App, die Menschen hilft, Worte für ihre Trauer zu finden? Es gibt Liebesbrief-Hilfen und Geschäftsbrief-Hilfen, wieso nicht Hilfe für die öffentliche Trauer?
Das tägliche Kleinklein dieser Experimente können Sie weiterhin in meinem Twitter-Feed und auf meiner privaten Website verfolgen. Wenn aber Sie und das Team TE mögen, teile ich die Quintessenz, meine »Moral von der Geschicht«, hier in der Metaethics-Kolumne mit Ihnen. Meine privaten Kanäle bilden das Labor. Alle, die mitmachen, werden zum Teil des Experiments. Die Ergebnisse würden dann hier präsentiert.
Der nächste Text trüge den Arbeitstitel: »Letztens programmierte ich halbironisch einen Trauer-Tweet-Generator. Sie werden nicht glauben, was ich dann als Nächstes gelernt habe!«