Jeder Versuch der FDP, sich den Wählern wieder als attraktive Regierungspartei zu präsentieren, wird jedoch böse Erinnerungen an zwei vergangene Fehler der FDP wecken:
Der erste Fehler umfasst die gesamte Regierungszeit der letzten schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013. Die Bundestagwahl 2009 hatte der FDP ein bisher einmaliges Mandat verliehen, nicht nur wieder liberale Politik in Deutschland zu machen, sondern dem Land auch abseits der Tagespolitik liberales Gedankengut wieder näherzubringen. Doch die FDP schien an kaum etwas Anderes zu denken, als es sich endlich wieder in den Regierungsstühlen und -Limousinen bequem machen zu können. Völlig unvorbereitet wurde sie von Angela Merkel ins mediale Sperrfeuer der traditionell antiliberalen Journalisten gelenkt. Nach dem abschließenden Zerwürfnis über die Bundespräsidentenwahl und der kalten Schulter der Kanzlerin im Wahlkampf 2013 muss für die FDP im Jahr 2017 deshalb klar sein, dass es mit der Merkel-geführten CDU keine Zusammenarbeit für liberale Politik mehr geben kann – und dass die FDP allein mit aufgewärmten Steuerthemen und Digitalisierungsfragen kein Vertrauen erwerben kann.
Ihren zweiten Fehler beging die FDP während der irreführend „Flüchtlingskrise“ genannten Krise der Einwanderungspolitik, als sie glaubte, sich der allgemeinen Begeisterung über die „drastische Veränderung“ Deutschlands zumindest stillschweigend unterwerfen zu müssen. Zeitweise befürchtete sie vielleicht sogar, die Markenzeichen „Liberalität“ und „Toleranz“ an die Großherzige Koalition aus CDU, SPD, Grünen und Linken zu verlieren. Die FDP war damals nicht willens oder nicht in der Lage, laut zu formulieren, warum ungeschützte Grenzen und die Gleichstellung des Staatsvolkes mit denen, „die neu dazugekommen sind“, nicht die Vollendung des liberalen (und sozialen) Staates bedeuten würden, sondern seine Abschaffung. Sie hat es auch bis heute nicht umfassend und vor allem nicht laut und scharf genug formuliert.
Gleichzeitig hat die unwidersprochene Migrationspolitik einigen Elementen endlich die Gelegenheit gegeben, das ihnen verhasste Deutschland „zu einer transformatorischen Siedlungsregion“ umzudeuten. Die Özoguz-Clique sieht in Deutschland einen Ort, der außerhalb von Berlin und Hamburg mehrheitlich von hässlichen weißen Menschen ohne Migrationshintergrund bewohnt wird, deren Privilegien dringend beschnitten werden müssen, damit sie die muslimischen Einwanderer nicht mehr diskriminieren können. Noch eine Legislaturperiode mehr und diese Clique könnte dem „alten“ Deutschland endgültig den Rest geben.
Die FDP muss daher anerkennen, dass über die Zukunft des Landes nicht durch die Höhe des Mindestlohns oder des Spitzensteuersatzes entschieden wird – der Zug ist abgefahren. Wenn die liberale Gesellschaft noch gerettet werden soll, muss am allerdringlichsten ein Kurswechsel in der Gesellschafts- und Integrationspolitik her. Die FDP muss sich daher verpflichten, die entsprechenden Ressorts im Falle der Regierungsverantwortung zu beanspruchen und zu besetzen – und sie muss vermitteln, dass sie das illiberale Deutschlandbild einer Göring-Eckhardt oder Özoguz nicht teilt.
Die FDP müsste kühn und bissig auftreten
Christian Lindner hat einige gute Schritte in die richtige Richtung gemacht – beispielsweise die Vorstellung von Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“, welches den Handlungsunwillen der Bundesregierung im Herbst 2015 dokumentiert. Aber damit ist es keinesfalls getan. Die FDP ist die einzige Partei, die den muslimischen und nichtmuslimischen Aktivisten, die das Grundgesetz über die Religion stellen und die die Integrationsprobleme ohne Scheuklappen und mit Lösungsansätzen benennen, eine politische Repräsentation geben könnte. Ahmad Mansour und viele andere stoßen auf viel Zustimmung, wenn sie mit den Bürgern sprechen. Mit der FDP haben sie gemeinsam, dass sie politisch momentan kaum über Einfluss verfügen. Die SPD sitzt längst mit Vertretern des politischen Islam in einem Boot und kann es sich nicht leisten, ihre muslimischen Wähler zu vergraulen. Die CDU sitzt zwischen allen Stühlen und fürchtet, dass die Bürger die nicht allzu weit voneinander entfernt liegenden Punkte Islamkritik – Integrationskritik – Kritik der Migrantionspolitik miteinander verbinden könnten. Die Grünen bleiben im Zweifel lieber bunt. Die Linke gibt sich gerne emanzipatorisch, solange es nicht um Mitbürger mit Migrationshintergrund geht. Die AfD hat kein Interesse daran, wirkliche Lösungen der Integrationsprobleme zu hören und zu bewerben. Die FDP verfügt hier – und wann war das schon jemals der Fall – über fast exklusive Glaubwürdigkeit als liberale Vertreterin liberaler Bewegungen, die nicht mal in ihr selbst entstanden sind.
Im Bereich der Integration könnte die FDP außerdem durch die Nominierung parteiloser Persönlichkeiten für entsprechende Ämter deutlich machen, dass es ihr wirklich um Inhalte und nicht um Posten geht. Welch frischen Wind würde allein schon ein parteiloser Politiker in die von Parteienfilz gelähmte Republik bringen!
Mit einem Wahlkampf gegen die Bundeskanzlerin und ihre Migrationspolitik, welcher dazu noch liberale Gegenentwürfe zu beiden zu bieten hat, würde die FDP polarisieren. Von medialer Seite wird sie dafür kaum mehr als offene Feindseligkeit erwarten können. Aber selbst darin steckt eine Gelegenheit, denn das Vertrauen der Bürger in die Medien ist längst nicht mehr so hoch wie vor acht Jahren. Indem sie auf die sozialen Medien ausweicht, könnte die FDP sich diesen Bedeutungsverlust zu Nutze machen und gleichzeitig wirksam gegen die freiheitsfeindlichen Regulierungspläne der Bundesregierung zu Felde ziehen. Die FDP müsste jedenfalls kühn und bissig auftreten und mit Intelligenz und Vernunft überzeugen. Sie müsste vieles anders und besser machen, als man es bisher von ihr gewohnt ist.