Tichys Einblick
Tatort

Letzter Borowski-Tatort in Kiel: Ödipussi trifft Norman Bates

Axel Milbergs letzter Fall als Kommissar Borowski hätte ein würdiger Abschied werden können – stattdessen liefert die ARD einen überinszenierten Horrortrip, der mehr an die Coen-Brüder als an klassische Krimikost erinnert.

© NDR/Thorsten Jander

Der ARD-Sonntagskrimi guckt sich einiges an Brutalität bei den Coen-Brüdern („No country for old men“) ab. Loriot wäre über diese filmische Übertötung seiner harmlosen Komödie entsetzt gewesen.

Buch (Sascha Arango) und Regie (Lars Kraume) wollten Axel Milberg in seinem letzten Fall als Kommissar Klaus Borowski nach 22 Jahren und 44 Fällen einen besonders knalligen Abschied verschaffen. Was dessen Kommissariatskollegen nur mit ein paar Ballons und einer Torte versuchen, zelebriert der Film mit der Verwandlung des Kieler Villenvororts Düsternbrook (Nomen soll hier Omen sein) in einen Waldfriedhof und einer harmlosen Siebziger-Jahre-Villa in ein Horrorhaus.

Hier hausen Robert (August Diehl) und Eleonore Frost (Corinna Kirchhoff), er umhätscheltes Söhnchen und Beamter in der Städtischen Verwaltung, sie dominante Übermutter und besitzergreifende (der Film spielt auf sexuellen Kindesmissbrauch an) Matrone.

„Kochen konntest Du noch nie- Du musst dich mehr anstrengen“

Die Filmemacher ziehen hier die altbekannten und bei einigen Zuschauern zu überdrüssigen Reaktionen führenden Register. Die bürgerliche Idylle, der saubere Vorgarten und scheinbar ordentlichen Verhältnisse, die darunter liegendes Unrecht und Grauen nur mühsam verdecken können. Ein eigens für den Tatort angefertigtes Ölgemälde von Mutter Frost und Söhnchen ist das Symbol der Unterdrückung, sie strahlend mit rotem Thälmann-Halstuch, er verschreckt in ihrem unerbittlichen Griff. Der arme Junge kaut seine Nägel blutig, sie meint, es sei „kein Wunder, dass ihn niemand mag und keiner anruft…keine Frau mit 40 – das ist so armselig“. Da hilft es wenig, dass sie ihm als Kind vorsingt „Ich freue mich, dass Du geboren bist“ und ihm versichert, dass er „ein Kind der Liebe“ gewesen sei.

Diese Kindheit war eine „wunderschöne Zeit“? (Mutter Frost zu Robert)

Wer geglaubt hat, der Spitzname „Bobele“ sei für einen „Boris Becker aus Leimen“ reserviert, muss ich im Tatort eines Besseren belehren lassen: So nennt Mutter Frost ihren Robert. Über den Krebstod der geliebten Tante macht sich die Monstermama lustig („die wird sich noch in der Hölle über den schlechten Service beschweren“), weil die ihren Robert verwöhnt und als Kinderlose ihre Schwester um den süssen Sohn beneidet hatte. Söhnchen kocht für Mama, serviert mit Wägelchen und im guten klassischen Porzellan. Doch das als asiatisches Geschmacksnote gedachte Kardamom-Gewürz im Lammgulasch kommentiert die unerbittliche Mutter chauvinistisch mit „sind wir hier bei den Taliban“? Das Tischgespräch ergibt auch nur Kritik, Hohn und Spott. Wen wundert es, dass er sie da noch vor dem Nachtisch erwürgt. Glücklicherweise bemerkt niemand, wie er sein Opfer bei offener Garagentüre auf einer Plastikfolie drapiert und später gut zerteilt in der Förde versenkt. Mamas Kopf packt er in seinem unter falschem Namen gemieteten Versteck zu den Zierfischen ins Aquarium.

Ermittler trifft Serienmörder am Behördenschreibtisch

Klaus Borowski braucht zur Vorbereitung seines Ruhestands und der dazu geplanten Reisen unbedingt einen neuen Reisepass und erscheint im Kieler Passamt. Dort herrschen „Berliner Zustände“ (Behördenleiter Kaczmarek, gespielt von Sascha Nathan), wo man zwar ein Nummernzettelchen ziehen kann, aber wie der Polizist nach „zwei Stunden immer noch nicht aufgerufen wird“. Und dann ist da dieser Dreisprung aus Urlaub, gefolgt von Krankschreibung und getoppt von Nichterreichbarkeit. So wie das bei „Kollege Robert Frost“ der Fall war, von dem man nun nichts mehr höre. Das Bürgeramt Kiel befindet sich aber auch ohne Frost im Dauernotstand aus „Kündigungen, Schwangerschaften, Corona Burnouts und Todesfällen“, den auch „der Hungerlohn“ den das Amt zahlt, nicht besser mache. Borowskis Jagdinstinkt erwacht, als er von der Auskunftsfreudigen Passamts-Mitarbeiterin Uschi Schönlein (Klara Lange) erfährt, dass zwei Kolleginnen Frosts erst kürzlich verstarben, obwohl sie jung und fit gewesen seien. Auch wenn ihm nur drei Tage bis zum Ende seiner Dienstzeit bleiben, macht sich der Kommissar auf den Weg nach Düsterbrook zum Hause des IT-Spezialisten, das er noch aus seiner Kindheit kennt, und bricht dort mittel des notorischen Kellerschlüssels unter dem Blumentopf ein. Der im Elternhaus ausharrende Muttermörder verrät seine Anwesenheit durch den Tick, die alten Pendeluhren immer wieder aufzuziehen. Fast ermordet er Borowski, wird aber im letzten Moment von der Streife, die eine besorgte Nachbarin (Astrid Meyerfeldt) wegen Borowskis auffälligem Verhalten rief, verscheucht.

