Kriese, schwehr, sesonal, Vortschritt, proffesionel, anderst, außländisch, akresiv, expliziet, ziehmlich, imäns: So schreiben heutzutage nicht Grundschüler, sondern Studenten. Gerhard Wolf, Professor für Geschichte in Bayreuth, hatte 2012 zur Erfassung der Studierfähigkeit von Studenten deutschlandweit einen Fragebogen an Kollegen geschickt. 70 haben geantwortet. Wolf kam danach zum Ergebnis, dass viele Studenten heute nicht studierfähig seien, weil sie gravierende Defizite in Rechtschreibung, Grammatik, Syntax, Interpunktion, Wortschatz usw. hätten. Das war vor fünf Jahren. Heute dürfte es aufgrund der Inflation an Zeugnissen der Studierberechtigung noch krasser sein. Oder erinnern wir uns an eine Story aus dem Spiegel von Anfang Februar 2017. Dort wird der Dialog zwischen zwei Studentinnen der Germanistik, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vor einem Heine-Portrait stehend, wie folgt wiedergegeben: Für die eine ist der Abgebildete „Schiller, oder so“. Für die andere ist Schiller ein Komponist. Oder Goethe? „Keine Ahnung, irgendso ein Toter.“ Auch hier geht es um junge Leute mit Abitur.
Oder nehmen wir die Mathematik: Über das Berliner Mathematik-Abitur 2016 urteilten Fachleute, dass es von einem Anspruch gewesen sei, den Schüler der Mittelstufe – also drei bis vier Schuljahre vorher – bewältigen müssten. Dementsprechend beginnt die Absenkung der Prüfungsansprüche schon weit vor dem Abitur. Die Abschlussprüfungen etwa zum Erwerb des Mittleren Schulabschlusses nach der 10. Klasse befanden sich 2016 in Berlin zum Teil auf dem Niveau der Grundschule. Eine Mathematikaufgabe beispielsweise lautete: „Drei Ziffern sind gegeben: 2, 3, 6. Welche ist die größte dreistellige Zahl, die aus diesen Ziffern gebildet werden kann?“
Kein Wunder, dass bei einem solchen Erwartungs-Dumping immer mehr junge Leute ihr Abitur „bauen“. Folge: Die Zahl der Studierberechtigten steigt ungebremst. Vor 21 Jahren, im Jahr 1996, gab es in Deutschland 267.000 Studienanfänger, 2016 waren es fast doppelt so viele, nämlich 506.000. Und auch die Noten werden immer besser: Aus Berlin wissen wir, dass sich die Zahl der 1,0-Abiturzeugnisse von 17 im Jahr 2002 auf 234 im Jahr 2012 erhöht hat (das ist das Vierzehnfache); selbst von 2006 bis 2016 gab es dort noch eine Steigerung der Abiturzeugnisse mit den Noten 1,0 oder 1,1 von 90 auf 433; das ist das Fünffache.
Da ist es kein Wunder, wenn uns ein akademisches Prekariat droht. Denn schon viel zu lange hat sich in den Köpfen fast aller Politiker und vieler Eltern festgesetzt, dass der Mensch erst mit dem Abitur beginne. Und zwar ohne Rücksicht darauf, dass die inflationäre Ausgabe von Zeugnissen der Studierberechtigung noch lange nichts über die Studierbefähigung der Bewerber aussagt. Am empirischen Gesetz führt jedenfalls kein Weg vorbei, nämlich am Gesetz, dass sich Quantität und Qualität reziprok verhalten.