Spätestens seit Herbert Grönemeyers Welthit „Politiker“ wissen wir: „Politiker sind so verletzlich.“ In der Regel sind Politiker allerdings beides zugleich: Verletztlich und verletzend. Es gibt aktuellen Anlass, daran zu erinnern.
I.
Fall eins: Jeroen Dijsselbloem, Europas Euro-Gruppen-Vorsitzender und Hollands sozialdemokratischer Finanzminister. Er zählt zu der kleinen radikalen Minderheit von Politkern, die nicht erst jedes Wort im eigenen Mund umdrehen, ehe sie nichts sagen. Der Mann hat gesagt: „Ich kann nicht mein ganzes Geld für Schnaps und Frauen ausgeben und anschließend Sie um ihre Unterstützung bitten. Dieses Prinzip gilt auf persönlicher, lokaler, nationaler und eben auch auf europäischer Ebene.“ Stimmt.
Moment! Seit wann darf man(n) Frauen, Geld und Schnaps in einem Atemzug nennen? Das ist „beleidigend und sexistisch gegenüber Frauen“ – findet nicht etwa die Frauenbeauftragte des EU-Parlaments, sondern dessen konservativer Fraktionsvorsitzender Manfred Weber (CSU). Hat der flapsige Holländer nicht sogar ganze Nationen beleidigt und diskriminiert? Findet Weber auch. Und Portugals Ministerpräsident fordert Dijsselbloems Rücktritt. Dabei kamen Portugal, Italien, Spanien gar nicht vor. Der verletzt habende Holländer hat nun ein ernstes Problem. Er hat sich selbst verletzbar gemacht.
Wollen wir denn nur noch diplomatisch gesetzte Floskeln zulassen? Für jede Äußerung ein Bio-Label, eine Unbedenklichkeitsbestätigung verlangen? Eine 100-Prozent-PC-Garantie? Nur noch aussprechen dürfen, was kein Mainstreamwässerchen trübt? Europa leidet nicht an Politikern, die ungefiltert sagen, was sie denken. Wir tun, als sei Kultiviertheit das höchste Prinzip demokratischer Streitkultur. Die wahre Beleidigung der Demokratie besteht darin, Wähler für beschränkt zu halten und mit P.C. zu pampern. Es fällt auf, dass die deutschen Medien Dijsselbloem ganz überwiegend mit Häme begleiten und seine eigenen Parteifreunde mit verkniffenen Lippen betreten zur Seite starren. Sie nehmen Grönemeyer offenbar wörtlich statt ironisch: „Politiker sind auf dieser Welt einfach unersetzlich. Außen hart und innen ganz weich. Politiker brauchen viel Zärtlichkeit.“
II.
Aber glauben Sie bitte nicht, Populisten seien frei vom Betschwestern-Syndrom. Fall zwei: AfD. Sie hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) via Organklage vor das Bundesverfassungsgericht gezerrt. Weshalb? Wanka hatte im Pressedienst ihres Ministeriums einen AfD-kritischen Satz veröffentlicht. Der AfD solle die „rote Karte gezeigt“ werden – Replik auf den Demonstrationsslogan der Konkurrenzpartei „Rote Karte für Merkel.“ Ok. Ganz Streng genommen hat also Frau Wanka Steuergelder für den Meinungskampf missbraucht und so die Chancengleichheit verletzt. Freunde des Irrsinns: Können wir nicht mal das Minarett im Dorf lassen! Eine Regierung steht unentwegt im Meinungskampf. Sie hält Ämter und hat dadurch gewisse Vorteile. Der Parteipolitiker und der Amtsinhaber sind nun einmal nicht voneinander zu trennen. Wie korinthenkackerhaft korrekt wollen wir uns geben? Ist Frau Merkel womöglich auch mit dem Dienstwagen zu Anne Will ins Studio gebracht worden? Sie hat dort doch nicht nur für die Bundesregierung gesprochen, sondern auch für ihre Partei. Skandal im Sperrbezirk!
III.
Besonders erfreulich verletzt zur Zeit der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jens Spahn die Grenzen zwischen seinen Rollen. Als Parteipolitiker fordert er ein Islamgesetz, das die Regierung, der er angehört, vehement ablehnt. Eine klare Regelverletzung. Der noch immer einflussreiche Merkel-Knappe Ruprecht Polenz, zückt sofort die Populismuskeule: „populistische Schnapsidee“ grämt er. Fraktionschef Kauder haut auch drauf. „Unfairer Wahlkampf“ jault Koalitionspartner SPD. Ja, aber wer gegen wen?
Spahn, 36, lebt schon in der Nachmerkelära. Auf der Liste der Nachwuchshoffnungen steht er gerade deshalb ganz oben, weil er sich nicht den Mund verbieten lässt von den eigenen Leuten. Er wird nicht den Fehler machen und als erster den Dolch zücken. Wozu auch. Um die Dame herum modert es politisch bereits – auch wenn die meisten CDU-Granden noch für ein Parfum halten wollen, was seit der Wahl an der Saar in der Luft liegt. Bisher geistert die Kanzlerin wie eine Untote durchs Wahlkampfjahr. Nichts geht mehr von ihr aus, nichts kommt mehr an. Sie hat den Abgang zur rechten Zeit versäumt. Spahn muss Merkel nicht verletzen. Es reicht, wenn er ein paar Regeln ignoriert. Außen weich und innen ganz hart.