Auch wichtig: wer in Kiel sonst noch so kriminell ist

In einer kurzen Einstellung bekommen die Zuschauer den Steckbrief eines jungen Kieler Serientäters vermittelt, dessen Mutter gerade bei Mila Sahin (Almila Bagriacik) befragt wird. Die 3000 Xtacy-Tabletten und das Jagdgewehr, mit denen der laut Mama „Hochbegabte“ erwischt wurde, seien ihm von seinen „Unterschicht-Kumpane“ untergeschoben worden. Die Polizistin zeigt sich unerbittlich, verweigert sich einer „Lösung dieses albernen Problems“ den die Mutter offenbar in der Übergabe ihrer abgeklipsten Ohrstecker an Sahin sieht. Der Junge sei nun mit 11 Straftaten in drei Jahren ein „Intensivtäter, und da gebe es keine Freilassung auf Kaution vom Richter… sie solle die Klunker mal lieber wieder einpacken, sonst leiste sie ihrem Sohn zwei Jahre lang im Gefängnis Gesellschaft“.

Sahin muss Borowski, der seinen Dienstausweis vergessen hatte, aus dem Gewahrsam der Schutzpolizei befreien, sein Chef Roland Schladitz (Thomas Kügel) ist entsetzt, dass er auf seine letzten Tage noch wegen Einbruchs angeklagt werden könnte. Auch die Geschichte von „Phantomas“ der im Haus Frost die Uhren aufziehe, glaubt Schladitz nicht.

Polonaise mit roten Pappnasen im Bürgeramt

Frost erhielt von seinen Kolleginnen im Amt den Spitznamen „Krabbel“, weil er als IT-Betreuer ständig unter Schreibtischen und in der Nähe von Damenbeine herumkroch, unter anderen auch bei den verstorbenen Mitarbeiterinnen Karin Thormé und Corinne Keller. Offenbar hat der Psychopath die beiden ermordet. Ein altes Video zeigt ihn noch, wie er schüchtern beim Behördenkarneval mitschunkelt. Aber die Kieler Polizei durchblickt seine Psyche immer besser, hat erstaunlicherweise Zugriff auf sein Zeugnis der Mittleren Reife, in dem die Schule bescheinigt „sozial inkompetent und aggressiv gegen Mitschüler“ gewesen zu sein. Die beiden Todesfälle im Bürgeramt hat Schladitz bearbeitet, aber wohl zu schnell zu den Akten gelegt. Eine der Toten starb an der Einnahme eines giftigen Cocktails aus der Herbstzeitlosen, und Sahin urteilt, auch wenn das die „Autorität ihres Chefs perforiert“ nach Studium der Akte: „eindeutig Giftmord.“ Anschliessend muss sie den armen Kerl (weint wegen des baldigen Ruhestands seines alten Kollegen) trösten: „Nein, Borowski findet nicht, dass Sie blöd sind“.

„Tausend Identitäten und plant irgendwas Teuflisches“ (Borowski über Frost)

Der flüchtige Robert Frost dreht zum Ende seines verpfuschten Lebensweges noch einmal gross auf: Er hat die gesamten Kieler IT-Systeme (wo bleibt das Infrastruktur-Sondervermögen?) gehackt und unter seine Kontrolle gebracht. Von seinem Versteck in einer Mietskaserne aus legt er zuerst seine alte Arbeitsstelle lahm und löscht danach den Server der Kieler Polizei. Einen Polizisten, der das Pech hatte, in seiner Wohnung einen Blick auf den verwesenden Kopf von Mutter Frost im Aquarium zu erhaschen, räumt er kurzerhand aus dem Weg und legt die Leiche im Bad auf Eis. Zu welchen Untaten der Psychopath sonst noch in der Lage gewesen wäre, erfahren wir nicht, denn Klaus Borowski stellt noch einmal seine Findigkeit unter Beweis, in dem er ein Grossformat des Ölgemäldes von Mutter und Sohn Frost an einer zentralen Kreuzung Kiels aufhängen lässt und im kühlen Kieler Wetter auf einem Klappstuhl ruhig darauf wartet, dass Robert Frost davon Notiz nimmt. Tatsächlich fährt der Mörder vor Überraschung auf ein voranfahrendes Auto auf und Borowski kann ihn stellen. Im anschliessenden Handgemenge löst sich ein Schuss aus der Waffe des Polizisten und trifft Frost tödlich. Borowski kommt in U-Haft, weil er sich schon ausser Dienst befand und die Pistole eigentlich hätte angeben müssen. Dort besucht ihn seine alte Flamme, Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert). Die beiden können nun endlich gemeinsame Zukunftspläne schmieden – die allerdings warten müssen, bis er entlassen wird.

Anzeige
Die mobile Version verlassen